Dialekte in Bayern:Jetzt reden wir!

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Illustration: Hassan Al Mohtasib, Quelle: Sprechender Sprachatlas von Bayern (Foto: N/A)

Wie langweilig wäre es, wenn alle Bayern daheim Hochdeutsch sprechen würden. Dann wären so wunderbare Ausdrücke wie "schaine graine Blaime" längst ausgestorben. Eine Liebeserklärung an den Dialekt.

Von Hans Kratzer

Die Sprachabteilung der CSU, die kürzlich über ihrem Leitantrag zur deutschen Sprache brütete, hätte sich viel Kritik erspart, wenn sie sich vorher mit Lion Feuchtwanger beschäftigt hätte. Nachdem der jüdische Schriftsteller von den Nazis ausgebürgert und enteignet worden war, bilanzierte er: "Hitler hat mir das Bürgerrecht weggenommen, doch nicht wegnehmen konnte er mir meinen bayerischen Dialekt."

Sogar Sängerin Anastacia ist neidisch

In der ursprünglichen Forderung der CSU an Zuwanderer, im öffentlichen Raum und in der Familie nur noch Deutsch zu sprechen, war jedenfalls nicht berücksichtigt, welch eine Sprachenvielfalt es sogar innerhalb der Stammbevölkerung in Bayern gibt. Würde sie reglementiert oder gar verboten werden, wäre dies für den Freistaat ein Identitäts- und Imageverlust ohnegleichen.

Zuwanderer in Deutschland
:CSU fordert Deutsch-Pflicht für zu Hause

Ein "Gewinn für Bayern" sollen Zuwanderer sein - und auch im engen Familienkreis deutsch sprechen. Vor dem Parteitag diskutiert der CSU-Vorstand den Entwurf eines Integrations-Papiers. Darin rühmen sich die Bayern für ihre restriktive Ausländerpolitik.

Von Mike Szymanski

Sogar die US-Sängerin Anastacia beneidet das Land um diese Vielfalt an Sprachmelodien: "Man steigt nach einer Stunde Fahrt aus dem Auto, und die Menschen sprechen völlig anders als an dem Ort, an dem man losgefahren ist. Ich liebe das."

Mag der bayerische Sprachenkosmos bisweilen belächelt werden und als inferior gelten, so zählt er doch zu den ältesten Varietäten in Europa. Die vielen Mundarten tragen noch Sprachreste aus der Antike in sich und beweisen per se, dass im Gebiet des heutigen Freistaats ständig Einwanderung stattgefunden hat. Im Dialekt finden sich zuhauf Wörter aus dem Slawischen, Arabischen, Italienischen, Französischen, Skandinavischen und Russischen.

Die heute in Bayern gepflegten Varianten des Deutschen liefern einen schlagenden Beweis, dass das Vorhandene stets das Hinzugekommene aufgesogen und integriert hat. Umso interessanter, dass gerade die Bayern sich in der Emigration sprachlich nicht immer angepasst haben. Der Münchner Schriftsteller Oskar Maria Graf hat sich im New Yorker Exil über Jahrzehnte hinweg geweigert, Englisch zu sprechen. Die hochinteressanten bayerischen Sprachinseln in Neuseeland, in der Ukraine, in Brasilien und in Texas konnten ebenfalls nur entstehen, weil die Auswanderer einst an ihrer Heimatsprache festgehalten haben.

Es folgen einige markante Beispiele aus der vielschichtigen bayerischen Sprachenlandschaft.

Blueberry Hill im Oberland

Wie werden die Soldaten der 3. US-Armee gestaunt haben, als sie nach dem Kriegsende im Mai 1945 das bayerische Oberland durchkämmten. Da sprachen die Bauern in der Miesbacher Gegend doch glatt das gleiche dunkle rollende "R" wie sie selber. Man stelle sich einfach vor, wie dieses "R" dem Sänger Johnny Cash in seinem Hit "Burning Ring of Fire" über die Zunge gleitet. Dieses "R", das in Bayern ansonsten ungebräuchlich ist, verwendet ein Oberländler, wenn er "Kirch" sagt und Wörter wie "Berg, Dorf und fahrn". Auch die Isarwinkler neigen dazu. Ein weiteres prägendes Element der Miesbacher Mundart kennen die Menschen im Isarwinkel freilich nicht. Jenes "L" nämlich, das an die englische Standardaussprache erinnert (hill, bill, thrill) und auch in Fats Dominos "Blueberry Hill" so wunderbar lässig zum Ausdruck kommt. Es ist eine Miesbacher Spezialität ("um ellfe geht da Stillwong auf Dillz" - "um elf Uhr geht der Stellwagen nach Tölz"). Die Miesbacher pfeifen auf die L-Vokalisierung. Deshalb wird bei ihnen aus der Hölle nicht die Hej, sondern die Hill, aus viel wird vill, aus der Mühle die Mill, wobei das "L" mindestens so dunkel wie im Englischen betont wird.

