Hirblingen:Tür an Tür mit einem mutmaßlichen Mörder

Lesezeit: 3 min

  • Die Stimmung im Dorf Hirblingen bei Augsburg hat sich seit dem Doppelmord an zwei Frauen verändert.
  • Die Obduktion ergab, dass sie mit Stichverletzungen gewaltsam getötet wurden, möglicherweise von ihrem 31 Jahre alten Nachbarn.
  • Die Polizei vermutet, dass er die Lebensgefährtinnen aus Geldgier getötet hat.

Von Toni Wölfl, Hirblingen

Das Dorf liegt noch im Nebel. Donnerstag, 7.30 Uhr. Kinder warten auf den Schulbus. Die Haltestelle heißt Hirblingen Mitte. Mitte, das klingt nach Großstadt, täuscht aber. Hirblingen ist ein kleines Dorf bei Augsburg. Eine Hauptstraße, ein Fußballplatz und eine Kirche. Sonst gibt es dort nicht viel. Außer Aufregung. Es ist ein Verbrechen passiert in der Nachbarschaft, seitdem sind viele Leute nervös. Alles deutet darauf hin, dass einer aus ihrer Mitte zum Mörder wurde.

Zwei Frauen sind tot, einen Meter tief vergraben nahe der Kläranlage des 800-Seelen-Dorfs. Die Obduktion ergab, dass sie mit Stichverletzungen gewaltsam getötet wurden, sagt ein Polizeisprecher am Donnerstag. Polizisten bewachen das Zelt, das über dem Fundort der Leichen aufgebaut wurde. Autolärm weht von der A 8 herüber, zwei Strommasten überspannen den gefrorenen Acker nebenan. Vereiste Reifenspuren am Feldweg zeigen: Hierher, ans Ufer der Schmutter, in der ein Spaten gefunden wurde, sind kürzlich viele Autos gefahren. Es ist einer von mindestens zwei Schauplätzen eines möglichen Doppelmords. Der andere liegt zweieinhalb Kilometer entfernt: Am Dorfrand, dort wohnten die 49 und 50 Jahre alten Frauen, ein Paar, Tür an Tür mit einem 31-jährigen Mann. Ihrem mutmaßlichen Mörder.

Seit dem 15. Dezember sitzt der Verdächtige in Untersuchungshaft. Die Polizei vermutet, dass er die Lebensgefährtinnen aus Geldgier getötet hat. In seinem Auto wurde Bargeld gefunden, von dem die Polizei vermutet, dass er es mit der Bankkarte der Frauen von ihrem Konto abgehoben hat. Der 31-Jährige schweigt zu den Vorwürfen, dafür redet man im Dorf. "Jeder behauptet: Ich hab den nicht gekannt", sagt eine Einheimische. Zurückgezogen habe er gelebt, nur wenig Kontakt zu den Nachbarn gehabt. Es klingt, als habe der Mann schon vorher nicht zur Dorfgemeinschaft gehört. Doch er lebt seit den 1990er Jahren hier, sagt die Polizei. Als er noch klein war, ist seine Familie hierhergezogen. Als Jugendlicher war er ein Jahr lang in der Jugendfeuerwehr. Er wuchs direkt in der Mitte des Ortes auf, gleich neben der Pfarrkirche St. Blasius.

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Die Kirchturmuhr schlägt halb zehn, eine ältere Frau geht über den Friedhof, um Weihwasser in der Kirche zu holen. Die 80-Jährige kenne jeden hier, sagt sie, auch den mutmaßlichen Täter. "Ich kann's nicht glauben, dass der des war. Das war ein großer Schlag fürs ganze Dorf." Früher sei der mutmaßliche Täter mit ihrem Sohn befreundet gewesen, die Mutter des Verdächtigen habe immer bei der Kartoffelernte mitgeholfen und sich um die Katze der Opfer gekümmert, erzählt die ehemalige Hofbesitzerin. "Das sind ganz normale Leut', da hat's nie was gegeben."

Umso größer das Entsetzen, als sich die Nachricht vom Verschwinden der beiden Frauen am 9. Dezember verbreitet und wenig später der mutmaßliche Doppelmord herum spricht. "Es ist das Thema Nummer eins, es beschäftigt die Leute rund um die Uhr", sagt Katharina Mayer. Als Chefin eines Bauernhofladens kommt sie mit vielen Einheimischen ins Gespräch. "Die meisten können es gar nicht fassen", sagt sie, während sie hinter der Wurst- und Käsetheke die Kunden bedient. Die Leute fühlten nun eine Bedrohung von innen, aus dem engsten Umfeld. "Das gegenseitige Vertrauen - kannst du meine Blumen gießen, meinen Postkasten ausleeren - wird gemindert", meint die Geschäftsfrau.

Ihr Bioladen läuft gut, draußen lockt kostenloser Glühwein die Leute. Man steht beisammen und ratscht. Worüber? Klar, der Dorfkrimi. Ort der Handlung: die eigene Heimat. "Ich bin da jahrelang mit dem Fahrrad vorbeigefahren", sagt eine. "Und dann lebt da ein Mörder! Wer weiß, wo der nächste wohnt!" Eine andere meint, die Opfer seien noch nicht lange hier gewesen, nennt sie "die Neuen". Der Stadtverwaltung Gersthofen zufolge lebten die Frauen schon seit 20 Jahren im Dorf. Für echte Hirblinger keine Zeitspanne.

"Die meisten hier sind alt. Hier ist nicht viel los, es passiert eigentlich gar nichts", sagt eine 16-Jährige, die mit Freundinnen lieber nach Augsburg fährt. Sie wohnt zwar am anderen Ende des Dorfs, die Buslinie 512 zur FOS hält aber nur an der Haltestelle im Osten. Deshalb geht sie täglich 15 Minuten zu Fuß zur Haltestelle. "Früher hintenrum über den Feldweg. Aber jetzt hat meine Mama gesagt, ich soll unten auf der Straße bei den Häusern gehen." Zur Sicherheit. "Es ist schon ein komisches Gefühl", sagt die Schülerin über die Anspannung im Dorf.

Auf den Hof nebenan biegt ein Auto ein. Dort gibt es Geflügel zu kaufen. Viele Kunden haben vorbestellt, sagt Inhaberin Paula Brem. Wie auch die beiden Opfer. "Sie wollten heute kommen, um ihre Weihnachtsente abzuholen." Regelmäßig hätten sie hier eingekauft. Besonders viel geredet habe man aber nicht, meint Brem.

Draußen fährt ein Fahrschulauto um die Kurve, raus aus Hirblingen. Nur ein Polizeiwagen kommt die Straße herunter. Das Verbrechen verändert das Dorf. Um möglichst kurz im Freien zu sein, belegen Mitarbeiter auf einmal Kundenparkplätze gleich vorm Eingang, man redet über Überwachungskameras und Revolver. "Durch die massiven Aufrufe der Polizei sucht plötzlich jeder nach Hinweisen", sagt Katharina Mayer. Viele zeigen auch Mitleid mit der Familie des Verdächtigen.

Jeder im Dorf erinnert sich an jenen Freitagabend, als die zwei Frauen verschwanden. "Ich war bei einer Übung im Feuerwehrhaus, direkt gegenüber vom Haus der beiden", sagt ein 32-Jähriger. Gegen Mitternacht ging er heim, 500 Meter quer durchs Dorf. Aufgefallen sei ihm nichts. Alles sei still gewesen. Eine Ruhe, die sich die Hirblinger seither sehnlich zurückwünschen.

© SZ vom 23.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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