Islamisten:Wie anfällig Flüchtlinge für Radikalisierung sind

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Verfassungsschutz und Politik warnen immer wieder davor, dass Flüchtlinge von Islamisten angeworben werden. (Archivbild: Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze in Wegscheid) (Foto: dpa)

Politiker und Verfassungsschützer warnen vor der Bedrohung durch Salafisten. Fragt man nach, stellen sich die Anwerbeversuche meistens als Einzelfälle heraus.

Von Lisa Schnell, München

Die Berichte klingen alarmierend: "Salafisten werben um ankommende Flüchtlinge" heißt es in einer Schlagzeile, woanders ist sogar zu lesen, dass unter den Flüchtlingen "bislang keine Terroristen entdeckt" wurden, "vor den Lagern" aber Salafisten "agitieren". Seit Mitte 2015 finden sich immer wieder solche Meldungen in den Zeitungen.

Auch Innenminister Joachim Hermann warnt vor Anwerbeversuchen von Islamisten unter Flüchtlingen: "Die mittelfristige Gefahr dieser radikalen Islamisierung darf nicht unterschätzt werden." Worte, denen gerade jetzt, wo wieder eine europäische Stadt vom islamistischen Terror getroffen wurde, besondere Aufmerksamkeit zukommt. Wie groß ist die Gefahr in Bayern, dass sich Flüchtlinge extremistischen Ideologien anschließen? Wie häufig versuchen Islamisten, sie von einem radikalen Islam zu überzeugen?

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Die Sicherheitsbehörden nennen mehrere Städte, in denen es Anwerbeversuche von Islamisten unter Flüchtlingen gegeben habe. Laut Verfassungsschutz luden in Augsburg und Regensburg Moscheen, die der salafistischen Szene zugeordnet werden, Flüchtlinge zu sich ein oder riefen zu Spenden auf. Auch in Aschaffenburg und Schwandorf versuchten Salafisten demnach, mit Flüchtlingen ins Gespräch zu kommen.

In Friedberg wählte eine Gruppe, bei der ein islamistischer Hintergrund vermutet wird, eine etwas ungewöhnliche Methode. Ihre Mitglieder gaben sich als Ärzte aus und wollten in einer Turnhalle Flüchtlinge "untersuchen". In München und Nürnberg bieten Gemeinden, denen der Verfassungsschutz eine extremistische Ideologie zuschreibt, Flüchtlingsarbeit an. Soweit die Beobachtungen der Sicherheitsbehörden.

Fragt man zum gleichen Thema bei Gemeinden und sozialen Trägern nach, die Flüchtlinge betreuen, stößt man größtenteils auf Erstaunen. "Wir sind ziemlich verblüfft", sagt etwa der Friedberger Bürgermeister Roland Eichmann. Bei dem Anwerbeversuch der angeblichen Ärztegruppe handele es sich um einen Einzelfall. Ihre Anhänger wurden in die Unterkunft nicht eingelassen. "Das war der Versuch eines Versuchs", sagt Friedberg. Auch in Schwandorf sind bis auf den einen Vorfall keine anderen Anwerbeversuche bekannt. Genau wie in Aschaffenburg, wo die Aktivitäten eingestellt wurden, nachdem Medien darüber berichtet hatten.

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Auch gibt es kaum Hinweise darauf, dass Islamisten Erfolg hätten mit ihren Annäherungsversuchen. Wo der Friedberger Bürgermeister Eichmann auch nachfragte, im Landratsamt, bei Ehrenamtlichen, im Integrationsbeirat, überall nur Kopfschütteln bei der Frage, ob es Anzeichen dafür gebe, dass Flüchtlinge sich radikalisieren. Ähnliche Aussagen kommen von sozialen Trägern und den Gemeinden in Augsburg und Nürnberg. Überall wird betont, dass es wichtig sei, wachsam zu sein und die Anzeichen einer Radikalisierung zu kennen, wie sie der Verfassungsschutz in einem Flyer an Flüchtlingshelfer beschreibt. Eine akute Gefahr ist für die meisten aber nicht erkennbar.

Beim Verfassungsschutz heißt es ebenfalls, dass es sich bei den Anwerbeversuchen nicht um ein breites Phänomen handle. Zudem radikalisiere sich nicht gleich jeder Flüchtling, der in einer Moschee betet, die der salafistischen Szene nahesteht. Die meisten Moscheen in Bayern sind türkischsprachig, die Muttersprache vieler Flüchtlinge aber, Arabisch, ist auch die Sprache vieler Islamisten.

