Prozess:Aus einer Warze wurde Krebs

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Frau verklagt Orthopäden, der seine Praxis für OP zur Verfügung stellte

Von Dietrich Mittler, München

Thomas Stelzner, Vorsitzender Richter am Landgericht München II, ist nicht-alltägliche Fälle gewohnt, in denen Patienten ihre Ärzte auf Schadenersatz verklagen. Dieses Zivilverfahren, das Stelzner am Dienstag eröffnete, ist in der Tat außergewöhnlich: Ein Orthopäde aus dem oberbayerischen Holzkirchen wurde von einer ihm bestens bekannten Kollegin gefragt, ob sie in seiner Praxis bei ihrer Freundin am Knie eine Warze entfernen könne. Der Orthopäde sah keinen Grund, diese Bitte abzulehnen - Freundschaftsdienst. Die Warze wurde entfernt und dann Gewebe daraus zur histologischen Untersuchung geschickt. Um zu klären, ob es sich dabei möglicherweise um bösartiges Gewebe handelt. So weit alles Routine.

Was dann geschah, gleicht indes einem Albtraum. Als der histologische Bericht vorlag, entnahm ihm die Ärztin nur Folgendes: "Klinische Angaben gesichert: Hautwarze linkes Knie". Ob sie das so am Telefon erfahren habe oder ob sie das Schwarz auf Weiß gelesen habe, könne sie jetzt nicht mehr sagen. Jedenfalls habe sie sich damals gewundert über diese aus ihrer Sicht atypischen Angaben aus der Histologie. Sie habe sich gefragt: "Was ist denn das für eine Diagnose?" Sie schloss aber daraus, dass das entnommene Gewebe tumorfrei sei.

Das teilte sie so ihrer Freundin mit. Zwei Jahre später wurden bei der Patientin Metastasen in den Lymphknoten in der Leiste diagnostiziert, Krebs. Für Richter Stelzner Grund genug zur Bemerkung, warum die Ärztin angesichts der aus ihrer Sicht befremdlichen Angaben nicht bei der Histologie nachgefragt habe? Dazu habe sie keinen Grund gesehen, sagt sie. Bei ihrer damaligen Freundin habe ja kein Krebsverdacht bestanden.

Nun also fordert die Patientin Schadenersatz. Ihre Klage richtet sich indes gegen den Orthopäden, der seine Praxis zur Verfügung gestellt hatte. Über ihn wurde schließlich die Behandlung abgerechnet, da die Ärztin selbst keine Kassenzulassung hat. Die Patientin hat die mit ihr zuvor befreundete Medizinerin, wohl aus prozesstaktischen Gründen, nun zwar nicht verklagt, doch auch für die Ärztin wird der Ausgang des Schadenersatz-Verfahrens letztlich als Mitbeteiligte nicht folgenlos bleiben. Der Orthopäde selber ist sich unterdessen keiner Schuld bewusst. Er gab am Dienstag an, die Patientin hier im Gerichtssaal das erste Mal gesehen zu haben. Dennoch habe er das histologische Labor, nachdem ihm der Vorfall in seinem ganzen Ausmaß bewusst wurde, streng ins Gebet genommen: Man müsse einen Krebsbefund doch bitte auf der ersten Seite des Befunds gleich oben gut sichtbar platzieren und nicht erst weiter hinten. Auch er als Außenstehender habe sich bei dem Bericht der Histologie gewundert.

Der Fall ist indes noch komplizierter. Dem Gericht liegen offenbar noch nicht alle die Klägerin betreffenden Angaben aus der Patientenakte vor. Zudem hat ihre Anwältin dem Gericht mehrere Befunde der Histologie vorlegen können, die wohl in der Praxis des Orthopäden eingetroffen waren - "ohne Eingangstempel", wie sie sagt. Aus einem dieser Befunde, den das Gericht im Verfahren zur Kenntnis nahm, geht bereits auf Seite eins hervor, dass in der Gewebeprobe der Patientin bösartiges Gewebe gefunden wurde. Nun soll ein Sachverständiger klären, ob es der Patientin genutzt hätte, wenn sie den Befund gleich und nicht erst gut zwei Jahre später erhalten hätte.

© SZ vom 15.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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