Linke:Jubel und Entsetzen

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Linke kommen auf 6,0 Prozent, sind aber bestürzt über AfD

Von Anna Dreher, München

Als das Warten endlich ein Ende hatte, brach Unruhe aus. Die bayerische Linke hatte sich im Münchner Eine-Welt-Haus zur Wahlparty verabredet, durch und durch zum Feiern zu Mute war am Sonntagabend aber niemandem. Als das Ergebnis der Bundestagswahl bekannt gegeben wurde, kippte die Stimmung erst in Freude über das eigene Abschneiden, dann in Entsetzen über den mit 12,6 Prozent hohen Stimmenanteil für die Alternative für Deutschland (AfD). "Ich halte die dramatische Verschiebung nach rechts für eine historische Zäsur", sagte Nicole Gohlke, bayerische Spitzenkandidatin und Bundestagsabgeordnete. "So ambivalent habe ich mich noch nie gefühlt nach einer Wahl."

Die ambivalente Gefühlslage, die Gohlkes Parteigenossen mit ihr teilten, hatte aber auch einen freudigen Grund: 6,0 Prozent der Stimmen - darauf hatte die Linke in Bayern gehofft, aber nicht damit gerechnet. Die zu Jahresbeginn ausgegebene Zielsetzung lautete fünf Prozent. Zudem hatte die Partei im Jahr ihres zehnjährigen Bestehens bis zum Wahlabend 600 Neueintritte in Bayern zu verzeichnen. Ausgelassener Jubel, Applaus und Umarmungen verdrängten also für ein paar Momente die Enttäuschung darüber, einen großen Teil der Bevölkerung an die AfD verloren zu haben.

Neben den beiden Spitzenkandidaten Gohlke und Klaus Ernst werden künftig weitere vier Parteimitglieder nach Berlin in den Bundestag einziehen, nach der enttäuschenden Wahl 2013 wieder ein Aufschwung. Vor vier Jahren hatte sich das Ergebnis der Linken bei der Landtagswahl auf 2,1 Prozent halbiert, bei der Bundestagswahl rutschte die Partei von 6,5 auf 3,8 Prozent ab. Im Freistaat war daraufhin innerhalb der Partei eine schonungslose Analyse der eigenen Arbeit gefordert worden, nachdem eine erste Erklärung lautete: Man sei eben nicht mehr die einzige Protestpartei - eine Feststellung, die auch vier Jahre später noch Gültigkeit behielt.

"Was wir gerade erleben, ist ein so gewaltiger Rechtsruck, das hätte ich nicht erwartet", sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Klaus Ernst aus Schweinfurt. "Die nächste Zeit wird hart werden. Ich vermag mir noch gar nicht vorzustellen, mit wem ich da bald unter einer Kuppel sitzen werde." Nicht die Freude überwiege, sondern der Schock über das Abschneiden der AfD. "Ich kann den Regierenden nur empfehlen, ihre Politik zu ändern und sich endlich um die Probleme des Landes zu kümmern", sagte Ernst. "Sonst, befürchte ich, war das noch nicht das Ende der rechten Fahnenstange."

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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