CSU-Parteitag in Nürnberg:"Wir sind Seehofer ausgeliefert"

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Die CSU kommt in Nürnberg zu einem Krisentreffen zusammen und rätselt: Was macht die einst so mächtige Partei eigentlich noch aus? Horst Seehofer hat die CSU mit seiner Abkehr von Atom und Wehrpflicht entkernt - und erstmals muss sie fürchten, in Bayern und im Bund aus der Regierung zu fliegen.

Mike Szymanski

Die CSU hatte auf dem Gelände ihrer Parteizentrale in München eine Art politisches Vereinsheim, ein Wirtshaus. "Löwe und Raute" hieß es. Es war in die Jahre gekommen, nicht wirklich angesagt. Wie die CSU zur Zeit. In dieser Woche hat Generalsekretär Alexander Dobrindt ein neues Vereinsheim vorgestellt, das Lokal wurde renoviert und heißt jetzt "franz josef". Es soll an den großen Vorsitzenden Franz Josef Strauß und an die "gute schöne Zeit erinnern", sagte Dobrindt. Ein paar neue Möbel, ein paar Eimer frische Farbe. Wenn sich doch auch die CSU so einfach aufmöbeln ließe.

CSU-Chef Horst Seehofer hat die Partei entkernt - mit dem Ausstieg aus der Atomkraft und der Abkehr von der Wehrpflicht. (Foto: dapd)

Wenn an diesem Freitag und Samstag die Christsozialen in Nürnberg zusammenkommen, dann herrscht auch ein Gefühl von großer innerer Zerrissenheit. Was macht diese einst so starke Partei, die 50-Prozent-plus-X-Ergebnisse als Selbstverständlichkeit betrachtete, eigentlich noch aus? Bei diesem Parteitag geht es etwa um die künftige Europapolitik; und dass ausgerechnet ein Europa-Skeptiker wie der längst abgeschriebene Peter Gauweiler vor einem Comeback als Parteivize steht, zeigt schon, wie sehr sich die Partei nach Koordinaten sehnt.

Auch drei Jahre nachdem CSU-Chef Horst Seehofer die Partei nach dem Verlust der absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl übernommen hat, steht es nicht wirklich gut um diese CSU. In dieser Zeit hat Seehofer die Partei mit der Abkehr von Wehrpflicht und Atomkraft nahezu entkernt. "Veränderungen sind kein Verrat an der Vergangenheit", erklärt er seinen verunsicherten Parteifreunden. Seehofer machte seine Partei normaler: Frauenquote, Debattenkultur, Flirts mit den Grünen und die Abkehr von Feindbildern. Nun aber vermisst die Basis, dass Seehofer der CSU das Gefühl zurückgibt, etwas Besonderes zu sein.

Das war zwischenzeitlich nur einem gelungen: Karl-Theodor zu Guttenberg. Der Franke hatte es mit seinem atemberaubenden Aufstieg geschafft, der CSU wieder Glanz zu verleihen. Mit ihm an der Spitze traute sie sich wieder, von der absoluten Mehrheit in Bayern zu träumen. Dass er sich als Blender herausstellte, stürzte nicht nur ihn aus seinem Amt des Bundesverteidigungsministers und Kanzlerkandidaten in spe, sondern die CSU zurück in einen unglamourösen Alltag. Die CSU muss jetzt wieder mit Seehofer und seinem Hang zum Einzelgängertum leben. "Wir sind ihm ausgeliefert", sagt einer aus der Parteispitze.

Am Samstag stellt sich Seehofer zur Wiederwahl. Er erwartet gar nicht einmal ein besseres Ergebnis als die für CSU-Verhältnisse mageren 88 Prozent, mit denen ihn die Delegierten 2009 wählten. Dieses Mal muss aber deutlich mehr drin sein, auch wenn Seehofer grobe Fehler gemacht hat. Er hat seinen Koalitionspartner FDP in Bayern so lange getriezt, dass der heute in Umfragen nur noch auf zwei Prozent kommt und als künftiger Mehrheitenbeschaffer womöglich wegfällt. Das könnte zum Problem werden.

Denn in den Sommerferien hat sich die politische Landschaft in Bayern noch einmal zu Ungunsten der CSU völlig verändert. Münchens erfolgreicher Oberbürgermeister Christian Ude hat sich als Retter der notleidenden Bayern-SPD erklärt und will für sie in den Wahlkampf ziehen. Damit muss sich die CSU erstmals eines ernsthaften Gegners erwehren. Ude wirkt wie Adrenalin auf die Genossen. Umfragen ergeben, dass Ude als Anführer eines Oppositionsbündnisses aus SPD, Grünen und Freien Wählern 2013 sogar den Machtwechsel im Freistaat herbeiführen könnte. Das erste Mal überhaupt muss die CSU damit befürchten, sowohl in Berlin als auch in München aus der Regierung zu fliegen. Es geht um alles oder nichts. Seehofer könnte als derjenige in die Geschichte eingehen, der die CSU abwickelt.

Er hat den Ernst der Lage erkannt. Seitdem Seehofer aus den Sommerferien zurückgekehrt ist, wirkt er deutlich angespannter. Zur FDP ist er freundlich. Sogar die Piratenpartei jagt ihm Angst ein, weil sie in Bayern Unterschriften gegen die Studiengebühren sammelt, die der Freistaat als einziges Land neben Niedersachsen noch erhebt. Seehofer erwägt, die Gebühren abzuschaffen. Er will keinerlei Angriffsfläche bieten und lässt sogar über ein beitragsfreies letztes Kindergartenjahr mit sich reden, das die FDP fordert.

In der CSU war das lange ein Tabu, aber Seehofer hat offenbar nicht die Nerven, diese Position weiter durchzustehen. Überhaupt hat er über den Sommer damit begonnen, die Partei stärker auf Bayern auszurichten. Seine Bundestagsabgeordneten hält er an, bei jeder Entscheidung zu bedenken: Was bringt das Bayern? Die Bundeswehrreform ist so ein Beispiel. Für jede Kaserne in Bayern wolle er kämpfen, hat Seehofer erklärt.

Nur ein gutes Ergebnis im Freistaat rechtfertigt die Sonderrolle der CSU im Bund. Das weiß Seehofer, da kann er auch keine Rücksicht auf Angela Merkel nehmen, die als Gast in Nürnberg erwartet wird. Bei der Euro-Rettung kann sie sich also auf Widerworte aus der CSU gefasst machen. Sie kennt das schon. Wenn es um Bayern ging, hat die CSU noch nie Rücksicht genommen.

© SZ vom 07.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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