So klingt's in Miesbach: "In da Hill gibt's koa Mill!" (In der Hölle gibt es keine Milch).

Kratzers Wortschatz
:"Aus iss und gar iss"

Wenn in Bayern das Wort "gar" fällt, heißt das keineswegs, dass das Essen fertig gekocht ist. Im Gegenteil: Für Hungrige hat das Wort eine eher unerfreuliche Bedeutung.

Von Hans Kratzer

Wienerisch in Rattenberg

In der Fernsehserie "Kommissar Rex" wuselt ein Hund herum, der detektivische Fähigkeiten besitzt. Zu ihm gesellt sich ein Repräsentant des Wiener Schmähs, der Kriminal-Assistent Höllerer. Wenn er den Hund vor dem Verzehr eines Schweinsbratens mit Sauerkraut warnt, dann klingt das so: "A Schwäänas mit Kraat is nix fia di, do kriagst läächt Baaweh!" Dieses satte Wienerisch ist aber nicht nur in Wien zu hören, sondern auch - aufgemerkt - in einem Dorf im Bayerischen Wald. Die Ortschaft Rattenberg ist das einzige Sprachgebiet in Deutschland, in dem Wienerisch gesprochen wird. Für die Rattenberger ist das nicht immer lustig. Örtliche Verkäuferinnen, die auswärts arbeiten und an der Kasse "acht Euro näänadrääßig" verlangen, werden gerne mal dumm angeredet: "Schatzi, na häärst, wos wüüst . . ." So reagieren Gloiffln, die keine Ahnung haben, welch einen kulturellen Schatz das wienerische Idiom in Rattenberg darstellt.

So reden die Wiener und die Rattenberger: "A Schwäänas mit Kraat is nix fia di, do kriagst läächt Baaweh!" (Schweinefleisch mit Kraut ist nichts für dich, da bekommst du Bauchweh).

Nürnberger Knedla und Fürther Knedli

Ein Fürther Fußballfan lästert: "Der Glubb is a Debb." Ein Nürnberger grantelt zurück: "Und die Fädder sin die Bläidstn." Nürnberger und Fürther, mal küssen und mal schlagen sie sich. Zum Glück reden sie ähnlich, kleine Unterschiede gibt es natürlich schon: Die Nürnberger Knedla heißen in Fürth Knedli, aus den Maadla werden Maadli. Im Großraum Nürnberg dominiert der ostfränkische Dialekt, der aber mit nordbairischen und oberpfälzischen Elementen gewürzt ist (aus guud wird goud). Und vielleicht auch noch mit einer Prise Wienerisch, hineingestreut vom Trainer Max Merkel, der mit dem Club 1968 Meister wurde, aber ein verbaler Haudrauf war. Wenn in Nürnberg einer despektierlich Oarschloch sagt, könnte durchaus der alte Merkel der Urheber dieser Wiener Schimpfwortspezialität gewesen sein. Mit den anderen ostfränkischen Dialekten teilt das Nürnbergische vor allem die weiche Aussprache der Konsonanten p und t weshalb der Nürnberger von einem "briima Dadord" spricht, wenn ihm der Sonntagskrimi gefallen hat, Allmächdnaa. Um richtiges Nürnbergerisch zu hören, sollte man dem Dichter Fitzgerald Kusz lauschen, der diesen Dialekt zur Kunst erhoben hat.

So dichtet Fitzgerald Kusz:

"Wennsd aff di weld kummsd/gräichsd vuä deim geburds-/daddum ä schdernlä/wennsd schdirbsd ä kreizlä:/wos willsdn meä?"

