Geschichte:In Bayerns Archiven liegen Schätze

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Eine Österreicherin mit Kind, die 1732 der Religion wegen nach Regensburg flüchtete, dokumentiert in der Dimpfel-Chronik des Stadtarchivs Regensburg. (Foto: N/A)

Stadtarchive sind famose Wissensspeicher, im öffentlichen Bewusstsein aber oft kaum verankert. Das wollen sieben Einrichtungen nun mit einer Offensive ändern.

Von Hans Kratzer, München

Weil Nazi ein zurzeit inflationär verwendetes Wort ist, wächst die Gefahr der Relativierung dieses Begriffs. Die Verbrechen und die Perfidie originärer Nazis sind von einem weitaus schrecklicheren Kaliber als der Frust von Bürgern, die aus Protest Rechtsparteien wählen. Wer nach dem verbrecherischen Kern des Nazibegriffs sucht, der sollte eines der gut 400 staatlichen und städtischen Archive aufsuchen und dort die einschlägigen Akten studieren. In diesen Papieren tritt das Böse in seiner Reinform zutage.

Die im Stadtarchiv München verwahrten Unterlagen der Geheimen Staatspolizei zeichnen beispielsweise den Weg von Mitgliedern der Widerstandsgruppe Weiße Rose vor der Verhaftung am 18. Februar 1943 bis zur wenige Tage später erfolgten Hinrichtung akribisch nach. Neben den Fotografien der Angeklagten Christoph Probst sowie Hans und Sophie Scholl finden sich in den Unterlagen die Personenfeststellungsbögen mit Fingerabdrücken und Beschreibung der Gefangenen.

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Die anzukreuzenden physiognomischen Eigenschaften zeigen ein geradezu geschäftsmäßiges Vorgehen, der Vermerk über die Narbe an Sophie Scholls Knie mit genauer Längenangabe eine mörderische Akribie. Die Nachweisbögen, Gebührenformulare und Aktennotizen zur Vollstreckung des Urteils belegen in ihrer Aktenmäßigkeit eine regelrechte Banalität des Bösen. (Stadtarchiv München, Zim. 163).

Mit ihren überlieferten Schrift-, Bild- und Tondokumenten bilden die Stadtarchive nicht nur mit Blick auf den Nationalsozialismus unersetzliche Informationsspeicher. Weil ihre Inhalte im öffentlichen Bewusstsein oft wenig verankert sind, haben sieben Stadtarchive die Offensive "Unendlich viele Geschichten" gestartet, um auf den Reichtum und die Bedeutung ihrer Überlieferung aufmerksam zu machen.

Im Stadtarchiv Augsburg belegt ein 1901 präsentierter Plan mit einem Donau-Schiff im Stadtgraben die Vision einer Hafenstadt Augsburg (Karten- und Plansammlung 3970). Die Darstellung eines Hafens am Oblatterwall sollte dafür werben, Augsburg zur Hafenstadt am Lech zu machen. Die Schiffe sollten direkt an die Industrieanlage herangeführt werden, gleichzeitig sollte ein romantisches Stadtbild geschaffen werden. Der Traum vom Augsburger Hafen war jedoch im Jahr 1902 ausgeträumt, nachdem durch die umliegende Bebauung ein Kanalzugang unmöglich gemacht wurde.

Viele Archivalien sind nur durch glückliche Umstände erhalten geblieben. Wie das Gästebuch des 1789 eingeweihten Allgemeinen Krankenhauses zu Bamberg. Als 1937 qua Luftschutzgesetz alle Dachböden entrümpelt werden mussten, geriet es auf einen Haufen von Akten, die verbrannt werden sollten. Kurz vorher deponierte es ein Assistenzarzt in einem Koffer. Nach Kriegsende fand er den Inhalt von Motten zerfressen.

Nur das Gästebuch war unversehrt. Darin trugen sich Prominente ein, etwa der große Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der sich 1806 in Bamberg aufhielt, um die Korrekturen seiner "Phänomenologie des Geistes" voranzutreiben. Seit 1981 ist das Gästebuch im Stadtarchiv deponiert (D 3001, Rep. 2, Nr. 590b).

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(Foto: N/A)

Das Stadtarchiv Augsburg besitzt einen visionären Plan einer Hafenstadt Augsburg von 1901.

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(Foto: Max Gardill, verwahrt im Stadtarchiv Bamberg)

Ansprache von Bundeskanzler Konrad Adenauer bei der Staatspolitischen Tagung katholischer Männer vor der Alten Hofhaltung in Bamberg im Juli 1952.

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(Foto: N/A)

Polizeifotos von Sophie Scholl aus dem Stadtarchiv München, angefertigt nach ihrer Verhaftung am 18. Februar 1943.

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Neben den Fotografien der Angeklagten Sophie Scholl finden sich in den Unterlagen die Personenfeststellungsbögen mit Fingerabdrücken.

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(Foto: N/A)

Das Stadtarchiv Würzburg verwahrt ein Fragment einer Kanonenkugel, die preußische Truppen 1866 auf Würzburg abfeuerten.

Archivalien bestehen nicht nur aus Papier. Im Stadtarchiv Würzburg wird das Fragment einer Kanonenkugel verwahrt, die preußische Truppen am 27. Juli 1866 auf Würzburg abgeschossen hatten. 150 Jahre nach den Kämpfen wurde das privat aufbewahrte Fragment dem Stadtarchiv übergeben (Realiensammlung Nr. 1). Großen Raum in den Kommunalarchiven nehmen Fotografien ein. Allein das Stadtarchiv Bamberg besitzt mehr als 1,5 Millionen Aufnahmen.

Eine davon zeigt eine Ansprache von Bundeskanzler Konrad Adenauer vor der Alten Hofhaltung am 20. Juli 1952. Für 2018 wird das Stadtarchiv einen sehenswerten Kalender mit alten Luftaufnahmen veröffentlichen. In älteren Akten sind historische Ereignisse dagegen per Hand gezeichnet.

Das Stadtarchiv Regensburg verwahrt die ziselierte Chronik des Christian Gottlieb Dimpfel (1709-1781), die bedeutende, aber oft vergessene Ereignisse der Stadtgeschichte enthält, etwa die koloriert bebilderten Religionsflüchtlinge, die 1732 aus Österreich nach Regensburg kamen (I Ae 2, 1-5). Staunen lässt einen auch der im 1361 angelegten Landshuter Stadtbuch enthaltene Judeneid. Sowohl die Illustration als auch der Text enthalten diffamierende Anspielungen.

Wie verworren die Wege der Überlieferung oft sind, zeigt das "Fazuni"-Gutachten im Stadtarchiv Nürnberg (B 1/I Nr. 69, fol. 23v), in dem die 1542 vorgelegten Vorschläge des Baumeisters Antonio Fazuni zur Stadtbefestigung Nürnbergs nachzulesen sind. 1936 entnahm es Oberbürgermeister Willy Liebel aus dem Stadtarchiv, um es Adolf Hitler zu schenken. 1946 und 1949 wurde das Archivale erfolglos aus dem von den US-Militärbehörden beschlagnahmten Privatbesitz Hitlers zurückgefordert.

In den 1950er-Jahren tauchte es in der Schweiz auf. Ein französischer Soldat, der es bei Kriegsende an sich nahm, verkaufte es an einen Kunsthändler, der es wiederum dem Stadtarchiv anbot. Nachdem der Freistaat Bayern als Nachlassverwalter Hitlers auf Eigentumsansprüche verzichtet hatte, kehrte das kostbare Amtsbuch ins Stadtarchiv Nürnberg zurück.

© SZ vom 04.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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