Naturschutz:Bayerns Bäche leiden

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Nur 15 Prozent der Bäche sind in einem guten Zustand. (Foto: Günther Reger)
  • In Bayern gibt es etwa 137 000 Bäche. Nur etwa 15 Prozent von ihnen sind in einem ökologisch gutem Zustand.
  • Grund sind beispielsweise Kanalisierungen, Kunstdünger und Drainagen.
  • Das Landesamt für Umwelt will dagegen ankämpfen.

Von Christian Sebald

Die Nendlnach nahe Grafenau im Bayerischen Wald entspringt in einer Senke und fließt nur wenige hundert Meter hinab zu einem Wäldchen. Dahinter mündet sie in die Ilz. Früher war sie mal ein idyllischer Wiesenbach. Oben an der Quelle speiste sie einen Löschteich, dann schlängelte sie sich in kleinen und größeren Kurven durch die Wiesen. An ihren Ufern wuchsen Weidenbüsche und Stauden, zwischen denen Libellen herumschwirrten. Im Wasser der Nendlnach tummelten sich allerlei Kleinkrebse und anderes Getier.

"Und in der Laichzeit sind von der Ilz die Bachforellen hinaufgezogen", sagt Wolfgang Reichenberger, 68. Er engagiert sich seit Jahren in seiner Heimatstadt Grafenau für den Vogelschutzbund LBV und ist ein Kenner der kleinen und größeren Bäche in der Region. Dass er mal Banker war, merkt man ihm nicht an, so wie er in seinem bunten Freizeithemd und den klobigen Schuhen über die Wiesen stapft.

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Die guten Zeiten der Nendlnach liegen lange zurück. Seit fast 50 Jahren ist sie ein recht armseliges Gewässer. Keinen halben Meter breit fließt sie auf direktem Weg durch die Senke in Richtung Ilz. Maisäcker reichen unmittelbar an die Ufer heran. Das Bachbett ist tief im Boden eingegraben und mit Betonsteinen ausgekleidet. Eigentlich ist die Nendlnach kein Bach mehr, sondern ein Kanal. Das Wasser in dem Betonbett plätschert nicht mehr. An den Ufern schießen statt Weidenbüschen immer wieder Brennnesseln in die Höhe. Sie zeigen an, dass die Bauern hier überreichlich düngen - und zwar bis direkt an die Bachränder. Die Libellen sind verschwunden. In der Nendlnach leben auch kaum noch Krebse und anderes Getier. Und seit vielen Jahren ziehen keine Bachforellen mehr von der Ilz herauf.

So trist wie die Nendlnach sieht die übergroße Mehrheit der Bäche im Freistaat aus. "Wir haben in Bayern ungefähr 137 000 Bäche", heißt es am Landesamt für Umwelt (LfU), wo alle Daten über die Gewässer zusammenfließen. "Dazu zählen auch ganz kleine, die nur zeitweise Wasser führen, und Gräben." Nur etwa 15 Prozent, das sind 21 000 Bäche, sind laut Bundesregierung in ökologisch gutem oder sehr gutem Zustand - also so, wie die Nendlnach einst war. Die anderen 116 000 sind kanalisiert und begradigt. Sie fließen über Beton statt über natürlichen Untergrund. Unter Straßen und Wegen müssen sie sich durch enge Betonröhren hindurchzwängen. In andere hat man Sohlschwellen und Abstürze hineingebaut.

So wie die Bäche, so wurden auch die Landschaften um sie herum dramatisch verändert. Mit zahllosen Drainagen haben Landwirte die Wiesen trockengelegt, die an sie angrenzen. Die meisten wurden längst in Äcker umgewandelt - vor allem für Mais. Auf ihnen bringen die Bauern massenhaft Gülle und Kunstdünger aus, die auch die Bäche belasten. Wenn es stark regnet, wird bisweilen tonnenweise Erdreich in die Bäche geschwemmt.

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Dabei sind lebendige Bäche extrem wichtig - für das Landschaftsbild genauso wie für Flora und Fauna und für den Hochwasserschutz. Letzteres hat die Jahrhundertkatastrophe vor gut einem Jahr in Simbach am Inn eindringlich klar gemacht. Damals fiel über der Region extremer Sturzregen vom Himmel. Für gewöhnlich führt der Simbach keinen halben Meter Wasser. Doch an diesem Tag schwoll er binnen Stunden auf fünf Meter Höhe an und sprengte eine Straße.

