Neue "Nabucco"-Inszenierung:Kampfzone Oberammergau

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(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Eine Oper als Passionsspiel: Regisseur Christian Stückl lotet in Verdis "Nabucco" das Elend der Welt aus - mit Kalaschnikows.

Von Hermann Unterstöger

Wer in den "Nabucco" geht, bringt außer der Liebe zu Verdis Musik in aller Regel auch seine speziellen "Nabucco"-Erfahrungen mit. Die einen waren in der Arena von Verona und schwärmen bis heute davon, dass die Solddaten, die zu Beginn auf die Bühne stürmten, ausrutschten und der Länge nach hinschlugen - es hatte bis kurz zuvor geregnet.

Die anderen waren in Dresden und erregen sich bis heute darüber, dass Peter Konwitschny in der Semperoper Panzer hatte auffahren lassen. "Als ob es damals schon Panzer gegeben hätte", sagte eine Frau vor der Oberammergauer "Nabucco"-Premiere am Freitag, und ihr Mann nickte so grimmig, dass man im Interesse von Regisseur Christian Stückls Wohlergehen nur auf eine möglichst panzerfreie Interpretation hoffen konnte.

Keine Panzer, dafür Kalaschnikows

Nun, es hat nicht geregnet, das hatte es tagsüber getan, und Panzer spielen auch nicht mit. Die Gegenwart zeigt trotzdem ihr unerfreuliches Gesicht, indem die Soldaten keine Märchenkrieger aus uralten, längst nicht mehr schmerzenden Zeiten sind, sondern Kämpfer, wie man sie dank dem Fernsehen aus den aktuellen Krisengebieten kennt: Männer in staubigen beigen Kampfanzügen und bewaffnet mit Kalaschnikows, die einzusetzen sie hin und wieder deutliche Lust ahnen ließen.

Festspiele in Oberammergau
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Christian Stückl, der Oberammergauer Spielleiter, zeigt schon bei der Passion Dekade für Dekade, dass er nicht geneigt ist, den Leuten eine milde Ölbergandacht vorzusetzen. Sein Jesus ist ein Revoluzzer, und entsprechend kräftig trägt Stückl bei der deutenden Erzählung auf. So hält er es auch bei den die passionsfreie Zeit überbrückenden weltlichen Festspielen, wobei ja das von Schuld und Erlösung handelnde Sujet des "Nabucco" mit dem der Passionsspiele in einem höchst sinnreichen Zusammenhang steht - für die in Bibelbezügen von Kind auf geübten Oberammergauer sozusagen "a gmahde Wiesn".

Die Kostüme stehen für Millionen Menschen im Elend

Da die Oberammergauer Bühne keine Verwandlungen zulässt, hat Stefan Hageneier sie mit einem gesamtorientalischen, an Säulen reichen Bauwerk ausgekleidet, das einmal Tempel ist, einmal Palast, und das vor allem der Menge der Hebräer die schönsten Auf- und Abtrittsmöglichkeiten bietet. Weniger neutral präsentieren sich seine Kostüme. Sie sind von selbstverständlich kunstvoller Ärmlichkeit, dazu schwer vom Wüstenstaub, und die darin stecken, stehen für die Millionen, die vor lauter Hass, Krieg und Elend nicht wissen, wohin auf dieser Welt.

In dieser Szenerie werden die Hebräer hin- und hergescheucht, und man muss zu ihrem Ruhm sagen, dass sie unter diesen Umständen den denkbar besten Chor abgeben. Markus Zwink, wie Hageneier ein Mann der Passion, hat die Leute dank seiner Erfahrung im Umgang mit "Turbae" dazu gebracht, dass sie wie mit einer Stimme künden, wovon ihnen das Herz brennt: von Angst, Wut, Hoffnung, Gottvertrauen. Im Graben unter ihnen sitzen die jungen Künstlerinnen und Künstler der Neuen Philharmonie München, die unter Ainars Rubikis' souveräner Leitung das Meer der klangreichen Partitur professionell sicheren Schritts durchqueren.

Nabucco reitet wie eine Königskarikatur ein

Halt und Stütze der Hebräer ist der Hohepriester Zaccaria, den Bálint Szabó mit ebenso hoher stimmlicher wie moralischer Autorität gibt. Zwischen allen Stühlen, insbesondere zwischen zwei leidenschaftlichen Frauen, steht der vornehme Ismaele, eine Rolle, die der in jeder Hinsicht stattliche Attilio Glaser mit vergleichbarer Leidenschaft verkörpert.

Was besagte Frauen angeht, so wird Fenena, die Gute in dem oft verwirrenden Spiel, ständig als Gefangene herumgeschoben; Virginie Verrez schafft es trotz dieses Handicaps, schön und edel zu bleiben, eine Jeanne d'Arc des hebräisch-assyrischen Durcheinanders. Ihren Widerpart, die niedrig geborene, aber auf den Thron versessene Abigaille, verkörpert Irina Rindzuner mit beklemmender Authentizität. Obwohl sie mit ihrem Lockenkopf beinahe aussieht wie eine von Velazquez gemalte Infantin, ist sie an Stimme und Bosheit so gewaltig, dass einem anders wird.

Im "Nabucco" ist natürlich Nabucco die Hauptperson; so auch hier. Evez Abdulla ist der Star des Abends, was man zunächst, wenn er wie eine Königskarikatur auf seinem Pferd einreitet, nicht vermuten möchte. Dann aber klopft das Schicksal auch bei ihm mächtig an, und wenn er schließlich - Opfer des Früchtchens, das er großgezogen hat - ganz tief im Elend sitzt, wächst diesem Sänger zu seiner stimmlichen Gewalt eine Dimension im Menschlichen zu, die ans Herz rührt.

Nicht auszudenken, wenn Abdulla auch noch hätte darstellen müssen, was Nabucco alias Nebukadnezar dem Buch Daniel zufolge wirklich widerfuhr: dass er für seinen Hochmut sieben Jahre lang Gras fressen musste wie ein Ochse. Wir hätten vor lauter Weinen möglicherweise nicht tun können, was wir gerne taten: applaudieren, dass das Passionsspielhaus bebte.

© SZ vom 06.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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