Bahnstreik in Bayern:Es fährt mehr als gedacht

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  • Das kämpferische Auftreten von GDL-Chef Claus Weselsky kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Bayern die Bereitschaft der Lokführer zum Streik offenbar nachgelassen hat.
  • Die Bahn stellt fest: "Es sind heute morgen mehr Lokführer zum Dienst angetreten als wir dachten."
  • Am ersten Tag des Streiks weichen trotzdem viele Fahrgäste auf andere Verkehrsmittel aus.

Von Katja Auer, Heiner Effern, Stefan Mayr und Ralf Scharnitzky , München

"Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will." So wie im Bundeslied des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins von 1863 beschrieben, hätte es Claus Weselsky gerne, der Chef der Gewerkschaft GDL. Doch in Bayern fahren die Züge - sogar mehr als viele Pendler erwartet haben. Vor allem in Oberbayern ist die Streikbereitschaft eher gering. So sieht es jedenfalls die Deutsche Bahn, der Widersacher der GDL im Tarifkonflikt: "Es sind heute morgen mehr Lokführer zum Dienst angetreten als wir dachten", sagt ein Sprecher der DB Regio Bayern. Ein Überblick über die Lage auf den Schienen im Freistaat.

Wie funktioniert der Ersatzfahrplan?

An vielen Bahnhöfen sieht es aus wie immer - die Fahrradständer sind voll und auch auf den Park- and Ride-Anlagen gibt es kaum freie Plätze. Die Deutsche Bahn bietet in Bayern zumindest die Hälfte der Nahverkehrszüge an. Auf manchen Strecken, wie zum Beispiel zwischen München und Garmisch-Partenkirchen, fahren sogar mehr Züge. Die Ersatzfahrpläne werden täglich aktualisiert. Das heißt: Wenn die Streikbereitschaft sinkt und noch mehr Lokführer sich zum Dienst melden, wird das Zugangebot erweitert. "Das Grundgerüst steht, Ergänzungen können eingebaut werden", sagt ein Bahn-Sprecher.

Wie viele Lokführer streiken?

Eine bedingungslose Treue der GDL-Lokführer zu ihrem Vorsitzenden Claus Weselsky gibt es nicht. Die Bereitschaft, zu streiken, liege in Bayern "sicher nicht mehr bei 100 Prozent", meint ein Sprecher der Gewerkschaft. Am Dienstag seien 380 der insgesamt 2600 bayerischen GDL-Mitglieder im Ausstand gewesen. Allerdings ist nicht klar, wie viele davon Lokführer sind und wie viele als Beamte nicht streiken dürfen. Genauere Angaben wollte der Sprecher nicht machen. Die Zahl der Streikenden werde sich aber von Tag zu Tag ändern, war von der GDL zu erfahren. Diese richtet sich auch danach, wie viele Mitglieder eigentlich Dienst hätten.

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(Foto: SZ-Grafik: Hanna Eiden; Quellen: BEG, Bundesverkehrsministerium, Stand: März 2015)

SZ-Grafik: Hanna Eiden; Quellen: BEG, Bundesverkehrsministerium, Stand: März 2015

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SZ-Grafik: Hanna Eiden; Quellen: BEG, Bundesverkehrsministerium, Stand: März 2015

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SZ-Grafik: Hanna Eiden; Quellen: BEG, Bundesverkehrsministerium, Stand: März 2015

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(Foto: SZ-Grafik: Hanna Eiden; Quellen: BEG, Bundesverkehrsministerium, Stand: März 2015)

SZ-Grafik: Hanna Eiden; Quellen: BEG, Bundesverkehrsministerium, Stand: März 2015

Trotzdem zeigt sich, dass eine überschaubare Zahl an Streikenden eine immense Wirkung entfalten kann. Denn die GDL hat nur einen Bruchteil der Mitglieder der größeren Bahngewerkschaft, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Wie das tatsächliche Kräfteverhältnis unter den Gewerkschaften ist, zeigen Zahlen der EVG. Danach verteilen sich in allen Betriebsräten der Deutschen Bahn in Bayern die Mandate wie folgt: 471 Räte sind bei der EVG, 56 bei der GDL und 38 kommen aus freien Gruppen.

Sind auch die privaten Bahn-Unternehmen vom GDL-Streik betroffen?

