Interieur-Design bei VW:Exklusiver Einblick in den VW-Innenraum der Zukunft

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Johann Jungwirth wechselte mitten in der Diesel-Krise von Apple zu Volkswagen. (Foto: Jens Oellermann/VW)

Johann Jungwirth soll Volkswagen fit für die Zukunft machen. Für die Digitalisierung muss er das Auto-Interieur neu erfinden - es wird ebenso puristisch wie "sexy".

Von Joachim Becker

Potsdam statt Cupertino: Er kommt von Apple und will Volkswagen in die digitale Zukunft katapultieren. "The next big thing" nennt Johann Jungwirth den Aufbruch ins Zeitalter des autonomen Fahrens. Als Direktor Special Projects war er entscheidend an Apples Autoprojekt Titan beteiligt. Dann kam die Schleuderwende nach Wolfsburg: Mitten im VW-Abgasskandal wechselte er vom internen Start-up-Projekt mit 1000 Entwicklern zu einem der größten Autohersteller der Welt. "Zwölf Marken im Volkswagen-Konzern sind ein riesiger Aktivposten. So schnell macht uns keiner einen Porsche nach - auch nicht im Silicon Valley", jubelt der frühere Tesla-Fahrer Jungwirth.

Doch die Traditionsmarken könnten ganz schön alt aussehen, wenn "The next big thing" aus Kalifornien kommt - und das etablierte Geschäftsmodell in Frage stellt. Auf der IAA 2015 hatte der damalige Porsche-Boss und jetzige Konzernchef Matthias Müller noch gesagt: "Das autonome Fahren stellt für mich einen Hype dar, der durch nichts zu rechtfertigen ist." Wenig später brauchte Müller eine Vision für den vom Dieselskandal erschütterten Konzern. Umparken im Kopf also. Johann Jungwirth brachte die richtigen Ideen aus Kalifornien mit: "Ich weiß, wie weit die Silicon-Valley-Player beim Thema autonomes Fahren sind. Deshalb bin ich überrascht, wie zurückhaltend einige in Deutschland agieren."

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Wir fahren mit fabrikneuen Oldtimern herum

Das Apple Car könnte Ende des Jahrzehnts auf den Markt kommen. 13 Jahre nach dem iPhone, das Handys ohne Apps mit festen Tasten und kleinen Bildschirmen vom Markt gefegt hat. Ähnliche Umbrüche sind auch beim Auto absehbar. Wir fahren noch immer mit fabrikneuen Oldtimern herum, die zu doof sind, natürliche Spracheingaben zu verstehen und selbstständig Unfälle zu verhindern.

Auch das ewiggestrige Interieur-Design und die spaßfreie Bedienung bei den Traditionsmarken warten förmlich auf einen disruptiven Wandel. Das Durcheinander von Anzeigen und Knöpfen rund ums Cockpit ist so kompliziert, dass wir die Bedienung in der Fahrschule mühsam lernen müssen. Warum sollten Interieurs nicht ganz anders aussehen, wenn die Passagiere im autonomen Fahrmodus mehr Zeit für digitale Spielgeräte haben?

Autonomes Fahren bleibt kein Vorrecht für Audi- und Porsche-Kunden

"Was wir in den nächsten fünf bis sieben Jahren erleben werden, ist die Neuerfindung des Automobils", wird Johann Jungwirth nicht müde zu predigen. Die Frage ist nur, wer das Auto mit den heutigen Möglichkeiten der Mikroelektronik zuerst neu erfindet: die Elektronik-Konzerne oder die Traditionsmarken? Als Leiter Digitalisierungsstrategie des Konzerns berichtet Jungwirth direkt an Konzernboss Matthias Müller. Der studierte Elektrotechniker ist für alle Konzernmarken zuständig - und er will diese Machtfülle nutzen: Das autonome Fahren soll kein exklusives Vorrecht für Audi- und Porsche-Kunden bleiben: "Wir wollen das Selbstfahrsystem auch in kleine Fahrzeuge integrieren, um die Tür-zu-Tür-Mobilität für alle Menschen erschwinglich zu machen."

Da ist es, das "next big thing": Eine weltverbessernde Vision, die auch Schulkinder, (Seh-)Behinderte und betagte Senioren in die mobile Unabhängigkeit entlässt. Für den Apple-geschulten Blick von Johann Jungwirth darf die Demokratisierung der Technik allerdings nicht aussehen wie die elektrischen Krankenfahrstühle von Google. Statt an eiförmige Prototypen denkt er eher an coole Design-Ikonen wie die ersten Porsche-Modelle und den VW Käfer: "Ich kann versprechen: Der Volkswagen-Konzern wird sexy", betont Jungwirth im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.

