Im Kino: "The Aviator":Himmelhunde auf dem Weg zur Seele

Und hinterm Horizont das Glück: Martin Scorsese feiert in seinem grandiosen Kinostück "Aviator" Howard Hughes, den Mann, der Kameras, Triebwerke und sowieso die Frauen liebte.

FRITZ GÖTTLER

Die Fliegerei interessiert mich sehr, sagt der junge Mann, und das hat wirklich Charme, diese treuherzige Untertreibung, diese unternehmungslustige Koketterie, mit der Young Howard Hughes die große Passion seines Lebens verkauft, seinen ganz persönlichen amerikanischen Traum - die Grenzenlosigkeit des Himmels über den Ebenen, die Geschwindigkeit, mit der man seine Maschinen hochzieht und seine Mädchen.

Im Kino: "The Aviator": Leonardo DiCaprio und Kate Beckinsale in "Aviator": er spielt Hughes, sie Ava Gardner.

Leonardo DiCaprio und Kate Beckinsale in "Aviator": er spielt Hughes, sie Ava Gardner.

Und natürlich kann man beides sehr schön miteinander verbinden - auf einer der zahllosen enervierenden Partys schnappt Howard (Leonardo DiCaprio) sich die geliebte Kate Hepburn und improvisiert mit ihr einen Flug übers nächtliche L.A., der die Dinge, in jeder Hinsicht, zum Schweben bringt.

Er schwingt ihr den Steuerknüppel vor den Schoß und holt aus der Kühlbox eine Flasche strahlend weißer Milch, aus der auch sie trinken darf - trotz seiner panischen Furcht, sich fremde Keime und Bakterien bei anderen Menschen zu holen.

So sind sie eben, die Scorsese-Männer, und seltsam und naiv sind ihre Methoden, ihre Liebe zum Ausdruck zu bringen - mit Wehmut erinnert man sich, wie damals Travis Bickle, der Taxi Driver, ganz selbstverständlich den blonden Traum seines Lebens ins Pornokino ausführte!

Himmelhunde auf dem Weg zur Seele

Geschwindigkeitsrekorde, viele mit schrecklichen Abstürzen (der Crash der XF-11 über L.A.), Nonstop-Flüge um die Welt (um Lindbergh die Bestzeit abzujagen), die Konstruktion eines Riesentransporters, des gigantischen Spruce Goose, der es nur zu einem einzigen kurzen Flug bringen sollte - man weiß um den Fanatismus, mit dem Hughes seine Projekte durchzog.

Geld spielte keine Rolle, er hatte, allen eigensinnigen Transaktionen und aller Misswirtschaft zum Trotz, immer die nötigen Millionen parat, und er verstand es, die Leute um ihn herum zu begeistern.

Auch bei den zwei Filmen war das so, bei denen er die Regie machte, "Hell's Angels", 1930, und "The Outlaw", 1943, den er von Howard Hawks übernahm, dem anderen großen Flieger in Hollywood.

"Hell's Angels", ein irres Epos von den Luftkämpfen des Ersten Weltkriegs, kommt bei den Filmhistorikern meistens schlecht weg - Scorsese dagegen liebt den Film.

Er teilt mit Hughes die Leidenschaft fürs Detail, diesen unablässigen Drive, einer Szene, einer Einstellung den richtigen Rhythmus zu geben, diese phantastische Millimeterarbeit im Schneideraum, bei der man das Zelluloid zwischen den Fingern spüren muss, so wie Hughes die kalte glitzernde Metallhaut seines neuen Fliegers abfährt.

Die gewöhnlichen Gesetze von Ursache und Wirkung, von Kosten und Nutzen werden ausgehebelt, aber die haben Hollywood sowieso selten interessiert.

Gleich am Anfang sieht man Hughes, den Neuling im Filmbusiness, bei Louis B. Mayer, dem Megastudioboss, demütig aber entschieden vorsprechen - er braucht noch zwei Kameras, um die Flugaufnahmen für "Hell's Angels" richtig hinzukriegen.

Mayer gibt sich ziemlich herablassend, wieviel Kameras habe er denn schon im Einsatz, fragt er, und die Antwort lässt sogar ihm den Atem stocken: 24!!!Als der Film nach Jahren schließlich fertig ist, hat der Tonfilm seinen Siegeszug begonnen, also fängt der verrückte Cineast noch einmal von vorn an mit dem Dreh.

