Oberpfälzer Unternehmer:Der Mann, der die Mauer schredderte

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Winfried Prems ganz persönliches Mauerstück steht vor seiner Garage, 3,20 Meter hoch, fast drei Tonnen schwer. (Foto: Gabi Schönberger)

Nach der Wende hat der Oberpfälzer Winfried Prem in seiner Abbruchfirma Teile der Grenzanlagen zu Staub zermalmt - und ging später pleite. Ein paar Meter Mauer allerdings besitzt er noch. Und damit hat er große Pläne.

Von Wolfgang Wittl, Weiden

Ein paar Gegenstände in Winfried Prems Büro erinnern heute noch an die glorreiche Zeit, als er Teile der deutschen Geschichte buchstäblich zermalmt hat: Aus einem Blumentopf am Fenster ragt ein Papierfähnchen mit dem Berliner Bären, in drei Regalreihen stehen Miniaturmodelle von Baggern und Kränen mit seinem alten Firmenemblem, Zeitungsartikel künden von den Jahren, in denen er der wohl gefragteste Mann seiner Branche war. Und dann hängt da natürlich das gemeinsame Foto mit Prinz Charles, dem britischen Thronfolger. Es zeigt beide auf der Baustelle, auf der Prem mit seinen Leuten die Berliner Mauer geschreddert hat.

Wenn Winfried Prem, 65, zu seiner Zeitreise in die Wendejahre ansetzt, beginnen seine Augen zu leuchten. Es ist die Geschichte eines Mannes, der Millionen verdient und fast alles verloren hat; der im Berliner Rampenlicht stand und nun wieder in Muglhof lebt, einem 25-Häuser-Dörfchen bei Weiden in der Oberpfalz; der mit dem Wissen von heute vieles anders machen würde und trotzdem nur wenig bereut.

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Es ist 1987, als der Weidener Abbruchspezialist Prem auf der Suche nach Aufträgen in Berlin landet - einer Stadt, die ihn schon immer fasziniert hat. Ein Zauderer war er noch nie: Als er bei einer Molkerei nicht zum Zug kommt, hört er, dass Rudolf Heß gestorben ist. Also fragt Prem im Senat an, ob er nicht das Kriegsverbrechergefängnis Spandau abreißen dürfe. Auch daraus wird nichts. Als ein Beamter ihm nachruft, er, der kleine Bayer, werde hier nie Fuß fassen, fühlt er seinen Kampfgeist erst recht geweckt. "Ich komme wieder", erwidert Prem, "aber nicht alleine."

Ein Anruf aus Ost-Berlin

Tatsächlich kehrt er zurück, diesmal nur auf der anderen Seite des damals noch geteilten Berlin. Bei einer Fahrt auf der Transitstrecke sieht Prem Haufen von Steinen, die nur darauf warten, zerkleinert zu werden. Kurzerhand fährt er beim Bauminister der DDR vor, um neue Aufträge an Land zu ziehen. Fast zwei Stunden dauert das Gespräch, am Ende entfährt Prem der Satz: "Das richtige Futter für meine Maschine wäre aber die Mauer." Das, bescheidet ihm der Minister, "werden wir beide nicht mehr erleben". Seine Visitenkarte hinterlässt Prem trotzdem. Im Frühjahr 1990 erhält er einen Anruf aus Ost-Berlin.

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Bei einer offiziellen Ausschreibung hätte der Kleinunternehmer vermutlich keine Chance gehabt. Doch die Zeit drängt, Prems Stunde hat geschlagen. Die Nationale Volksarmee (NVA), sein Auftraggeber, ist von seinen Maschinen begeistert. DDR-Arbeiter liefern an zwei Plätzen Hunderte Lastwagenfuhren mit Mauerteilen und Wachtürmen an, die in Prems Anlagen zu Betonschutt zerbröselt werden. Doch auch ein Sportwagen fährt vor. Sein Besitzer will Prem den Auftrag für sieben Millionen Mark abkaufen, 1,5 Millionen Mark zeigt er ihm bar in einem Koffer. "Damit wollte er mich ködern", doch Prem wehrt ab.