Allenfalls indirekt. "Alle unsere Züge fahren planmäßig", sagt eine Sprecherin der "Regentalbahn AG - Die Länderbahn". Das Unternehmen betreibt in Bayern die Oberpfalzbahn und Waldbahn, die Vogtlandbahn, die Berchtesgadener Land-Bahn und den Alex. Es gibt vorsorglich zwar an, dass es durch abgestellte Züge in den Bahnhöfen zu Verzögerungen kommen kann. Laut Sprecherin gab es bislang aber keine nennenswerten Behinderungen. Ähnliche Meldungen kommen auch von den anderen privaten Anbietern.

Auf deren Fahrgastzahlen wirkt sich der Streik allerdings unterschiedlich aus. "Wir nehmen wahr, dass die Leute auf andere Verkehrsmittel ausweichen", heißt es bei der Regentalbahn. Von jenen Fahrgästen, die anschließend in einen DB-Zug umsteigen müssten, gingen etliche verloren. Mit der Agilis fahren an Streiktagen manchmal sogar mehr Gäste, sagt eine Sprecherin, besonders dort, wo sowohl die Deutsche Bahn wie auch private Unternehmen die Strecken bedienten. Die Pendler und die Schüler nutzten die Agilis wie sonst auch. Auf den Nahverkehrsstrecken zwischen München und Salzburg gibt es zwar keinen Massenansturm auf die Züge des Meridian (Richtung Rosenheim) oder der BOB (Richtung Oberland), doch die Züge sind oft bis auf den letzten Platz gefüllt.

Das gilt gerade auf den Streckenabschnitten im Münchner Umland, auf denen sonst parallel die S-Bahnen der DB verkehren. Doch auch Pendler aus Rosenheim, Prien oder Traunstein, die gewöhnlich mit IC oder EC der DB pendeln, fahren nun mit der privaten Konkurrenz. Dort sieht man die vielen Streiks mittlerweile als kostenloses Marketing-Instrument in eigener Sache. "Wir bemerken mittlerweile, dass mancher dieser Fahrgäste auch nach dem Streik bei uns bleibt", freut sich ein Sprecher des Konzerns Transdev (ehemals Veolia Verkehr), der die Linien in Oberbayern betreibt.

Bieten die privaten Unternehmen einen zusätzlichen Service an?

Stellenweise. So halten zum Beispiel in dieser Woche alle Alex-Züge auf dem Weg von und nach München konsequent in Freising und Moosburg. Eigentlich sind diese Halte im Fahrplan nur ab und an vorgesehen. Doch wegen des Streiks wurde das Angebot - in Abstimmung mit der Bayerischen Eisenbahn-Gesellschaft - erweitert.

Warum bestreikt die GDL immer nur die Deutsche Bahn?

Das fühlt sich wegen der aktuellen Streikwelle bei der DB nur so an. Auch bei privaten Zuganbietern treten Angestellte während eines Arbeitskampfes immer wieder mal in den Ausstand - nur seltener. Sie werden zudem wegen des deutlich kleineren Streckennetzes der Privaten oft nur auf regionaler Ebene wahrgenommen. Die GDL streikte zum Beispiel bei der Länderbahn zwischen 2011 und 2014 mehrmals. "Das ging auch über mehrere Tage", sagt die Sprecherin. Der Ausstand habe Unmut ausgelöst - nicht nur bei den Passagieren, sondern auch unter den Kollegen. An einen Streik kann sich die Agilis-Sprecherin ebenso wenig erinnern wie ihre Kollege bei Transdev. Bislang sei man sich immer einig geworden. Das liege auch daran, weil Arbeitskämpfe bei Privaten in der Regel nicht so politisch ausgelegt seien wie es gerade bei der GDL und der DB der Fall sei.

Zahlen die privaten Anbieter besser?

Über die Höhe der Abschlüsse macht niemand Angaben. Man lehne sich in der Regel an die Abschlüsse der DB an, sagte der Transdev-Sprecher. Das lässt darauf schließen, dass die Unterschiede in den Gehältern nicht sehr groß sind. Viel schlechter als bei der DB werden die Privaten wohl nicht zahlen: Warum hätten sonst DB-Lokführer nach der Öffnung des Marktes wechseln sollen?

© SZ vom 06.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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