Unter Bayern:Wachsweiche Wadl

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Ungute Zeiten. Jetzt sagen schon Trachtenvereine ihre Teilnahme an der Wiesn ab. Aus Angst. Dabei hätten sie gerade dort eine so wichtige Bildungsaufgabe in Geschmacksfragen

Von Franz Kotteder

Rund um das bayerische Nationalfest gibt es eine ganze Reihe von Absonderlichkeiten. In diesem Jahr werden es noch mehr, denn im Lande Bayern herrscht Terrorangst. Man ist schon so weit, dass man die letzten freien Meter rund um das Oktoberfest mit Zäunen schließen muss, als nächste Eskalationsstufe bleibt nur noch die Leibesvisitation. So viel Sicherheit - und trotzdem sagen viele: "Heuer geh' ich nicht auf die Wiesn, das ist mir zu gefährlich."

Dieser Tage erreichte uns gar die Kunde, dass zwei Trachtenvereine ihre Teilnahme am traditionellen Trachten- und Schützenzug abgesagt haben - aus Angst vor Anschlägen. Gut, der eine Verein ist in Hessen zu Hause: kein Kommentar. Aber der andere stammt aus Bernried, den bayerischen Herzlanden, und da stellt sich die Frage: Was ist mit unseren Trachtlern los? Waren die nicht mal ein Grundpfeiler im Bollwerk des christlichen Abendlands? Und nun - mehr Angst vor dem IS als Vaterlandsliebe? Was ist, wenn sie die Gebirgsschützen anstecken? Nicht oft wünscht man sich die Zeiten unter FJS zurück, aber man würde schon gern wissen, was der Große Vorsitzende zu solchen Zeiterscheinungen gesagt hätte.

Trachtler haben seit jeher unter Hohn und Spott zu leiden. Auf dem Land heißt es gern mal hämisch, wer für die Feuerwehr zu langsam und für die Blasmusik zu deppert sei, der gehe halt zum Trachtenverein. Und die Münchner, die es nie zu einer eigenen Tracht gebracht haben, kommentierten früher Auftritte der Besucher vom Lande mit dem Satz: "Schiabt's die Berg' her, die Tiroler kemman!" Heute tragen sie selber sogenannte "urige" Lederhosen, die ein örtlicher Wiesnuniform-Monopolist in China fertigen lässt, oder knallbunte Dirndl, die knapp unterm Hintern enden. Und wer in der Stadt eine zünftige Promifete feiert, der achtet sehr darauf, dass auch eine "Dirndldesignerin" eingeladen ist - ein Beruf, den es nur in der besseren Münchner Gesellschaft gibt. Insofern könnten die Trachtler, wenn sie schon nicht dem Terror die Stirn bieten wollen, doch eine wichtige Bildungsaufgabe in Geschmacksfragen erfüllen. Stattdessen folgen sie einem alten bayerischen Leitspruch: Lieber fünf Minuten lang feig als ein Leben lang tot. Im Krieg hat der sehr wohl seinen Sinn - aber bei einem Trachtenumzug?

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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