Passau:16 Stunden Demütigung

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Unter falschem Verdacht: Alexandra Z. wurde an der Grenze von der Polizei festgenommen. (Foto: Natalie Isser)
  • Eine 29-Jährige aus München macht sich per Mitfahrgelegenheit auf den Heimweg von Wien.
  • Am Grenzübergang bei Passau gerät sie unter Schleuserverdacht - und wird 16 Stunden lang festgehalten.

Von Bernd Kastner, Passau

Alexandra Z. war übers Wochenende in Wien und wollte einfach heim, nach München. Das Problem war, dass sich über Nacht eine Grenze aufgebaut hatte. Weil sie wusste, dass es mit den Zügen schwierig ist, suchte sie sich eine Mitfahrgelegenheit im Auto, zu dritt machten sie sich auf den Weg. Sie kamen aber nur bis zum Grenzübergang Wegscheid bei Passau: Dort, so berichtet die 29-jährige promovierte Psychologin, geriet sie unter Schleuserverdacht. Sie erlebte 16 quälende, demütigende Stunden, denn ungefähr so lange habe die Polizei sie festgehalten. Sie fand sich plötzlich in einem Container mit echten Schleusern wieder; sie musste sich für die Polizei sogar nackt ausziehen.

Montagabend. Die drei nehmen, um dem Stau auf der Autobahn zu entgehen, eine Landstraße, erzählt Alexandra Z. Plötzlich tauchen zwei Menschen in der Dunkelheit vor ihnen auf, sie hätten sie mit dem Wagen beinahe erfasst. Die drei im Auto nehmen die Personen mit, um sie zur nächsten größeren Straße zu bringen, schließlich ist es nebelig. Als sie bemerken, dass sie zwei syrische Flüchtlinge eingeladen haben, wird ihnen mulmig. Sie bitten die beiden wenig später, auszusteigen, denn sie wollen nicht als Schleuser gelten.

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Als die drei eine Kontrollstelle erkennen, lassen sie ihr Auto stehen und gehen die letzten 50 Meter zu Fuß. Bloß nichts falsch machen. Da sitzen sie aber schon in der Falle: Denn kurz vor ihnen erklären die beiden Syrer den Polizisten, dass sie von den dreien mitgenommen worden seien. Damit gelten Alexandra Z. und die beiden Mitfahrer als Schleuser.

Denn ohne es zu realisieren, befanden sie sich in diesem Moment schon auf deutschem Boden. Sie wurden festgenommen. "Am Anfang dachte ich noch, das wird sich alles gleich klären", sagt Z. Aber als sie von den Polizisten aufgeklärt werden, dass sie sich durchsuchen lassen müssten, wird ihr ganz anders. Z. will, so berichtet sie, mit irgendeinem Polizisten reden und ihm die Situation erklären, den Albtraum beenden. Allein, niemand will ihre Aussage zu Protokoll nehmen.

Es ist kalt. Ihre Jacke liegt im Auto, sie will sie holen. Das darf sie aber nicht, denn das Auto steht auf dem Territorium der Republik Österreich, die deutschen Polizisten lassen sie nicht mehr zurück. Zwei, drei Stunden, so erinnert sich Z., muss sie in der Kälte warten, es ist mitten in der Nacht. Telefonieren ist verboten. Sie darf weder die Mutter anrufen, die sich Sorgen macht, noch in der Arbeit, der Uni-Klinik. Einen Anwalt, der sie rausholen könnte, darf sie ebenfalls nicht kontaktieren. Es ist, als wäre Alexandra Z. in einer Geschichte Kafkas gelandet.

Irgendwann bringt man sie auf eine Polizeidienststelle in Passau. Wieder muss sie warten. Wohin mit den "Schleusern"? Weiter zu einer Erfassungsstelle für Flüchtlinge. Dort steht ein Container für festgenommene Schleuser, er wird auch für Z. zum Warteraum: Fünf Schleuser plus die drei der Fahrgemeinschaft. Stunde um Stunde vergeht, Polizisten kommen, Polizisten gehen, Schichtwechsel, aber keiner will wissen, was sie zu sagen hat. Damit nicht genug. Alexandra Z. muss sich komplett nackt ausziehen, Schleuser müssen gründlich durchsucht werden. "Demütigend" sei das gewesen, erzählt Alexandra Z. "Ich habe mich hilflos gefühlt. Die haben uns behandelt wie Verbrecher."

Warum dürfen wir keine Aussage machen, fragt sie immer wieder. Warum hört keiner zu? Die Fragen sind noch immer unbeantwortet. Weder Bundes- noch Landespolizei äußerten sich bis Donnerstagnachmittag zu den Fragen der SZ.

Erst nach etwa elf Stunden darf das Trio aus dem Auto doch noch telefonieren und einen Anwalt informieren. Erst jetzt hören die Polizisten ihnen zu. Bloß zehn Minuten habe diese Vernehmung gedauert, berichtet Z., dann habe sich alles aufgeklärt. Die angebliche Schleuserin ist wieder frei.

© SZ vom 18.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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