Sexy? Technik mit Wow-Effekt? Bei vielen Marken des Volkswagen-Konzerns beschränke sich der Fortschritt im Interieur oft genug auf die behutsame Verbesserung der bewährten Technik. Die digitale Revolution soll den Wagen nun vom Maschinisten-Leitstand in eine virtuelle Erlebniskapsel verwandeln: "Das Auto kann alles sein: Wohnzimmer, Lounge, Kinosaal, Fitnessraum - wir denken über völlig neue Fahrzeugkonzepte nach. Jede Marke wird ihren eigenen Stil mit Innenarchitekten und Möbeldesignern entwickeln", verspricht Jungwirth. Geplant sind drei "Volkswagen Group Future Center", in denen Designer und Digitalisierungsexperten Hand in Hand am Auto der Zukunft arbeiten sollen.

Das Umparken im Kopf ist dringend nötig. Selbst neueste VW-Studien wie der Budd-e folgten ziemlich uninspiriert dem Takt der Unterhaltungselektronik. Auch daheim werden die Bildschirme ja immer größer. Also errichtet der Budd-e eine Videowand vor dem Fahrer und lässt Tasten sowie Schalter verschwinden. Auf dem Riesenmonitor werden eingehende Anrufe und Musik-Playlists im bunten Nebeneinander mit der Zielführung und Points of Interest (POI) am Horizont angezeigt. Darüber hinaus kann die Frontscheibe fast beliebig mit Augmented Reality illuminiert werden. Entlastung des Fahrers? Fehlanzeige. Der Captain Future hinter dem Steuer muss zwar nicht mehr auf die Straße schauen. Dafür flackern seine Augen zwischen den unbegrenzten Anzeigen der neuen Informationswelt hin- und her.

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Jungwirth hat der digitalen Überfrachtung abgeschworen

Mercedes hatte bereits auf der CES 2012 eine Sitzkiste mit allem vollgepackt, was die damalige Projektions- und Displaytechnologie noch gar nicht hergab. Projektleiter für den DICE (engl.: Würfel oder "Dynamic & Intuitive Control Experience") war ein gewisser Johann Jungwirth. Doch das war vor seiner Zeit bei Apple. In Cupertino hat er der digitalen Überfrachtung des Fahrers offensichtlichen abgeschworen. Das legt eine Stipvisite im neuen "Volkswagen Group Future Center" in Potsdam nahe. "Die Zukunft ist für uns jetzt, wir leben im Jahr 2025. Unsere Fragestellungen sind andere als in der Vor- oder Serienentwicklung", sagt Ulrike Müller. Für die Leiterin "Digitales Kundenerlebnis" ist autonomes Fahren selbstverständlich, das bisherige ingenieursgetriebene Interieurdesign ist es nicht: "Wir wollen nicht nur Funktionalität, sondern auch Emotionalität."

Wie Johann Jungwirth fühlen sich die 80 Mitarbeiter im "Future Center" dem Apple-Mantra der intelligenten Simplizität verpflichtet. Die Bedienung muss spielerisch einfach und zugleich ästhetisch sein. "Das Kundenerlebnis ist mehr als das, was auf den Bildschirmen passiert. Es muss mit allen Sinnen wahrnehmbar sein", erklärt Ulrike Müller, die auch schon das Audi Design in Ingolstadt geleitet hat.

Anfang Februar zogen die Interaktions-Designer nach Potsdam. Hier, wo sich die Havel zum Tiefen See verdickt, wurden zehn Jahre lang neue Modelle abgenickt oder als zu progressiv verworfen. Dann hat Johann Jungwirth das formelle Siezen ebenso abgeschafft wie die superschicken Vorstandsbüros mit Glasfronten auf die brandenburgische Seenlandschaft.

Purismus in der Sitzkiste

Jetzt wirkt das zehn Meter hohe Atrium mit Glasdach wie ein Uni-Campus. Lärm-Künstler dürfen neuartige Bedienklänge ausprobieren und Auto-Laien experimentieren mit Wischgesten - alles zum Wohle der intuitiven Bedienung. Nach zwei Stunden sitzt der Besucher in einer hochgeheimen Sitzkiste, die wie das Innere eines Apple Cars aussieht. Statt einer klobigen Instrumententafel schwebt vor den Frontsitzen eine filigrane Holzablage mit einem einzigen Knopf in der Mitte. Hinter dem Lenkrad thront ein schmales Display wie im BMW i3, doch das ganze Design ist noch puristischer. Ambientelicht verändert den Raum je nach Fahrsituation: Großes Kino beim Einsteigen und fokussiertes Licht beim Selberfahren.

Natürlich sind alle Anzeigen nutzerdefiniert, das große Head-up-Display für Fahrer und Beifahrer lässt sich auch mit dem Augen-Tracker per Blickerkennung bedienen. Weil die Klimatisierung über ringförmige, flache Ausströmer im Dach erfolgt, entfallen die herkömmlichen Düsen samt der platzraubenden Luftschläuche. Die Reduzierung auf das Wesentliche schafft selbst in einem Kleinwagen ein luftiges Raumgefühl. Serienstart? Nicht vor 2020.

© SZ vom 23.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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