Prozess in Kulmbach:Staatsanwaltschaft: Vanessas Tod war "vorhersehbar und vermeidbar"

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Die Eltern der achtjährigen Vanessa wollten sich nicht damit zufriedengeben, dass der Tod ihrer Tochter ein Unglücksfall war. Die Mutter (links) setzte durch, dass der Fall neu ermittelt werden muss. (Foto: Olaf Przybilla)
  • Im Freibad von Himmelkron ertrank im Sommer 2014 die achtjährige Vanessa.
  • Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen ein, doch die Mutter erzwingt ein Verfahren.
  • Der Bademeister und eine Betreuerin stehen nun wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht.

Von Olaf Przybilla, Kulmbach

Der Prozess am Amtsgericht Kulmbach ist besonders, was man schon daran merkt, dass ein Bürgermeister im Saal sitzt. Gerhard Schneider ist Rathauschef in der fränkischen Gemeinde Himmelkron und hat während der Verhandlung offenkundig Probleme, ruhig zu bleiben. Wegen fahrlässiger Tötung angeklagt ist der frühere Bademeister des Himmelkroner Freibads und eine Betreuerin des örtlichen Turnvereins. Sie sollen dafür verantwortlich sein, dass die achtjährige Vanessa im Juli 2014 ums Leben gekommen ist.

Während das Gericht auf Skizzen die Lage der Becken im Bad inspiziert, hört man den Bürgermeister im Zuschauerraum zischen. "Du wirst es nie ausschließen können. Du müsstest jeden Zentimeter kontrollieren. Dann fällt halt das Schwimmangebot für Kinder weg, das ist dann die Konsequenz." In einer Verhandlungspause erklärt Schneider, warum ihn, der auch Vorsitzender des Turnvereins ist, dieser Fall so mitnimmt. Das alles sei eine Tragödie, keine Frage, sagt er. Habe aber auch eine hohe Bedeutung für die Arbeit der Ehrenamtlichen in Vereinen. "Wenn ich mir bei unentgeltlicher Arbeit immer überlegen muss, mit einem Fuß im Gerichtssaal zu stehen", sagt er und bricht den Satz ab.

Bis es dazu gekommen ist, bis der Bademeister und die Betreuerin sich nun vor Gericht verantworten müssen, sind dreieinhalb Jahre vergangen. Auch das macht dieses Verfahren so ungewöhnlich. Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen nach elf Monaten eingestellt: ein Unglücksfall, keine Basis für eine Anklage. Die zuständige Generalstaatsanwaltschaft sah das identisch. Als letzte Möglichkeit bleibt in solchen Fällen der Versuch einer Klageerzwingung. Versuchen kann man es, auch wenn die Chancen als minimal gelten. Die Mutter der Achtjährigen, Ruslana K., wandte sich ans Oberlandesgericht Bamberg. Und dieses sah hinreichend Anlass dafür, die Akten an die Staatsanwaltschaft zurückzuschicken. Mit der Bitte um Prüfung, ob in dem Fall erneut ermittelt werden muss.

Ein extrem seltener Fall. Und das schon deshalb, weil die Staatsanwaltschaft plötzlich etwas ermitteln soll, was sie nach monatelanger Arbeit für nicht anklagewürdig gehalten hat. Nun aber müssen sich der inzwischen pensionierte Bademeister und die Betreuerin eben doch verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Bademeister vor, er habe im Büro Zeitung gelesen, als Vanessa ertrank. Wegen der leicht abgesenkten Wasseroberfläche habe er die Unglücksstelle auch nicht vollständig einsehen können. Vanessas Tod sei für ihn "vorhersehbar und vermeidbar" gewesen.

Die angeklagte Betreuerin wiederum habe sich nicht in ausreichendem Maße über die schwimmerischen Fähigkeiten von Vanessa informiert, ist die Staatsanwaltschaft nun überzeugt. Auch habe sie für etwa eine oder zwei Minuten ihren Beobachtungsposten verlassen, um Geld für Eis zu holen. "Bei gebotener und möglicher Aufmerksamkeit wäre ihr das Untergehen des Kindes aufgefallen", erklärt der jetzt anklagende Staatsanwalt in Kulmbach.

Die Angeklagte erklärt, sie sei davon ausgegangen, Vanessa habe das Seepferdchen. Das habe ihr die Achtjährige so gesagt. Auch sei klar gewesen, dass die Gruppe bei schönem Wetter ins Bad gehe. Sie habe noch gesehen, wie Vanessa an ihrer Tauchbrille hantierte und Anstalten machte, danach zu tauchen. Schriftlich habe man sich nie Bescheinigungen vorlegen lassen übers Schwimmvermögen der Kinder: "Wir sind ein Verein, die Erfahrung hat gezeigt, dass Eltern mit Betreuern sprechen." In dem Fall hat das offenbar nicht hinreichend funktioniert. Vanessa hatte kein Seepferdchen. Und konnte nicht schwimmen. "Ich bin davon ausgegangen, dass Eltern Verantwortung übernehmen und entsprechende Schwimmhilfen mitbringen", sagt die Betreuerin, bevor sie in Tränen ausbricht. Vanessa hatte zwar eine Schwimmbrille, nicht aber Schwimmflügel dabei.

Auch Vanessas Mutter weint. Sie berichtet, wie sie ihre Tochter an dem Tag ausnahmsweise abholen wollte. Normalerweise machte das ihr getrennt von ihr lebender Mann, er hat ein Auto und ihr Deutsch war damals noch schlecht. Sie sei davon ausgegangen, dass ihre Tochter ausschließlich ins Nichtschwimmerbecken dürfe. Als sie im Bad ankam, kreiste "schon ein Hubschrauber". Ihr Mann erklärt, er habe die Betreuerin sehr wohl einmal informiert, dass Vanessa nicht schwimmen kann.

Der frühere Bademeister ist seit dem Unfall in psychologischer Behandlung. Er lässt seinen Anwalt aufzählen, was er als Gemeindearbeiter und oft einziger Bediensteter im Bad dort alles habe machen müssen. Bodensauger, Wasseraufbereitungsanlage, Kasse - die Aufzählung geht über Minuten. Er sieht sich "öffentlich diffamiert", als Opfer einer "Hexenjagd". Dass er Zeitung gelesen habe, stimme einfach nicht. Er habe nie eine Zeitung im Bad dabei gehabt. Der Prozess wird fortgesetzt.

© SZ vom 09.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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