Wolfratshausen:Wie die Isar zur großen Wasserrutsche für Bootfahrer wird

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Michael Angermeier (links) leitet seine Gäste durch die erste Rutsche. Wenn das Floß Fahrt aufnimmt, müssen alle sitzen bleiben. (Foto: Theresa Krinninger)

Isartouren mit dem Floß oder Schlauchboot sind Geschäft und Spaß zugleich. Naturschützer fürchten negative Folgen für die Umwelt, Behörden erwägen Verbote.

Von Theresa Krinninger, Wolfratshausen

Neun Uhr an der Marienbrücke in Wolfratshausen. Die "Isar Briada" haben ihre Instrumente aufgebaut. "Heit machma a gscheide Gaudi", sagt Felix Feist, der Schlagzeuger. Da kommen sie auch schon: Knapp 50 Gäste steigen aufs Floß, fesch in Dirndl, Lederhose, und Trachtenweste. Jeder schnappt sich einen Bierkrug. Es ist Freitag und die Sonne scheint - perfekt für einen Betriebsausflug. Zwei Ingenieurbüros aus München haben Mitarbeiter und Kunden eingeladen.

Heute soll es nicht um Arbeit gehen, sondern um die Gaudi. Und wenn sich nebenbei Aufträge ergeben, umso besser. Drei Fässer Bier - insgesamt 180 Liter Augustiner - müssen für die nächsten sechs Stunden reichen. "Wie ist die Stimmung?", ruft Frontmann Klaus Bacher ins Mikrofon und erklärt auch gleich die Regeln: die Flößer nicht behindern, für das kleine Geschäft die blau-weiße Kabine benutzen, den Müll in den blauen Müllsack werfen.

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Zwanzig Tonnen Fichtenstämme setzen sich müde in Gang und treiben durch die Pupplinger Au, das erste Naturschutzgebiet. "Hier fließt die Isar noch wild, das muss man genießen", sagt Steuermann Sepp Willibald. Der Natur zuliebe gibt es hier keine Musik. Die meisten sind vertieft in ihre Gespräche, Sänger Klaus Bacher überbrückt die Zeit mit Sachsenwitzen. Das Floß von Michael Angermeier ist nur eines von fünf, die an diesem Tag die Isar hinunterdriften. Am Wochenende können schon mal alle 13 Flöße im Einsatz sein.

Das Geschäft teilen sich die drei Wolfratshauser Traditions-Flößereien Angermeier und die Cousins Franz und Josef Seitner auf. Pro Person kostet der Spaß 100 bis 150 Euro, in einer Saison fahren Angermeiers sechs Flöße insgesamt bis zu 400 Mal die Isar nach München hinunter. "Man lernt die Leute normal und betrunken kennen, aber vor allem haben sie Lust drauf", sagt er. Bei 120 Fahrten ist er selbst dabei. "Da kommt es höchstens drei Mal vor, dass es aus dem Ruder läuft." Etwa wenn sich ganze Fußballvereine besaufen und gegenseitig ins Wasser schubsen.

Zum AC/DC-Hit "Highway to hell" geht es kurz nach zwölf Uhr mittags in die erste Rutsche. Mit dem steigenden Alkoholpegel sinkt die Zurückhaltung. Der Senior-Chefingenieur spritzt mit der Wasserpistole herum, abwechselnd übernehmen die Gäste das Steuer. Es gibt Steak vom Grill, für die drei Schlauchboote am Ufer ein freundliches Prosit. Besonders am Wochenende wird es eng auf der Isar: "Das Miteinander ist nicht ganz einfach, wenn vor dem Floß 20 bis 30 Schlauchboote fahren und man nicht mehr richtig lenken kann", sagt Angermeier. "Manchmal sieht man an einem schönen Sommertag Hunderte, sogar Tausende Schlauchboote."

Fabian Unger vom Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) kann das bestätigen. Er war im vergangenen Sommer mit seinem Infostand an der Marienbrücke, um Schlauchbootfahrer über Naturschutz aufzuklären. Auch heuer ist er wieder dort. "Meine Kollegen haben am Wochenende in einer Stunde 60 Schlauchboote gezählt", sagt er. Unterhalb des Ickinger Wehrs sei es noch extremer: "Dort haben wir bis zu 200 Boote in einer Stunde gezählt."

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Anders als bei den Flößen steigen die Bootsfahrer zwischendurch aus, grillen auf Kiesbänken und stören etwa den bedrohten Flussuferläufer beim Brüten. Oft lassen sie ihren Müll liegen. "Viele wissen gar nicht, dass die Pupplinger Au ein Naturschutzgebiet ist", sagt Unger.

Hinzu kommt, dass Schlauchbootfahren gefährlich werden kann. Etwa an den Stellen, an denen sich Treibholz anlagert. Viele kentern oder zerstechen ihre Billig-Schlauchboote. 2016 hat die Wasserwacht Wolfratshausen mindestens 40 Menschen gerettet, etwa fünf davon aus Lebensgefahr. Allein am Samstag vor einer Woche waren an der Großhesseloher Brücke 90 Rettungskräfte für ein paar Boote im Einsatz.

"Es sind sehr viele Unvernünftige dabei", sagt Angermeier, während er lässig mit einer Hand das Floß steuert und in der anderen seinen Bierkrug hält. Je höher der Wasserstand, desto gefährlicher. Dann rauscht sein 20-Tonner viel schneller auf die Schlauchboote zu.

Bei den kommerziellen Raftingbooten, die hauptsächlich zwischen Lenggries und Bad Tölz unterwegs sind, gibt es laut Wasserwacht weniger Sicherheitsbedenken. Die Kunden sind mit Schwimmwesten und robusteren Booten unterwegs. Der Erholungsdruck aber bleibt: Inzwischen sind auch überregionale Anbieter auf dem Markt. Da können schon mal 60 Raftingboote am Tag zusammenkommen.

Weil München wächst, befürchten Naturschützer, dass die Isar zu einer einzigen großen Wasserrutsche wird. Im Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen stapeln sich die Beschwerden. Man denkt über eine Verordnung für Schlauchboote nach. Derzeit laufen Gutachten zu den Folgen für die Natur, den Fisch- und Vogelbestand. Eine Entscheidung ist für nächstes Jahr geplant.

Unger begrüßt den Schritt. "Wir wollen, dass das Erholungsgebiet Isar erlebbar bleibt", sagt er. Bootsfahrten sollten seiner Meinung nach auf bestimmte Monate beschränkt werden, und auch das nur tagsüber und nur bei sicherem Pegel. Flößer Angermeier sieht es lockerer: "Ich bin für leben und leben lassen."

Nach der Mittagspause in Höllriegelskreuth wird das dritte Fass angezapft. Einen Stimmungsdämpfer gibt es in München noch, als die Band an der Großhesseloher Brücke wegen der Anwohner zehn Minuten Pause machen muss. "Wir Flößer verzichten hier freiwillig auf die Musik", sagt Angermeier.

Danach geht es noch eine Rutsche hinunter, die Musik dreht wieder auf. Alle stehen, singen und halten die Bierkrüge hoch, da ist schon das Ziel erreicht: Thalkirchen, Floßlände. Und für Angermeier fängt wieder alles von vorne an.

© SZ vom 05.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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