Hass am Ammersee:Rache-Fahrt gegen Radfahrer - Ärztin muss in Haft

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Sie hat ihr Auto als Waffe missbraucht: Eine Ärztin hätte einen Radfahrer wegen einer Provokation fast totgefahren. In Augsburg ist nun das Urteil gefallen.

Hans Holzhaider

"Mama, warum hast du das gemacht, du bist doch Ärztin?" - das sagte die 13-jährige Clara (Name geändert) zu ihrer Mutter, nachdem diese am 31. August 2008 in St. Alban am Ammersee mit ihrem A-Klasse-Mercedes einen Radfahrer überfahren und ihm dabei schwerste Verletzungen zugefügt hatte.

Diese Frage, sagte der Vorsitzende Richter Wolfgang Rothermel am Dienstag im Augsburger Landgericht, stelle sich auch das Gericht: Wie kann es dazu kommen, dass eine Ärztin, bisher völlig unbescholten, einen anderen Menschen in einer Art und Weise so schädigt, dass dieser nur rein zufällig mit dem Leben davonkommt?

Sie hat nicht nur das Leben des 40-jährigen Ingenieurs Michael S., sondern auch ihr eigenes Leben ruiniert. Das Landgericht verurteilte die 47-jährige Dagmar O. zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten, eine Strafe, unter der nicht zuletzt auch die beiden heute 15 und neun Jahre alten Kinder der Angeklagten zu leiden haben werden.

Es war der letzte Tag eines harmonisch verlaufenen Kurzurlaubs auf einem Reiterhof bei Murnau, an dem das Unglück geschah. Dagmar O. fuhr auf dem schmalen, zugeparkten Seeweg von St. Alban in Richtung Riederau und musste anhalten, weil vor ihr ein Ehepaar mit Hund ins Auto einsteigen wollte. In diesem Augenblick kam Michael S. auf seinem Mountainbike entgegen, zwängte sich zwischen Auto und Böschung vorbei und beschädigte dabei den Außenspiegel an Dagmar O.s Auto. Statt anzuhalten fuhr er flott weiter, und als Dagmar O. ihm nachrief, drehte er sich kurz um und zeigte ihr den ausgestreckten Mittelfinger.

Ein Mann, der das Geschehen beobachtet hatte, sagte: "Fahren Sie ihm nach, den kriegen Sie noch." Das setzte Dagmar O. in die Tat um, wendete und verfolgte den Radler über fast zwei Kilometer, um zwei scharfe Kurven, bis sie ihn schließlich auf einem Schotterweg von hinten rammte. Zeugen schilderten den "aufheulenden Motor" und sagten aus, von einer Bremsung hätten sie nichts bemerkt. Michael S. kam zu Fall, das Auto fuhr über ihn und sein Fahrrad hinweg, und zurück blieb ein blutendes Bündel Mensch, in dessen Körper kaum noch ein Knochen heil geblieben war.

Der Psychiater Ralph Schulte erläuterte dem Gericht die schwierige persönliche Situation der Angeklagten - ihr Mann hatte sich von ihr getrennt, sie war ohne eigenes Einkommen allein mit den Kindern, sie entwickelte eine Depression und trank in der Folge davon auch zu viel Alkohol - am Unglückstag war sie freilich nüchtern.

Er halte es für wahrscheinlich, sagte der Psychiater, dass die Kränkung durch den Radfahrer viele frühere psychische Kränkungen und Demütigungen in ihr wachgerufen hätte und dass sie, wenn auch unbewusst, in dem Radfahrer in "Wahrheit ihren untreuen Ehemann" verfolgt habe. Jedenfalls sei sie in eine psychisch bedingte Ausnahmesituation geraten, ihre Steuerungsfähigkeit sei erheblich beeinträchtigt gewesen.

"Unbändiger Vernichtungswille"

Das wollte auch Oberstaatsanwältin Ulrike Hampp-Weigand nicht bestreiten, dennoch hielt sie die Angeklagte sogar des versuchten Mordes für schuldig. Sie habe aus niedrigen Beweggründen - nämlich aus Rache - und mit "unbändigem Vernichtungswillen" alles versucht, um den Radfahrer "zur Strecke zu bringen".

Die Staatsanwältin forderte eine Haftstrafe von sechs Jahren und fünf Monaten und beantragte darüber hinaus, den Haftbefehl wieder in Vollzug zu setzen - dann wäre Dagmar O. noch im Gerichtssaal festgenommen worden. Verteidiger Michael Schilpp sprach dagegen von einem "schrecklichen Unfall mit schrecklichen Folgen", sah aber keinen Tötungsvorsatz. "Frau O. war während dieser Verfolgungsfahrt nicht die Person, die sie sonst war", sagte Schilpp. Er konnte sich dabei auf den Psychiater berufen, der die Tat als "persönlichkeitsfremd" bezeichnet hatte.

Dagmar O. folgte den Plädoyers sichtlich erschüttert. "Ich habe das nicht mit Absicht gemacht, ich habe noch nie im Leben einen Menschen verletzt", sagte sie danach unter Tränen. Den verletzten Radfahrer und dessen Familie bat sie inständig um Verzeihung: "Ich wollte das in keiner Weise, es tut mir furchtbar leid."

Dagmar O. muss nach diesem Urteil auch damit rechnen, dass ihr die Approbation als Ärztin entzogen wird.

© SZ vom 30.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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