Noch ist eine feste Einbindung der Flüchtlinge in die salafistische Szene etwa in Regensburg nicht feststellbar. "Dass Flüchtlinge sofort zu Terroristen geformt werden, ist schon allein deshalb abwegig, weil sie ja genau vor solchen Gruppierungen geflohen sind", sagt Markus Schäfert vom Verfassungsschutz.

Es gehe aber um die mittel- und langfristige Perspektive. Wenn nicht alles so läuft, wie es sich mancher vorstellt, wenn sich Frust breit macht, könnten einige Asylbewerber anfällig werden für extremistische Ideologien. Dann könnte es zum Problem werden, eine Verbindung zu Organisationen wie der Islamischen Gemeinde Nürnberg (IGN) aufzubauen. Hier gehen die Einschätzungen von Verfassungsschutz und der Stadt Nürnberg auseinander.

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Der Verfassungsschutz ordnet die IGN der extremistischen Muslimbruderschaft zu, wie sie auch die Islamische Gemeinde Deutschland (IGD) vertrete. Dazu gehörten verfassungsfeindliche Ziele wie die Errichtung eines islamischen Staates auf Basis islamischer Prinzipien oder die Anwendung islamischen Rechts. "Wenn sich solche Leute für Flüchtlinge engagieren, dann wollen wir ihnen humanitäre Motive nicht absprechen. Man muss aber befürchten, dass sie die Flüchtlinge auch an ihr Islamverständnis heranführen, das mit unserer Gesellschaft inkompatibel ist", sagt Schäfert.

Christine Schüssler, Leiterin des Bürgermeisteramtes in Nürnberg, sieht das ein wenig anders. Die Stadt hat mit der IGN schon öfters zusammengearbeitet. Schüssler schätzt gerade das Engagement des Vereins in der Flüchtlingsarbeit. Dass die IGN gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung agitiere, habe sie nicht festgestellt. Auch Werner Pfingstgräf von der Rummelsberger Diakonie oder der türkische Verein Ditib Nürnberg erlebten die IGN bei der Zusammenarbeit als "moderat" und "sehr hilfreich".

Angewiesen auf die Hilfe von muslimischen Gemeinden

Dass der Verfassungsschutz sie auf seiner Homepage mit einer extremistischen Ideologie in Verbindung bringt, empfindet Schüssler als eine "unglückliche Kombination". "Wir haben den Eindruck, dass die IGN sich bemüht, gute Integrationsarbeit zu leisten, da wollen wir sie nicht wegstoßen", sagt sie.

Städte wie Nürnberg sind auf die Hilfe von muslimischen Gemeinden bei der Flüchtlingsarbeit angewiesen, auf ihre Dolmetscherdienste, auf ihre Beratung in religiösen Fragen. Auch für die Integration seien sie extrem wichtig, sagt Islamwissenschaftler Matthias Rohe von der Universität Erlangen. Aufgrund der sprachlichen und kulturellen Nähe könnten sich Mitglieder muslimischer Gemeinden viel besser in Flüchtlinge reindenken. Yavuz Kizmaz von Ditib Nürnberg hat aber die Erfahrung gemacht, dass Integrationshilfe von Muslimen für Muslime von vielen nicht gerne gesehen wird.

Diesen Eindruck teilt Miriam Heigl von der Fachstelle für Demokratie in München, die sich auch mit dem Thema Islamismus befasst. Sie sieht pauschale Warnungen vor Anwerbeversuchen durch Islamisten bei Flüchtlingen deshalb kritisch. "Medienberichte über Anwerbeversuche, die nicht auf konkreten Einzelfällen beruhen, können leicht zu einem Generalverdacht gegen Muslime führen", sagt Heigl. Dadurch würden die Vorurteile gegenüber muslimischer Flüchtlingshilfe verstärkt.

"Das ist nie unsere Absicht gewesen", sagt Verfassungsschützer Schäfert. Er betont, dass weniger als ein Prozent der muslimischen Community dem Islamismus zuzuordnen sei. Es sei aber die Aufgabe des Verfassungsschutzes, zu warnen. Auch, wenn das Problem derzeit "überschaubar" sei.

© SZ vom 29.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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