Inklusion:So ergeht es Blinden auf Bayerns Straßen und Bahnhöfen

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Noppen oder Rillen sind eine sehr wichtige Hilfe, damit sich Sehbehinderte an Bahnhöfen sicher bewegen können. (Foto: Catherina Hess)
  • An vielen Bahnhöfen in Bayern entsprechen die Leitstreifen für blinde Menschen offenbar nicht den geltenden DIN-Normen.
  • Immer wieder kommt es daher zu Unfällen.
  • Die Grünen forderten im Landtag "mehr Verkehrssicherheit für blinde und sehbehinderte Menschen". Dem schlossen sich alle Landtagsfraktionen an.

Von Dietrich Mittler, München

Karl Depner, Referent für Barrierefreiheit beim Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund (BBSB), hatte es eilig. Er war mit dem Zug auf dem Weg nach Saulgrub im oberbayerischen Kreis Garmisch-Partenkirchen. An einem kleinen Landbahnhof hieß es plötzlich: Zugausfall, bitte umsteigen in einen anderen Zug. Depner tastete sich mit seinem Blindenstock an der Bahnsteigkante entlang. Da passierte es. Er fiel ins Gleisbett. "Ich habe viermal innerlich geflucht, aber Gott sei Dank ist mir bis auf die blauen Flecken am Knie nichts zugestoßen", sagt er.

"Das passiert einfach sehr oft", sagt BBSB-Geschäftsführer Steffen Erzgraber. Bei ihm selbst geschah es am S-Bahnhof München-Moosach. Zwei Männer hoben ihn noch rechtzeitig aus dem Gleisbett, bevor ein Zug eintraf. Erzgraber kam mit einem Schienbeinbruch davon. "Meist geht es zum Glück gut aus", sagt er. Karl Depner wiederum weiß von zwei Fällen in Nürnberg, in denen die Betroffenen gerade noch aus dem Gleisbett herauskamen.

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Aber nicht alle haben so viel Glück. Anfang dieses Jahres war ein blinder Mann in München seinen Verletzungen erlegen, die er sich beim Sturz vor eine einfahrende U-Bahn zugezogen hatte. Sein tragischer Tod veranlasste die Grünen im Landtag zu einem Antrag mit der Forderung nach "mehr Verkehrssicherheit für blinde und sehbehinderte Menschen". Dem schlossen sich alle Landtagsfraktionen an - ohne Gegenstimmen.

An vielen Bahnhöfen, so kritisieren die Grünen Kerstin Celina und Markus Ganserer, entsprächen die Leitstreifen für blinde Menschen oft nicht den geltenden DIN-Normen. In Karl Depners Fall gab es die Rillen im Boden erst gar nicht, anhand derer er sich von der Bahnsteigkante hätte fernhalten können. Doch auch der Straßenverkehr stecke für Sehbehinderte voller Gefahren.

Natürlich werde er vor einer Kreuzung langsamer, sagt Depner. Aber was tun, wenn der Boden für Rollstuhl- oder Rollifahrer abgesenkt sei. "Einmal merkte ich deshalb gar nicht, dass ich längst auf der Straße lief und fand mich so zwischen scharf bremsenden Lastkraftwagen wieder." Daher sei es sinnvoll, an Straßenquerungen für Körper- und für Sehbehinderte getrennte Übergänge zu schaffen.

Im November 2013 hatte der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) die Initiative "Bayern barrierefrei 2023" gestartet. Die zeigt durchaus Wirkung. "Wir als Blindenbund beraten auch Kommunen beim Abbau von Barrieren", sagt Depner. Bad Kissingen etwa habe das vorbildlich umgesetzt. "Gefährlich wird es aber da, wo sich Kommunen dabei nicht an die DIN-Vorgaben halten. Das kann für uns tödlich enden - etwa dann, wenn wir uns ungewollt auf der Straße wiederfinden", sagt der 35-Jährige.

Auf Nachfrage der Grünen bestätigte das Innenministerium im März die 2013 von Seehofer ausgegebenen Ziele: "Die Staatsregierung will für alle Menschen in Bayern eine größtmögliche Teilnahme verwirklichen, für Menschen mit Behinderung genauso wie für ältere Bürgerinnen und Bürger sowie für Familien mit Kindern", hieß es da. Etwa sei die Barrierefreiheit bei Linienbussen durch staatliche Fördermittel verbessert worden. Auch setze sich die Staatsregierung im Sinne der Blinden und Sehbehinderten für den Einbau von Leitstreifen auf allen Bahnsteigen des Schienenpersonennahverkehrs ein.

Doch die Fraktionen im Landtag, dem Grünen-Antrag folgend, sehen offenbar einen deutlichen Mehrbedarf an Sicherheitsvorkehrungen. Alle U- und S-Bahn-Fahrzeuge in Bayern müssten mit akustischen Warnsystemen ausgestattet werden. Erforderlich sei es auch, "eine bessere Gleisraumüberwachung" zu schaffen - und wie es der BBSB fordert, Bahnsteigtüren einzurichten, die sich erst dann öffnen, wenn die Züge zum Stehen gekommen sind.

Demnächst gebe es Gelegenheit, diesen Zielen mehr Nachdruck zu verleihen. Am 25. Juni veranstaltet der Blinden- und Sehbehindertenbund mit Blick auf die Landtagswahl eine Podiumsdiskussion. Und da geht es auch um die Verkehrssicherheit.

© SZ vom 03.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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