Desaströse Finanzlage:Landsberg am Limit

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Kurzarbeit beantragt: Ein entsprechendes Schreiben sei an die Agentur für Arbeit in Weilheim gegangen. (Foto: dpa)

Die Politik hat sich auf dem Finanzmarkt verzockt: 80 Millionen Euro Schulden lasten auf der Stadt Landsberg am Lech. Jetzt machen Bürger einen radikalen Vorschlag: Sie fordern Kurzarbeit für die Verwaltung.

Von Heiner Effern

Eine Gruppe von Bürgern aus Landsberg am Lech hat wegen der schier aussichtslosen Verschuldung ihrer Heimatstadt vorsorglich Kurzarbeit für die Angestellten im öffentlichen Dienst beantragt. Ein entsprechendes Schreiben sei an die Agentur für Arbeit in Weilheim gegangen, sagt Rainer Gottwald, Sprecher der Bürgergruppe. Die Finanzlage von Landsberg sei desaströs, die Politik ideenlos, ein Lösung für die Krise nicht in Sicht. "Das geht so nicht weiter, der Bürger muss eingreifen."

Kurzarbeit sei für Unternehmen mit schlechter Auftragslage ein Ausweg, um zu überleben, sagt Rentner Gottwald, der selbst einmal als Regierungsinspektor arbeitete, bevor er als Abteilungsleiter Controlling in der freien Wirtschaft tätig war. Zeiten mit geringer Auslastung seien nun auch für die Landsberger Stadtverwaltung zu erwarten, wenn man das offiziell angekündigte Abspeckprogramm im Stadthaushalt berücksichtige, befürchtet Gottwald. Allein bei Bauprojekten werde die Stadt ihre Investitionen von 14 Millionen Euro auf vier Millionen reduzieren müssen. "Da haben ja viele eigentlich nichts mehr zu tun", sagt Gottwald.

Am kommenden Mittwoch berät der Stadtrat den Haushalt 2013. Tatsächlich ist Landsberg am Lech hoch verschuldet: 80 Millionen Euro drücken die Stadt mit knapp 30.000 Einwohnern. Seit dem Jahr 2006 lieferte die Verwaltung keine gültigen Jahresabschlüsse mehr, offenbar weil sie die Umstellung von der einfachen auf die zeitgemäße doppelte Buchführung nicht in den Griff bekommen hatte. 2006 und 2007 liegen nun vor, der Rest wird gerade aufgearbeitet. Für das Erstellen aller fehlenden Abschlüsse muss die Stadt eine Million Euro an Wirtschaftsprüfer überweisen.

Allein etwa sechs Millionen Euro verlor die Stadt zudem durch Spekulationsgeschäfte der Verwaltung mit sogenannten Derivaten. Jahrelang habe Landsberg seine Zahlungsfähigkeit nur durch angeblich überhöhte Kassenkredite sicherstellen können, sagt Gottwald. Die Stadt weist dies ebenso zurück wie die Behauptung, teilweise nicht einmal genug eingenommen zu haben, um Zins und Tilgung bezahlen können. "Mehr Pleite als bei uns, das geht gar nicht", sagt Gottwald dennoch.

Für die einen ist der Antrag seiner Bürgergruppe auf Kurzarbeit für die städtischen Angestellten "ein Faschingsscherz" (Sprecher Landratsamt Landsberg), für die anderen eine "nette Idee", um zu zeigen, "in welch desolater Lage" sich die Stadt befindet (Stadtrat Ludwig Hartmann, unterlegener Kandidat der Grünen bei der OB-Wahl 2012).

Die Agentur für Arbeit in Weilheim will und kann aus Datenschutzgründen nicht sagen, ob ein Antrag auf Kurzarbeit eingegangen ist. Doch ganz allgemein könne nur ein Betriebsrat oder ein Betrieb selbst Kurzarbeit beantragen, sagt eine Sprecherin. Auch das bayerische Innenministerium und der Städtetag sehen unüberwindbare formale Hürden: Es gebe keine tarifliche oder gesetzliche Basis für eine Stadt, Kurzarbeit zu beantragen, heißt es von beiden Seiten.

Oberbürgermeister Mathias Neuner (CSU), knapp ein Jahr im Amt, nimmt den Antrag auf Kurzarbeit deswegen auch nicht ernst, die finanzielle Lage der Stadt allerdings schon. "Das hat sich über Jahre hinweg aufgestaut, das können wir nicht von heute auf morgen lösen", sagt er und muss nun Dinge tun, "die wenig Spaß machen: Einnahmen erhöhen und Ausgaben senken." Teurer sind schon oder werden bald: Grundsteuer, Gewerbesteuer, Hundesteuer, Bücherei, Parken, Wasser. Neue Investitionen würden aufs Minimum beschränkt, freiwillige Leistungen gestrichen und ein Organisationsgutachten erstellt mit Schwerpunkt auf Sparmöglichkeiten. "Ich muss als Sanierer operieren. Wir arbeiten die Dinge auf, die wir aufarbeiten müssen."

Das kann man durchaus als Anspielung auf seinen Vorgänger Ingo Lehmann (SPD) verstehen. Die Finanzmisere der Stadt und insbesondere die Verluste, die durch die spekulativen Termingeschäfte angefallen waren, hatten dem langjährigen OB im März 2012 ein Wahlergebnis von weniger als 25 Prozent eingebracht. Seit Jahren habe Landsberg über die Verhältnisse gelebt, doch die enge Koalition zwischen SPD und CSU habe nichts nach außen dringen lassen, sagt Grünen Stadtrat Hartmann.

Heute beschreibt er die damalige Stadtpolitik als "Immobiliengesellschaft mit angehängter Fernverwaltung", was heißen soll: Jahrelang habe die Stadt nur von Grundstücksverkäufen im großen Stil gelebt. Nach der Abwahl Lehmanns seien die Finanzen "zusammengefallen wie ein Kartenhaus".

Die Parteien streichen nun für den Haushalt 2013, was möglich ist. Trotzdem sitze kein Beschäftigter einfach so herum, sagte eine Sprecherin der Stadt. "Auch bei Streichungen ist unser Personal ausgelastet." Das sieht Bürger Gottwald anders, weshalb er schon mal ausgerechnet hat, wie viele der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Kurzarbeit gehen sollten. "Von den 600 sind das unserer Rechnung nach 125 bis 150 Personen."

© SZ vom 19.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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