In der Figur des jungen Howard Hughes hat Scorsese jene Mischung von mythischer Unnahbarkeit und pragmatischer Größe gefunden, die ihn seit Jahrzehnten beschäftigt, ein Erbe des italienischen Neorealismus, zu dem er sich stets bekannte.

Die tragische Dimension hat ihm John Logan geliefert, der durch das Script zu "Gladiator" zum Topautor in Hollywood wurde, der dann unter anderem einen Fernsehfilm über Orson Welles und den Citizen Kane und eine Folge für "Startrek" schrieb - und im Hinterkopf spukt ihm, eigenen Bekunden nach, der Hamlet stets herum.

Am Ende gibt es eine Wendung ins Capraeske, Mr. Hughes goes to Washington, triumphiert vor einem intriganten Senatsausschuss.

Scorsese hat "Hell's Angels" als großes Kino verteidigt: "Die Dialogszenen, bei denen James Whale Regie führte, sind fürchterlich, da gibt es keine Entschuldigung. Aber ich war verblüfft von den Flugaufnahmen: echte Flugzeuge, echte Häuser, die zerbombt wurden, Luftaufnahmen von Scheunen, die explodierten, und von Sachen, die in die Luft gewirbelt wurden.

Ich zeigte ,Hell's Angels' John Milius und Steven Spielberg , als sie ,Close Encounters of the Third Kind' vorbereiteten. Als er den Film gesehen hatte, hielt Milius eine Rede: Das ist die Art Filme, die heutzutage gemacht werden müssten." Aviator Now ...

In diesen Bildern mit Dutzenden von Fliegern, die den Himmel bevölkern, spürt man, was Freiheit für den amerikanischen Traum bedeutet, welche Produktiv-, welche Zerstörungs- und Selbstzerstörungskraft er hat.

Es ist, als würde Hughes dann vor seiner eigenen Übermenschlichkeit erschrecken - OCD nennen es die Psychologen, obsessive compulsive disorder, zwanghafte Verhaltensstörungen. Er zieht sich in seine Höhle zurück, den Projektionsraum, wo er nackt und allein steht vor den Bildern, die er schuf - einem Wolfsjungen gleich, einem Wilden bei einem halluzinogenen Initiationsritus.

Schon vorher war es immer wieder, als würde ihm die Welt plötzlich wegrutschen - Scorsese versteht es phantastisch, Hughes' früh einsetzende Schwerhörigkeit zu inszenieren. Plötzlich ist der Ton anders, man meint eine innere Stille zu hören, eine Einsamkeit, die die Bilder verändert.

Bei einem seiner ersten Auftritte steigt er energisch ins Spotlight, aber bevor er sich dort placiert hat und von den Gästen im Saal gefeiert werden kann, kommt ein harter Schnitt aus der Totale in eine radikale Großaufnahme seines Gesichts. Der Blick ist verkniffen, auf der Stirn sieht man schon, Stigma seiner Schwerhörigkeit, die tiefen Falten, die er nicht mehr wegkriegen wird.

In diesem Film schlafen die Flugzeuge miteinander, hat Truffaut geschrieben zu "Jet Pilot", dem letzten Film, den Hughes produzierte, Regie Josef von Sternberg. Cate Blanchett spielt die große Liebe in Hughes' Leben, Katharine Hepburn, und sie kriegt eine fabelhafte Mischung aus Blasiertheit und down to earth hin.

Einmal werden die zwei ins Familienhaus der Hepburns geladen, die sich als reich und hyperintellektuell gerieren. Bis Hughes ihr Geschwätz nicht mehr hören kann. Wissen Sie, sagt er, ich gehöre zu denen, die sich ihren Lebensunterhalt verdienen - und verlässt die verrückte Tischgesellschaft. Welcome back, Mr. Hughes.

THE AVIATOR, USA 2004 - Regie: Martin Scorsese. Buch: John Logan. Kamera: Robert Richardson. Schnitt: Thelma Schoonmaker. Musik: Howard Shore. Produktionsdesign: Dante Ferretti. Mit: Leonardo DiCaprio, Cate Blanchett , Kate Beckinsale, John C. Reilly, Alec Baldwin, Alan Alda, Jude Law, Ian Holm, Willem Dafoe. BVI, 169 Minuten.

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