Kultur:Gutachten: Augsburg hat Theater vorschnell geschlossen

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  • Das Stadttheater Augsburg wurde im Juni wegen Mängel beim Brandschutz geschlossen. Gutachten verschiedener Ämter widersprachen sich. Die Stadt ging auf Nummer sicher.
  • Die Vorführungen auszulagern, kostet vermutlich Millionen.
  • Einem neuen Gutachten von Sanierungsgegnern zufolge hätte die Stadt Kosten sparen können. Die Mängel seien leicht zu umgehen, heißt es.

Von Karin Seibold, Augsburg

Tschaikowskys "Nussknacker" und seine Spielzeugsoldaten hätten womöglich nicht ausweichen müssen. Doch sie sollen in der Augsburger Schwabenhalle gegen das Heer des Mäusekönigs tanzen. Der Bahn-Stationsvorsteher Thomas Hudetz aus Ödön von Horváths "Der jüngste Tag" unterdessen wird in einer alten Industriehalle im Martini-Park vor Gericht stehen.

Dieser vorzeitige Auszug der Aufführungen aus dem Augsburger Stadttheater ist aber vielleicht unnötig - zumindest, wenn man einem neuen Gutachten glaubt. "Der Spielbetrieb hätte unter Auflagen fortgeführt werden können", sagt der Augsburger Bausachverständige Wolfgang Rösener.

Wurden durch voreilige Schlüsse Millionen Euro verschleudert? Hätten einfache Eingriffe gereicht, um den Spielbetrieb im Großen Haus am Kennedyplatz vorerst weiter aufrechtzuerhalten? Wegen "erheblicher brandschutztechnischer Mängel" hatte das Bauordnungsamt der Stadt Augsburg die Nutzung des Stadttheaters seit dem 20. Juni verboten. So wurde die Hauptspielstätte der Stadt ein Jahr früher als geplant geschlossen.

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Als Grund dafür gibt das Bauordnungsamt vor allem die bauliche Situation im Garderobenraum an: Käme es nämlich dort zu einem Feuer, könnten die Gäste im darüber liegenden Zuschauerraum nicht schnell genug gerettet werden, heißt es - weil die Beleuchtung in der Garderobe Löcher zum Zuschauerraum öffnet, durch die im Fall eines Brandes Rauch dringen könnte.

Rösener, der sich die Unterlagen angesehen hat, ist sauer. "Das glimpflichste Wort, das mir dazu einfällt, ist Schlamperei", sagt er. Im Auftrag der Sanierungskritiker "Initiative Kulturelle Stadtentwicklung" hat er den Fall unentgeltlich begutachtet. Er habe zwar die Lage im Theater nicht am Ort besichtigt, gibt er zu. Aber er beruft sich auf widersprüchliche interne Mitteilungen vom Amt für Brand- und Katastrophenschutz und vom Bauordnungsamt.

Die Gutachten der Behörden widersprechen sich

Während ersteres eine Räumung des Zuschauerraums ohne Rauchbelästigung noch im Mai für "möglich" hielt, hieß es zur gleichen Fragestellung von Seiten des Bauordnungsamtes, die Evakuierung wäre im Notfall "nicht mehr" rechtzeitig zu gewährleisten. Auch in Sachen Fluchtwege widersprechen sich die Aussagen des Bauordnungsamtes mit denen eines früheren Gutachtens, das weitaus kürzere Fluchtwege für nötig hält, berichtet Rösener.

Wer hat recht? Auf welche der Aussagen kann man sich verlassen? Am Ende wollten die Verantwortlichen der Stadt das Risiko nicht mehr tragen und entschieden, das Gebäude für die Öffentlichkeit zu schließen. Dabei, so das Gutachten von Rösener, könnten schon einfache Änderungen eine gefahrlose Rückkehr ins Stadttheater vorübergehend wieder ermöglichen: Die Beleuchtungslöcher in der Decke der Garderobe müsste mit Gipskarton-Feuerschutzplatten verschlossen, weitere Funkrauchmelder und Ventilatoren sollten eingebaut und die Löschanlage im Bühnenhaus erweitert werden. All das könnte laut Rösener in weniger als drei Monaten geschehen und würde weniger als 50 000 Euro kosten, schätzt er. Zudem empfiehlt er ein neues, "wirklich unabhängiges" Brandgutachten.

Hätten mehrere Millionen Euro gespart werden können?

Wie teuer die Verlegung der Darbietungen in andere Spielstätten kommt, dazu gibt es derzeit nur Schätzungen. Von einem mehrstelligen Millionenbetrag ist die Rede. Das Theater hat einen Jahresetat von knapp 29 Millionen Euro. Fast 23,5 Millionen Euro werden über Zuschüsse finanziert, der Rest kommt größtenteils aus dem Ticketverkauf. Die Sanierung des Theaters soll 186 Millionen Euro kosten.

In einem offenen Brief fordert die Initiative Kulturelle Stadtentwicklung Augsburg den Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) jetzt auf, eine weitere Brandschutzprüfung des Großen Hauses zu veranlassen. Eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs dort erspare die Kosten für die Ausweichspielstätten, heißt es in dem Schreiben.

Und der Oberbürgermeister reagiert. Ein Gutachten, das die städtischen Behörden der Schlamperei bezichtige, sei "keine Lappalie", erklärt er. Und: "Deshalb werden wir den TÜV mit einer neutralen Begutachtung beauftragen. Auch wenn wir das vom Grunde her für nicht notwendig halten." Ob Tschaikowskys "Nussknacker" nun doch im Stadttheater auftreten darf, erscheint ungewiss.

© SZ vom 19.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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