Breitenberger Diphthong-Herrlichkeit

Die 2100 Einwohner zählende Gemeinde Breitenberg im Passauer Hinterland wurde erst im 17. Jahrhundert besiedelt. Eine abgelegene Gegend war es trotzdem. Die Breitenberger gebrauchen wie die Nachbarorte Neureichenau, Thalberg, Germannsdorf, Untergriesbach und Wegscheid Lautungen, die sonst nirgendwo zu hören sind. Das mittelhochdeutsche ô wird in Breitenberg und Umgebung als e-u ausgesprochen: Die Menschen sagen re-usn (Rose), khe-oun (Korn), e-ustan (Ostern), de-ud (tot), De-orf (Dorf) und re-ut (rot) - der Strich zwischen den Vokalen ist eingefügt, damit klar wird, dass der Diphthong eu nicht als oi gesprochen wird. In dem Dorf Altreichenau sagen die Menschen gre-os zu groß und Fle-ong zu Fliege. Auffallend ist auch die Besonderheit in Wörtern, die das mittelhochdeutsche iu enthielten. "Teufel" klingt in Breitenberg wie de-ofö. Ein schönes Beispiel für die Veränderung des ô in e-u liefert auch das wunderbare alte Volkslied "s'Annamirl z'Hausstoa".

Im Volkslied heißt es: "Sieben Kinder und koa Breod, is an Annamirl sei Deod." (Sieben Kinder und kein Brot, das bedeutet Annamirls Tod).

Beim "Kini" daheim wird Schwäbisch gschwätzt

Auch wenn's keiner glaubt: In der Heimat der Bayern-Ikone Ludwig II. ist der bairische Dialekt selten zu hören. In der Gegend um die Königsschlösser Hohenschwangau und Neuschwanstein, also im "Königswinkel", reden die Einheimischen überwiegend Schwäbisch. Die für Ludwig II. gerne verwendete Bezeichnung "Kini" ist keineswegs ortsüblich, sie stellt vielmehr eine importierte Dialektform dar. In der Füssener Gegend spricht man lieber respektvoll vom "Kcheenig Ludwig". Das klingt natürlich anders als das prototypische Schwäbisch aus der Region Stuttgart. Das liegt zum einen am "R", das in Bayerisch-Schwaben an der Zungenspitze gerollt, in Baden-Württemberg aber weit hinten im Mund gebildet wird. Das "K" wird wie in Tirol als "kch" ausgesprochen: "I bi kchrankch." Bei den Vokalen ist typisch das lange "O" in Wörtern, die im Standarddeutschen ein "au" haben, wie in "oo" (auch), "koofe" (kaufen), "gloobe" (glauben) oder "Ooge" (Auge). Auffallend ist der Gleichklang mit dem Berlinerischen.

Eine Klage aus dem Königswinkel: "I bi kchrankch, i kchã mi it buckche." (Ich bin krank, ich kann mich nicht bücken).

Vokalparadies Bayerwald

Kein Dialektgebiet bietet eine solche Vielfalt an Ausdrücken und Tönen wie der Bayerische Wald. Allein dort gibt es 21 verschiedene Mundartgebiete. Wird einem viel zu viel Gefühl attestiert, so verschmäht man bereits im vorderen Bayerwald das leicht zu artikulierende Münchnerische "vui zvui Gfui" (viel zu viel Gefühl) und bevorzugt das anspruchsvollere "veij zveij Gfeij", das in Regen als "väi zväi Gfäi" nasaliert wird. Die Einheimischen setzen die Nasen- und Stirnnebenhöhlen virtuos als Resonanzkörper ein. Die schönen grünen Blumen blühen in Blaibach bei Bad Kötzting als "schöüne gröüne Blöüme" und in Bodenmais am Fuße des Arber mit einem offenen ai nicht minder schön: "schaine graine Blaime". Der Vokalreichtum ist außergewöhnlich. 24 Zwielaute und 16 Selbstlaute prägen die Bayerwald-Mundarten, wogegen das Standarddeutsche mit gerade mal drei Zwielauten und acht Selbstlauten arm dran ist. Es gibt Sätze, die voller Sprachmelodie, aber auch voll kompliziertester Nasalierung sind. Wenn man sie hört, glaubt man mitten im Bayerwald eine Mischung aus Französisch und Portugiesisch zu vernehmen.

So reden die Meister der Nasalierung: "Ooi gengand oi, ooi eu und ooi ooui!" (Oa gengan nauf, oa naus und oa nunta)

Rund um die Zugspitze

Gehma Mareina! Zugegeben, das klingt italienisch, aber trotzdem entstammt diese melodische Wendung dem Wortschatz der Mittenwalder und Garmischer Bevölkerung. Weiter nördlich, in Oberau und Oberammergau, sagt man Marend machen (Brotzeit machen). Die Sprache in dieser Gegend hat sich nur sehr langsam weiterentwickelt, weil die in Bergtälern und auf Gebirgshöhen lebenden Menschen nicht mobil waren. Vor allem Begriffe aus der Landwirtschaft sind über Jahrhunderte hinweg unverändert weitergegeben worden. Sprachliche Unterschiede zur österreichischen Seite gibt es kaum. Alles in allem zählt die Zugspitzgegend zu den interessantesten Dialektgebieten, weil sie sich von den übrigen Landesteilen stark unterscheidet. Die Werdenfelser Mundart ist eine Mischung aus Mittel- und Südbairisch sowie Alemannisch. Zu den Besonderheiten gehört das gotische Lehnwort enk für euch, das sonst bereits ausgestorben ist.

