Zwangsstörung:Schmutzwasser gegen Waschzwänge

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"Unser größtes Problem ist, dass Zwangspatienten nicht einfach zu uns kommen und sagen: Ich habe ein Problem", sagt Ivor Tominschek von der Tagklinik Westend in München, die unter anderem auf Zwangsstörungen spezialisiert ist. "Die meisten Zwänge führen ja gerade dazu, dass sie zum Beispiel ihre Wohnung kaum noch verlassen können." Muss der Herd mehrere Dutzend mal kontrolliert werden, muss die Türklinke peinlich rein sein, darf die Treppe nur in einem bestimmten Muster hinabgestiegen werden auf dem Weg nach draußen, dann wird jeder Versuch, sich Hilfe zu suchen, zum Teil des Problems.

Dabei können Psychologen und Psychiater Zwangspatienten durchaus helfen. Vor allem die Verhaltenstherapie bietet verschiedene Techniken, Zwängen zu widerstehen. Bei einem Patienten mit einem Hygienezwang beispielsweise kann der penibel vor- und nachbereitete Griff in schmutziges Wasser Teil der Therapie sein. Auch Medikamente stehen in der akuten Phase zur Verfügung. Peters zum Beispiel war zum ersten Mal beschwerdefrei, als sie im Rahmen einer Studie bestimmte Antidepressiva einnahm.

Allerdings gelingt eine endgültige Heilung häufig nicht. Auch bei Peters kehrt in Konfliktsituationen immer mal wieder der Drang zurück, sich an den Kopf zu greifen. Manchmal verschob sich auch das Symptom - sie fing zum Beispiel an, wahllos Dinge zu kaufen oder ganztägig zu telefonieren. "Heute habe ich aber das Rüstzeug, um mit meinen Zwängen umzugehen", sagt Peters, "das ist das eigentlich entscheidende." Das Ziel ist, dem Zwang ein selbstbestimmtes Leben abzutrotzen.

Den besten Überblick über die Versorgungslage für Zwangspatienten hat die Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen. 500 spezialisierte Therapeuten hat die DGZ verzeichnet. "Wir versuchen ständig, Therapeuten zu finden, die auch Zwangspatienten behandeln, doch es ist mühsam", klagt Geschäftsführer Wolf Hartmann.

Gemeinsam mit Vertretern von Patienten mit anderen seltenen psychischen Störungen versucht die Selbsthilfeorganisation deshalb Vorurteile und Stigmata abzubauen: "Es kann sich niemand vorstellen, wie schwer es ist, einem anderen Menschen zu gestehen, dass man sich die Haare ausreißt", sagt Peters. Zudem hätten Zwangspatienten besonders große Probleme, ihre Interessen zu vertreten. "Es ist schwer, Lobbyarbeit zu machen, wenn man wegen seiner Krankheit das Telefon nicht anfassen kann und das Haus nicht verlässt."

Antonia Peters würde sich für ihre Arbeit einen prominenten Zwangspatienten wünschen, der zu seiner Störung steht. "Als der Film "Aviator" über den Zwangspatienten Howard Hughes in die Kinos kam, da haben sich mehr Leute bei uns gemeldet", sagt sie. "Wir bräuchten so eine Figur, die für uns spricht." Nach einem Prominenten, der öffentlich zugibt, dass er sich zwanghaft die Hände wäscht, sucht sie bislang allerdings vergebens.

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