Naturschutz:Die Fische in Bayern kämpfen ums Überleben

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Ungefähr 10 000 Quadratmeter Fläche sind für die neue Fischaufstiegshilfe am Donaukraftwerk Bertoldsheim neu gestaltet worden. (Foto: Jan Kiver)
  • Westlich von Ingolstadt wird an der Donau eine hochmoderne Aufstiegshilfe für Fische eröffnet.
  • Die Aufstiegshilfe soll es den Fischen ermöglichen, eine Staustufe um einen Fluss herum hinaufwandern. Naturschützer kritisieren die Anlage.
  • Viele Flüsse und Bäche in Bayern bieten kaum Lebensraum für Fische. Viele heimische Arten sind vom Aussterben bedroht.

Von Christian Sebald, München

Gut ein Kilometer Länge, knapp 60 naturnah gestaltete Becken, damit die Fische bis zu sieben Meter Gefälle überwinden können, ein Bachlauf, gewaltige Betonbauwerke am Ein- und am Ausstieg und 2,85 Millionen Euro Kosten: Das sind die Eckdaten der modernsten Fischaufstiegshilfe an der bayerischen Donau.

Sie liegt im Westen von Ingolstadt, am Flusskraftwerk Bertoldsheim. Vor eineinhalb Jahren haben die Bauarbeiten begonnen. Seit Februar ist die Anlage im Probebetrieb. Diesen Mittwoch wird sie im Rahmen eines Festakts mit allen möglichen Größen aus Politik, Naturschutz und Wasserwirtschaft offiziell übergeben.

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"Die neue Aufstiegshilfe ist eine wichtige Verbesserung für die Fischwelt", sagt Jan Kiver von der Rhein-Main-Donau AG (RMD). Die RMD und der Kraftwerksbetreiber Uniper sind Planer und Bauherr der Anlage. "Mit ihr sind weitere 22 Donaukilometer durchgängig für Barben und Äschen, Gründlinge und sogar Huchen", sagt Kiver, "zusätzlich zu den fast 280 Flusskilometern der bayerischen Donau, die bereits durchgängig sind." Alles in allem verbleiben in Bayern demnach nur noch 80 Donau-Kilometer ohne Aufstiegshilfen.

Alles bestens also für die Fische, möchte man meinen. Doch der Eindruck täuscht gewaltig. In Bayern gibt es an die 400 große und mittlere Flüsse und Bäche. Zusammen bringen sie es auf eine Strecke von ungefähr 28 000 Flusskilometer. Rechnet man die schier unzähligen kleinen Bäche hinzu, kommt man auf 100 000 Kilometer Gewässerstrecke.

85 Prozent davon, so haben unlängst die Experten am Landesamt für Umwelt (LfU) ermittelt, sind in ökologisch mäßigem oder schlechtem Zustand. Das heißt, sie sind so begradigt, kanalisiert und mit Dämmen, Deichen und Stauwehren zugebaut, dass sie kaum Lebensraum für Fische bieten. In jedem Fluss steht rein statistisch gesehen alle zwei bis drei Kilometer ein Querbauwerk - so heißen Stauwehre, Abstürze, Stützschwellen und andere Verbauungen auf Experten-Deutsch.

Flüsse und Seen sollen höchsten Ansprüchen genügen

Die Folgen für die Fischwelt kann man in der Roten Liste gefährdeter Tierarten nachlesen. 77 Prozent der heimischen Fischarten sind vom Aussterben bedroht. Unter ihnen so gut wie alle, die für die bayerische Donau charakteristisch sind - ob es sich um Äschen, Nasen und Streber handelt, Barben, Frauennerflinge und Huchen oder den Gründling und den Kaulbarsch. Würden die Fischer nicht regelmäßig Zigtausende junge Fische aus Nachzuchten in Bayerns Bäche und Flüsse einsetzen, wäre es ziemlich leer in ihnen. Und das obwohl Freistaat und Wasserwirtschaft eigentlich dafür sorgen müssen, dass die Fische gute Lebensräume bekommen.

Es ist die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) der EU, die sie dazu verpflichtet. Sie stammt aus dem Jahr 2000 und weist alle Mitgliedsstaaten an, nicht nur ihr Grundwasser, sondern auch ihre Bäche, Flüsse und Seen so zu schützen, dass sie höchsten Ansprüchen genügen. Das gilt sowohl für ihre Sauberkeit als auch für die Ökologie. Die Kriterien für letztere sind eine möglichst intakte Flora und Fauna.

Dabei spielt die Durchgängigkeit - also dass die Fische in den Flüssen jederzeit hin und her wandern können, ohne von einem Stauwehr davon abgehalten zu werden - eine zentrale Rolle. Und weil die Ziele der WRRL bis spätestens 2027 erreicht sein müssen, wird derzeit mit Millionenaufwand eine Fischaufstiegshilfe nach der anderen gebaut.

Dabei ist es gar nicht sicher, ob die teuren Bauwerke der Fischwelt grundlegende Verbesserungen bringen. Zwar sind das Wissen um die Bedürfnisse der Fische und die Techniken, wie man solche Anlagen konstruiert, inzwischen so ausgereift, dass sie funktionieren, wie der Biologe Andreas von Lindeiner sagt.

Turbinen als tödliche Fallen

"In modernen Aufstiegshilfen können tatsächlich Fische in nennenswerter Zahl um eine Staustufe herum einen Fluss hinaufwandern." Aber für Lindeiner, der oberster Artenschützer beim Vogelschutzbund LBV und zugleich einer der besten Kenner der Fischwelt in Bayern ist, heißt das nicht, dass die Anlagen Bayerns Flüsse in einen wirklich guten ökologischen Zustand versetzen.

Lindeiners wichtigste Kritik, die viele amtliche Naturschützer teilen, wenngleich sie es nicht offen sagen: Das Geschiebe im Fluss, also das Geröll und Gestein, das er mit sich führt, bleibt unterbrochen. "Oberhalb der Staustufen verschlammen die Flüsse so, dass die Fische, selbst wenn sie nun dorthin wandern können, keine Laichplätze finden", sagt Lindeiner. "Unterhalb der Staustufen fließen die Flüsse so schnell, dass es auch wieder nicht für sie passt."

Außerdem kritisiert Lindeiner, dass die Fischen allen Aufstiegshilfen zum Trotz nach wie vor keine Möglichkeit haben, einen Fluss hinabzuwandern. "Die Wehre und, noch schlimmer, die Turbinen der Wasserkraftwerke hindern sie daran", sagt Lindeiner, "die Turbinen sind sogar tödliche Fallen." Lindeiners Fazit: Solange man die Flüsse selbst nicht wieder durchgängig macht, also etwa die Staustufen zumindest teilweise öffnet, sind Fischaufstiegshilfen eine "Symptombekämpfung".

Die Wasserkraftbetreiber hören das natürlich überhaupt nicht gerne. "Wir geben uns immense Mühe", sagt RMD-Sprecher Kiver. "Bei einer Aufstiegshilfe nahe Ingolstadt haben wir den Einstieg umgebaut, als wir festgestellt haben, dass die Fische den ursprünglichen nicht so annahmen wie erwartet." Bei der Anlage in Bertoldsheim habe man vor dem Einstieg sogar eine kleine Insel aufgeschüttet. Sie erzeugt eine sogenannte Lockströmung, die die Fische zu dem Einstieg führen soll. Und überhaupt, so sagt Kiver, "es sind alles gesetzliche Vorgaben, die wir mit dem Bau der teuren Anlagen erfüllen".

© SZ vom 15.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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