So klingt Südbairisch an der Zugspitze: "Gehma Mareina!" (Komm, machen wir Brotzeit).

Spitzbübisches in Hof

"Die Klangfarbe der Hofer ist rauh, für das Ohr des Fremden fast roh." Das schrieb 1924 der Nürnberger Heribert Kaiser in seiner Dissertation "Die Mundart von Hof an der Saale". Verdunkeln und Verdumpfen der quietschfidelen hellen Laute sei an der Tagesordnung: Die Aufforderung "bring" wird zu "breng", der "Zwirn" zum "Zwern" und die "Irmgard" zur "Ermgard". Und: Was dumpf ist, klingt noch schauriger, wenn es richtig lang ist. "Dei Moo koo scho rei" - "dein Mann kann ruhig herein(-kommen)" - das ist eine durchaus freundlich gemeinte Einladung. Aus dem Lob "Ausgezeichnet!" wird im nördlichsten Zipfel Bayerns ein "Ho, des geht scho!" - "Ja, das geht schon!" Die Hofer Sprache hat etwas Spitzbübisches. Auf die Frage nach der Befindlichkeit fällt oft der Ausspruch "Na scho" - "Ja, schon". Zum Hofer Gemüt gehört auch das Tiefstapeln: "A wengla" wird als doppelte Verkleinerung gern gebraucht. Das "-la" hängt man an alles - so klingt sogar das dunkle "Oaschla" (Ärschlein) a wengla putziger.

Ausdruck höchsten Lobes in Hof: "Der macht scho sei Zeich" (der macht schon sein Zeug).

Geheimsprachen in Schillingsfürst

Für Männer, die weder der Askese noch der Athletik zuneigen, hält unsere Sprache die Attribute dick, dumm und gefräßig bereit. In manchen Orten Mittelfrankens beschreibt man diesen Makel nur indirekt und viel geheimnisvoller: "Bekaan will immer achle dijejne und schuure laaf!" Das heißt: Dieser Mensch will viel essen, aber nur wenig arbeiten. Ein weiteres Beispiel: "Ich hob an Dannegoul, a Dannegoules und gimmel Häniefes verkannicht!" Übersetzt heißt das: Ich habe einen Hahn, eine Henne und drei Hasen verkauft. Zu hören sind solche Sätze in den Orten Schopfloch und Schillingsfürst, den Oberzentren alter Geheimsprachen, die dort immer noch gepflegt werden. Jenes Idiom von Schopfloch wird Lachoudisch genannt, jenes von Schillingsfürst heißt Jenisch. Das Jenische ist eine Variante des Rotwelschen, die als eine Ur-Geheimsprache gilt. Sie reichert den Ortsdialekt mit Wörtern aus verschiedenen Fremdsprachen an. Das Rotwelsche war im Mittelalter die Sprache der Bettler, der Schausteller und der Prostituierten, die sich im Dunstkreis der Illegalität am liebsten geheim verständigten. Der Bauarbeiter heißt im Jenischen Hirtlingsbuckler, abgeleitet vom Wort Hirtling (Stein) und buckeln (hart arbeiten). Die Milch wird Gleisi genannt, und die Kuh, die Gleisi gibt, ist entsprechend das Gleisidrampel.

Das Lachoudische in Schopfloch wurzelt wiederum im Jiddischen, das die dortige Bevölkerung im 19. Jahrhundert gesprochen hat. Viele Juden waren damals Viehhändler, die aus ihrem Jiddisch und aus dem Hebräischen eine Geschäftssprache entwickelten, die für Außenstehende unverständlich war. Noch heute reden die Schopflocher Lachoudisch - die jungen sogar als Geheimsprache auf dem Schulhof.

So klingt Lachoudisch: "Bekaan Suss is a Massik!" (Dieses Pferd ist ein Quälgeist). "Was schuckt die Bore?" (Was kostet die Kuh?)

© SZ vom 13.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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