Die braunen Fluten, die sich durch das Zentrum des Städtchens zum Inn wälzten, zerstörten Hunderte Häuser, viele davon mussten abgerissen werden. Das Schlimmste freilich war: In den Fluten starben fünf Menschen. "Wir müssen unseren eingezwängten und betonierten Bächen wieder sehr viel mehr Platz geben", sagt der LBV-Chef Norbert Schäffer, "aus Gründen des Naturschutzes wie der Hochwasservorsorge."

Dazu gibt es einige Initiativen: Am LfU halten sie Broschüren und Materialien bereit. Außerdem bieten sie allerlei Infoveranstaltungen an - für Gemeinden, Bachanrainer und interessierte Laien. Auch das Landwirtschaftsministerium ist aktiv. So hat Agrarminister Helmut Brunner die Initiative "boden:ständig" etabliert, die am Beispiel von 30 Modellprojekten in Bayern zeigen will, dass es oft nur wenige gezielte Maßnahmen braucht, damit es den kleinen und großen Bächen, aber auch den Landschaften um sie herum sehr viel besser geht. Angesichts der Fülle der Aufgaben kommen die bisherigen Initiativen allerdings eher schleppend voran. So summieren sich die Renaturierungsmaßnahmen, die sie derzeit am Agrarministerium vorantreiben, nur auf etwa 50 Bachkilometer. Für mehr fehlen die Kapazitäten.

Deshalb unternimmt nun der LBV einen Vorstoß. Sein Projekt heißt "Lebendige Bäche in Bayern". Die beiden LBV-Experten Sandra Sieber und Maximilian Sehr haben sich elf ländliche Kommunen im Freistaat vorgenommen und in ihnen sämtliche Bäche erfasst und bewertet. Das Spektrum reicht von Dammbach im Spessart über das oberpfälzische Vilseck und die Bayerwald-Stadt Grafenau bis hin zum oberbayerischen Landsberg am Lech. Mit den Daten entwickeln Sieber und Sehr Konzepte, wie man den Bächen helfen könnte.

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"Manchmal ist das ganz einfach", sagt Sehr. "Der Dammbach im Spessart etwa ist nach wie vor ein weitgehend natürlicher Bach." Das einzige Problem ist die hohe Stickstoffbelastung des Wassers, in ihm wuchern überall Blaualgen. Das rührt von den Rindern her, die direkt an seinen Ufern im Talgrund weiden. "Wir haben der Gemeinde ein gewässerschonendes Weidekonzept vorgeschlagen", sagt Sehr. "Wenn das umgesetzt wird, ist am Dammbach alles in Ordnung."

Andernorts wie in Vilseck in der Oberpfalz hat die Gemeinde schon vorgearbeitet. "Da haben sie viele Ideen für Renaturierungen", sagt Sehr. "Aus irgendwelchen Gründen ist das Ganze aber eingeschlafen." Sehr will jetzt Gemeinde, Bauern und Naturschützer an einen Tisch bekommen, um die Renaturierungen voranzutreiben. "Das ist oft sehr mühselig", sagt Sehr, "schon weil die wenigstens Bauern Grund abtreten wollen."

Die Mühsal lohnt sich aber. Auch das kann man in Grafenau besichtigen. Und zwar am Haselbach, der nur einen Höhenzug von der Nendlnach entfernt zur Ilz fließt. Auch er war bis vor wenigen Jahren komplett zugebaut und kanalisiert. Dann haben Naturschützer und Behörden oben an der Straße ein Rückhaltebecken vergrößert, damit die Straßenabwässer nicht mehr ungefiltert abfließen. Außerdem haben sie die Betonsteine und Uferbefestigung entfernt, damit sich der Haselbach wieder ein kurvenreiches Bett graben kann. Auch die Bauern lassen einen Streifen am Ufer frei, dort blüht jetzt das Mädesüß.

Direkt am Wasser, das munter über die Granitstein plätschert, kann man auch allerlei Seggen bewundern. Zwischen jungen Weiden fliegen blaue Prachtlibellen umher. In der Laichzeit schwimmen endlich wieder Forellen aus der Ilz in den Haselbach hinauf. "Und unten am Wald", sagt Wolfgang Reichenberger sichtlich stolz, "da haben wir wieder eine Biberfamilie." 17 000 Euro hat die Renaturierung des Haselbachs gekostet, dazu kamen noch 120 000 Euro für die 50 000 Quadratmeter Grund, die dafür nötig waren. Nicht viel für so ein Naturparadies.

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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