Die Aufmerksamkeit gefällt dem Mann, der merkt, dass er mit seiner Arbeit Historisches vollbringt. Ein Fernsehsender nach dem anderen stellt sich vor, Journalisten aus Europa, Japan und den USA hängen an seinen Lippen. "Ich war 40 Jahre alt, die Öffentlichkeit hat mich gereizt", gibt Prem zu. Ohne Punkt und Komma habe er geredet, in dieser Hinsicht hat sich bis heute wenig geändert. Jede seiner Anekdoten kann Prem mit Schriftstücken aus einem seiner unzähligen Aktenordner belegen.

Ein Zeitungsartikel etwa dokumentiert, wie ihn im September 1990 zwei NVA-Offiziere mit einem kuriosen Geschenk in Muglhof besuchen. Für seine Verdienste um die Mauer-Beseitigung haben sie Prem einen olivgrünen Kübelwagen mitgebracht, ein Trabant-Cabrio, Baujahr 1984, das ihm heute noch gehört. Obendrein ernennen sie ihn zum Ehrenmajor, die Uniform ist bei der Beförderung inklusive.

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Nur von dem Geld von damals ist nichts mehr geblieben. Prem erweist sich zwar als geschäftstüchtig, aber offenbar nur bedingt als geschäftstauglich. "Einer der Reichsten der Gegend" könnte er sein - wäre er oft nicht "zu gutmütig" gewesen oder hätte er nicht "den falschen Menschen vertraut". Vor allem in seiner Heimat geht manches schief. Vielleicht, sinniert Prem, wäre er besser für immer in Berlin geblieben. 1997 muss er mit seinen Firmen Insolvenz anmelden. Vor zwei Jahren erlitt er nach einem Autounfall eine Gehirnblutung, die ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Seine größte Freude sind seine drei Enkelkinder - und die Musik, die ihn seit 40 Jahren begleitet. Bei Partys tritt der Rentner als Alleinunterhalter auf.

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Geld habe ihm nie viel bedeutet, sagt Prem. 21 Mark und 50 Pfennige bekam er für jede der fast 200 000 Tonnen Beton-Granulat - zusätzlich zum Auftragshonorar. Doch was zählt das schon im Vergleich zu der historischen Dimension seiner Arbeit? Der Schutt aus Mauern und Wachtürmen dient längst als Fundament für Hauptstadtstraßen, die - Ironie der Geschichte - Ost und West nun miteinander verbinden. Mehr als 100 der rund 165 Kilometer langen Berliner Mauer hat Prem mit seinem Betrieb entsorgt, das erfüllt ihn erklärtermaßen mit Stolz. Über "dumme Sprüche", er hätte die Mauer lieber höher bauen sollen als sie zu zerstören, kann der 65-Jährige bis heute nur den Kopf schütteln: "So etwas kann nur jemand sagen, der diese Zeit nicht aktiv erlebt hat."

Wobei: Ein bisschen Mauer übrig zu lassen, wäre dann doch nicht verkehrt gewesen, findet Prem. Die paar Mark, die er für Zentner von Resten erlöste, erzielten andere bereits durch kleine Stückchen. Einige Meter Mauer hat Prem noch, er hatte sie als Schutzwall für seine Maschinen aufgestellt und seiner Frau inzwischen zum Geburtstag geschenkt. Ein Teilstück hat er unlängst Kanzlerin Angela Merkel als Denkmal vor dem Reichstag angeboten, die Antwort steht noch aus. Vor gut 20 Jahren hatte er überlegt, auf einem Bauernhof nahe Berlin ein Museum einzurichten - dass er es nicht getan hat, ist eine der wenigen Sachen, denen er nachtrauert.

Das möchte er nun mit einem mobilen Museum für Schulklassen nachholen. Auch ein Buch würde er gerne schreiben. Derzeit ist Winfried Prem aber noch damit beschäftigt, vor seiner Garage selbst ein Originalstück der Mauer aufzustellen: 3,20 Meter hoch, fast drei Tonnen schwer - "und das mitten in Muglhof, ist das nicht ein Wahnsinn"?

© SZ vom 07.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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