SPD:Es geht noch schlimmer

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Selbst beten hat am Ende nicht mehr viel geholfen: Die Depression bei der bayerischen SPD ist groß, die Stimmung bei der Wahlparty in München entsprechend schlecht. (Foto: Robert Haas)

Die SPD erlebt in Bayern ein Debakel und fährt mit gut 15 Prozent das schlechteste Ergebnis seit Kriegsende ein. Die Genossen sind geschockt und zeigen sich durchaus selbstkritisch. Nun wollen sie in die Opposition

Von Lisa Schnell, München

Marietta Eder ist schlecht, die Knie sind weich. "Ich merke das richtig körperlich", sagt sie. Die Niederlage. Vor ein paar Minuten hat die Vize-Landeschefin der Bayern-SPD noch von einer "Bombenstimmung" im Wahlkampf gesprochen. "So kann das gut weitergehen." Jetzt ist klar: Nichts kann so weiter gehen. Was die SPD anders machen kann, Eder weiß es nicht. "Das muss jetzt erst mal sacken."

15,5 Prozent hat die SPD in Bayern nach den ersten Hochrechnungen geholt, das schlechteste Wahlergebnis seit Kriegsende. Das wenig ambitionierte Ziel war es, das Ergebnis von 2013 zu halten, 20 Prozent. Jetzt liegt die SPD weit drunter und nach den Umfragen nur noch 2,5 Prozent entfernt von der AfD in Bayern. Der niederbayerische Bezirkschef Christian Flisek schafft es damit wohl nicht mehr in den Bundestag. Carsten Träger, Chef der mittelfränkischen SPD, muss noch bibbern. "Eine Katastrophe für die Demokratie", eine "Zäsur für die SPD", sagen die SPDler im Münchner Wirtshaus im Schlachthof entsetzt. Der Münchner OB Dieter Reiter spricht von einem Katastrophenabend.

Reiter traut sich schon gar nicht mehr, Grüne oder FDP als kleine Parteien zu bezeichnen bei so einem Ergebnis für die eigentlich stolze SPD. "Beschissen" sei gar kein Ausdruck. "Da gibt es keine Entschuldigungen mehr." Auch, weil die Wahlbeteiligung so hoch war wie selten. So ist die SPD wieder mal in der misslichen Lage, sich auf Fehlersuche begeben zu müssen.

"Es ist eine tiefe Niederlage", sagt Landeschefin Natascha Kohnen. Den Grund sieht sie vor allem darin, dass die Positionen der SPD in einer großen Koalition für die Wähler nicht mehr sichtbar gewesen seien. "Die große Koalition hat uns zu einer grauen Soße gemacht", sagt Kohnen. Die SPD dürfe sich nicht mehr in Kompromissen ergießen, sondern müsse sich wieder auf ihre Überzeugungen besinnen. Deshalb sei die einzig richtige Reaktion jetzt, in die Opposition zu gehen - und zwar "ohne Hintertürchen". Auch deshalb ist Kohnen nicht in München bei der Wahlparty ihrer Partei, sondern blickt in Berlin auf die nicht weiter wachsenden roten Balken der SPD. Sie will die Position ihres Landesverbands, des zweitgrößtem in Deutschland, bei der Bundespartei durchsetzen. Sie lautet: Opposition und sich neu aufbauen. Solche Sätze bringen die SPD-Anhänger in München dann doch zum Jubeln. Es ist ein verwirrendes Bild. Selten sieht man eine Partei so begeistert, weil sie in die Opposition gehen soll. Hier aber ist es so. Die SPDler schlagen die Hände ineinander und auf die Tische, als SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann auf dem Bildschirm ankündigt, der einzige Platz der SPD im Bund könne nur der in der Opposition sein. Und was kann die Bayern-SPD aus ihrem historisch schlechtestem Ergebnis lernen? Der Wähler unterscheide bei einer Bundestagswahl nicht zwischen Bayern und Bund, sagt Kohnen. Aber auch die Bayern-SPD habe zu oft in die Knie gehen und Kompromisse schließen müssen, die ihr nicht gut getan hätten. Bei der Vorratsdatenspeicherung etwa und dem Handelsabkommen Ceta mit Kanada, gegen das sich die Bayern ausgesprochen hatten, sich aber in Berlin nicht durchsetzen konnten. Schon im Wahlkampf beschlich so manchen am Infostand ein ungutes Gefühl. Dort hörten sie zwar aufmunternde Worte, Wahlkampfstimmung aber sei nicht aufgekommen. Eingelullt von einem Wohlfühlwahlkampf ohne härtere Debatten, so kamen einigen Genossen die Leute vor. Einige aber sahen auch schon vor der Wahl den Grund nicht nur im Bundestrend. Sie monierten, die Bayern-SPD hätte sich mehr einbringen können, um dem Wahlkampf ein bayerisches Profil zu geben. Auch, weil Spitzenkandidat Florian Pronold als geschasster Landeschef nicht mehr so viel Zugkraft hatte wie noch 2013. Anlässe, um bayerische Akzente zu setzen, habe es durchaus gegeben, etwa die schwache Vorstellung von CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt beim Diesel-Skandal. Auch die Themen hätten in Bayern andere sein können. Vor allem in den Grenzregionen Bayerns beschäftige die Leute nicht so sehr wie fehlende Investitionen in Bildung und die Infrastruktur. Was habt ihr gelernt aus 2015? Was sind die Vorschläge der SPD, wenn die Zuwanderung wieder steigt? Solche Fragen brannten den Leuten dort auf dem Herzen. Gerade in Bayern müsse man als SPD Antworten in der Flüchtlingspolitik geben, hieß es. Alles andere spiele der AfD in die Karten. Der Schock über den Erfolg der AfD ist bei den meisten fast größer als die Enttäuschung über das eigene schlechte Ergebnis. Draußen vor der Wirtschaft stützt sich ein SPD-Mitglied an der Wand ab. "Mit der FDP kann man ja leben, aber mit der AfD? Die sind die Schlimmsten." Aus Bayern kämen da nur Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker in den Bundestag. "Es ist unerträglich", sagt Kohnen in Berlin. Den Schuldigen für das gute Ergebnis der AfD sehen sie bei der SPD vor allem bei der CSU. Sie habe ja nichts anderes gemacht als Wahlkampf für die AfD, heißt es. Das habe schon angefangen mit ihrem Slogan "Wer betrügt, der fliegt" und sei weitergegangen mit der Forderung nach einer Obergrenze und verkürzten Zahlen über den Anstieg von Vergewaltigungen in Bayern. "Das hat die Stimmung noch mal hochgepeitscht", sagt Kohnen aus Berlin. Durch diese Angstmache seien die Themen der AfD nur noch größer geworden. Die Verantwortung der SPD sei es jetzt, zu verhindern, dass die AfD stärkste Oppositionspartei sei, so hört man es an jedem Tisch. "Die AfD ist eine Schande für Deutschland und wir werden sie wieder aus dem Parlament raustreiben", sagt Vize Marietta Eder. Dann kommt doch noch eine Prozentzahl, bei der alle jubeln können. "89 Prozent Wahlbeteiligung", ruft der Bundestagsabgeordnete Bernhard Goodwin. Wenigstens ein Ergebnis über das man sich freuen kann, sagt einer.

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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