Neustadt an der Waldnaab:"Ich bin nicht euer Depp!"

Lesezeit: 2 min

  • Kommunalpolitiker bekommen in Deutschland häufig Hass-Botschaften wegen ihrer Flüchtlingspolitik angefeindet. Nach einer Umfrage wird jeder zweite deutsche Bürgermeister angefeindet.
  • Der Oberpfälzer Landrat Andreas Meier (CSU) wehrt sich nun. "Bin ich denn hier eigentlich für jeden der Depp?", fragt er auf Facebook.
  • Ein SPD-Bürgermeister solidarisiert sich mit Meier und fordert: Wenn die Anfeindungen zu krass werden, müssten Kommunalpolitiker zur Polizei gehen.

Von Andreas Glas, Neustadt a.d. Waldnaab

Zwischen den Geranien am Fensterbrett steckt ein Stinkefinger aus Holz und damit jeder weiß, wem der Finger gilt, steht auf dem Plakat daneben der Name des Landrats von Neustadt an der Waldnaab: Andreas Meier (CSU). Woher die Wut des Mannes kommt, der hinter dem Fenster wohnt, das weiß Landrat Meier nicht so genau.

Aber die Sache hat ihn an die Hasspost erinnert, die er kriegt, seit die Flüchtlinge so zahlreich kommen, und deswegen ist ihm jetzt der Kragen geplatzt. "Ja, sag mal, bin ich denn hier eigentlich für jeden der Depp?", fragte der Landrat am Mittwoch auf Facebook - und antwortete darauf gleich selbst: "Ich bin nicht euer Depp!"

Mit dem Facebook-Post wehrt sich Andreas Meier nicht nur gegen die Anfeindungen, die er selbst erlebt hat, er spricht auch im Namen von "Bürgermeistern und Landräten im Kollegenkreis". Von denen höre er immer wieder, dass sie "im Amt übelst beleidigt, angegriffen oder in sonst irgendeiner Art und Weise diffamiert werden". Für Meier offenbar der Anlass, um klarzustellen, "wo die Grenze ist zwischen sachlicher, vielleicht berechtigter Kritik und Diffamierungen und Beleidigungen".

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Er findet, Politiker seien "letztlich auch nur Menschen, die versuchen, bestmöglich ihre Arbeit zu machen". Den Mann hinter dem Fenster mit dem Stinkefinger hat der Landrat deshalb wegen Beleidigung angezeigt - und erhält auf Facebook viel Zuspruch für seinen Deppen-Post.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Kommunalpolitiker angefeindet wird. Im Juni hatte das Magazin Kommunal eine Umfrage unter 1000 deutschen Bürgermeistern veröffentlicht. Fast jeder zweite wurde demnach schon wegen seiner Flüchtlingspolitik beleidigt, bedroht oder angegriffen. Für Bayern gibt es keine separaten Zahlen, aber Beispiele.

Im März 2015 beschmierten Unbekannte das Haus des Hofer Oberbürgermeisters Harald Fichtner (CSU) mit Hakenkreuzen, Roland Dörfler (Grüne) erhielt im Juni 2015 als Dritter Bürgermeister von Pfaffenhofen an der Ilm gar Morddrohungen wegen seines Engagements für die hiesige deutsch-türkische Gemeinde. Dazu kommen zahlreiche Fälle, in denen Bürgermeister oder Landräte in E-Mails und Briefen beschimpft wurden.

Kommunalpolitiker - die Deppen für alles?

So war es auch bei Sebastian Koch (SPD), Bürgermeister der Oberpfälzer Gemeinde Wenzenbach. Mehrmals erhielt er Hassbriefe, in denen er als "Asylantenbürgermeister" bezeichnet wurde und Flüchtlinge als "Fressfeinde der Nation". Anstelle des Doppel-S im Wort "Fressfeinde" waren auf dem Briefpapier SS-Runen abgebildet.

"Als Kommunalpolitiker bist du immer der Depp für alles, das zeigt sich in Asylfragen besonders", sagt Koch und solidarisiert sich auch im Wortlaut mit dem Neustädter Landrat. Wenn die Anfeindungen zu krass seien, müsse sich auch ein Kommunalpolitiker zu Wehr setzen dürfen und zur Polizei gehen. "Ich bin das beste Beispiel, dass eine Anzeige Erfolg haben kann", sagt Sebastian Koch und verweist darauf, dass die Absenderin der Wenzenbacher Nazi-Botschaften mittlerweile von der Polizei identifiziert werden konnte. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die pensionierte Lehrerin aus dem Raum Regensburg.

Ansonsten empfiehlt Koch seinen Kollegen, die Hasspost zu ignorieren und in den Papierkorb zu werfen. "Originell wäre es aber auch, die besonders dümmliche Post aufzuheben und eine Ausstellung daraus zu machen. Das hätte bestimmt Unterhaltungswert", sagt Koch.

© SZ vom 23.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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