Zweiter Weltkrieg:Wie Bayerns Städte an die Bomben erinnern

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17 Minuten lang wurde Würzburg bombadiert. (Foto: dpa)

In Würzburg und Nürnberg dachte man nach den Angriffen darüber nach, die Städte aufzugeben, so zerstört waren sie. Grund genug zur Mahnung.

Von Carlos Collado Seidel

Am 16. März 1945 schrieb die 19-jährige Ortrun Koerber in ihr Tagebuch: "Heute ist ein wunderschöner Tag. Das Wetter hat sich gebessert, und nun ist keine einzige Wolke am Himmel zu erkennen. [...] Am heutigen Tag haben wir den Krieg nahezu vergessen; es war als machten wir ein Picknick. Wir hatten in den letzten zwei Tagen keinen einzigen Alarm. Vielleicht ist ja der Krieg zu Ende, und wir wissen nur nichts davon."

Ortrun lebte in Würzburg. Die Stadt war weitgehend von Bombardements verschont geblieben. Die Amerikaner standen am Rhein und hatten zu dem Zeitpunkt bereits Bonn und Köln eingenommen. Die Rote Armee war wiederum am Stadtrand von Stettin in Stellung gegangen. So wähnten die Menschen, das Schlimmste überstanden zu haben. Auch war inzwischen die Granatenproduktion beim Druckmaschinenhersteller Koenig & Bauer eingestellt worden, wo Ortrun Koerber nach ihrem Abitur im Februar 1944 eingesetzt gewesen war. Lange konnte es bis zum Ende des Krieges nicht mehr dauern.

Doch noch am Abend jenes Tages brach um 21.35 Uhr die Hölle über Würzburg herein, als mehr als 200 britische Lancaster-Bomber die Stadt erreichten. Mit einem Mal entzündete sich der Himmel mit Tausenden grell leuchtenden gelben Lichtern, und mit den Bomben brandete ein grollender, lauter und lauter werdender Donner auf: "Oh, es war alles so schrecklich, das ohrenbetäubende Krachen der Bomben, das morbide, widernatürliche Licht und der Tod, der so nah war. Abertausende Bomben stürzten herab und die Detonationen gingen durch Mark und Bein und ließen uns um Luft ringen", schreibt Ortrun Koerber. Nach 17 Minuten war schlagartig alles vorbei. Das Lichtermeer erlosch; die Flieger zogen ab.

Die Stadt war schon eine Ruine. Auf Befehl Hitlers musste sie trotzdem verteidigt werden

Würzburg brannte, soweit das Auge reichte. Riesige feuerrote Qualmwolken stiegen aus dem Flammenmeer auf und ein orkanartiger Feuersturm erfasste die Stadt und sog sich ins Zentrum der wütenden Glut. Die Nacht über explodierten dann noch die Bomben mit den Zeitzündern, und mit jedem Donnerschlag wurde die Trümmerlandschaft aufs Neue erschüttert. Ortrun Koerber hatte die Schreckensnacht zusammen mit ihren Schwestern und ihrer Mutter in einer Hütte auf einem Hügel im Westen der Stadt unbeschadet überstanden. Von dort aus überblickte sie das Geschehene: Die Silhouette der Stadt war verschwunden. Würzburg war tot.

Auf Befehl Hitlers wurde die Ruinenstadt dann auch noch vor der heranrückenden 42. US-Infanteriedivision verteidigt. Oberbürgermeister Theo Memmel setzte sich in dem irren Vorhaben an die Spitze des Volkssturms. Unter dem Trommelfeuer der Artillerie begann am Karsamstag die Schlacht, und die Amerikaner mussten sich Häuserzeile um Häuserzeile erkämpfen. Eine Woche später, am 6. April, war der Krieg nach einem weiteren absurden Blutzoll in Würzburg zu Ende.

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Zurück blieb ein Trümmerfeld. 90 Prozent der fürstbischöflichen Residenzstadt waren zerstört. Schockzustand und Hoffnungslosigkeit waren derart gewaltig, dass ernsthaft erwogen wurde, die Stadt völlig aufzugeben und anderswo einen Neuanfang zu wagen. Ein Wiederaufbau schien unmöglich zu sein. Würzburg stand da nicht allein. Auch in Nürnberg dachte man das, nachdem der Angriff vom 2. Januar 1945 die alte Reichstadt dem Erdboden gleichgemacht hatte. Die Ruinen sollten zum Mahnmal werden.

München hatte es ebenfalls besonders hart getroffen. Auch hier wurde die Altstadt nach einer Vielzahl von Luftangriffen zu 90, wurden die äußeren Wohngebiete zu 50 Prozent zerstört. Die Durchhalteparolen erschallten aber auch hier unverdrossen weiter, und nach jedem Angriff ging es ans Aufräumen, um den Kriegsalltag in Gang zu halten. Zur lebensgefährlichen Räumung der Blindgänger wurden Häftlinge des Dachauer Konzentrationslagers herangezogen, und so richtete die Stadtverwaltung nach dem Bombenangriff vom 7. Januar 1945, durch den das Münchner Westend besonders heftig getroffen worden war, ein Außenkommando mit 18 durch eine SS-Wachmannschaft bewachten Häftlingen in der schwer beschädigten Volksschule an der Bergmannstraße ein.

Der Schulbetrieb war damals längst eingestellt und in das benachbarte Schulgebäude an der Ridlerstraße verlegt worden. Stattdessen waren hier nach Kriegsbeginn zunächst Studentenkompanien eingezogen worden, die in der vorlesungsfreien Zeit zum Kriegseinsatz an die Front abkommandiert wurden. Eine der Kompanien bestand aus Medizinstudenten. Ihr gehörten Hans Scholl, Willi Graf und Alexander Schmorell an, die Begründer der Widerstandsbewegung Weiße Rose, die im Februar 1943 nach einer Flugblattaktion im Lichthof der Münchner Universität verhaftet und hingerichtet worden waren. Auch in der Bergmannschule waren Flugblätter ausgelegt worden, die sich gegen den Wahnsinn des Krieges und die Unmenschlichkeit der NS-Diktatur wandten.

Nach der Bombardierung war die Silhouette der Stadt verschwunden. (Foto: Stadtarchiv Würzburg/dpa)

Augsburg, Ingolstadt, Regensburg, Aschaffenburg, Schweinfurt, Fürth, aber auch kleinere bayerische Städte und Gemeinden waren bei Kriegsende von den Flächenbombardements gezeichnet. Bei manchen waren vor allem Industrieanlagen Ziel der Bomber, bei anderen die Städte selbst. Alle standen vor ähnlichen Herausforderungen. Dazu gehörten auch der Umgang mit den verheerenden Folgen des Krieges sowie die gemeinsame Verarbeitung des erfahrenen Leids.

Zur Erinnerung wurden Denkmäler errichtet und ein alljährliches Gedenken am Tag der Zerstörung begangen: Am 16. März eines jeden Jahres setzt in Würzburg zur gleichen Zeit, zu der damals die ersten Treffer in der mittelalterlichen Stadt einschlugen, das Läuten der Kirchenglocken ein. Sie läuten so lange, wie die Bombardierung der Stadt gedauert hat.

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Trümmerhaufen, Rauchwolken, ausgebombte Straßenzüge: Am 16. März 1945 wurde Würzburg von der Royal Air Force bombardiert - und in großen Teilen verwüstet.

Gedenkveranstaltungen richten sich aber längst nicht allein in die Vergangenheit und beklagen den eigenen Verlust. Vielmehr geht von ihnen verstärkt eine in die Zukunft weisende Botschaft aus. So ist an der Grundschule an der Bergmannstraße nicht nur vor wenigen Tagen eine Tafel angebracht worden, die an das KZ-Außenkommando und den menschenverachtenden Einsatz von Häftlingen erinnert.

Dem im Foyer der Schule angebrachten Gedenkstein, der an einen als junger Offizier im Ersten Weltkrieg gefallenen Lehrer erinnert, wurde vor einigen Monaten eine kleine Plexiglastafel zur Seite gestellt. Sie trägt den Schriftzug: "Nicht gegeneinander, sondern nur gemeinsam schaffen wir eine friedliche Welt". Sie bettet den Stein damit in eine neue, an künftige Generationen gerichtete Botschaft ein.

An die Mitglieder der Weißen Rose erinnert wiederum ein durch die Schülerinnen und Schüler liebevoll gestaltetes Wandbild an der Außenwand der Schule. Darauf sind auf herabwehenden Flugblättern Begriffe wie "Respekt", "Frieden", "Toleranz" notiert, die an die Menschlichkeit und das Miteinander im Jetzt appellieren.

Die Zeitzeugen sterben. Doch es gibt junge Leute, die die Erinnerung wach halten

In Würzburg ist dieser Tage in der Festung hoch über dem Main eine durch Studierende der Hochschule gestaltete Kunstausstellung zu sehen, die sich mit dunklen Flecken der Vergangenheit und Gegenwart befasst. Sie ist Teil des durch die ehemalige Oberbürgermeisterin der Stadt, Pia Beckmann, ins Leben gerufenen Projekts "pics4peace", in dem sich junge Menschen mit ihrer Lebenswelt auseinandersetzen und damit die Mitgestaltung der Zukunft in die Hand nehmen.

Da geht es um Rüstungsexporte als Geschäft mit dem Tod, um den Zustand unserer Gesellschaft mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, um die Fragilität des Friedens, um Gewalt und Hass in Friedenszeiten, um die Würde des Menschen, um Menschenrechte. "Nur weil wir nicht im Krieg sind, sind wir noch lange nicht im Frieden", sagt die 25-jährige Informationsdesignstudentin Hanna Kölbl, die sich in das Projekt eingebracht hat.

Bald werden keine Menschen mehr leben, die die Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs und die menschenverachtende nationalsozialistische Gewaltherrschaft bewusst miterlebt haben, deren leidvolle Erfahrungen ein kollektives Bewusstsein schufen, das von einem "Nie wieder" getragen wurde. So steht nun an, nach neuen Wegen zu suchen, um bei den kommenden Generationen jenes Bewusstsein zu schärfen. Es geht um das, was Ortrun Koerber zum Kriegsende am 8. Mai 1945 in ihrem Tagebuch festhielt: "Ich bete darum, dass nie wieder Krieg ist und den nächsten Generationen jenes Grauen erspart bleibt, das wir erfahren haben. Möge die Menschheit gelernt haben, dass es besser ist zu lieben, anstatt zu hassen."

© SZ vom 26.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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