Wissenschaft:Übertriebener Sport kann Kindern böse Schäden zufügen

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Düsseldorf (dpa) - Andreas ist zwölf, Sportskanone - und hat schon einen Armbruch, zwei Muskelfaserrisse und böse Kniebeschwerden hinter sich. Seit Jahren trainiert er fast täglich.

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Düsseldorf (dpa) - Andreas ist zwölf, Sportskanone - und hat schon einen Armbruch, zwei Muskelfaserrisse und böse Kniebeschwerden hinter sich. Seit Jahren trainiert er fast täglich.

„Ich mach' Fußball, Tennis, Leichtathletik, und am Wochenende kommen dann die Wettkämpfe“, erzählt der junge Düsseldorfer. Zu viel? In diesem Fall ja, sagen Kinderchirurgen. Über Deutschlands übergewichtige und unbewegliche PC- und Playstation-Jugend wird viel gejammert. Auch ein Kongress der Gesellschaft für Kinderchirurgie in Düsseldorf glaubt, ganz ohne Sport sei eine gesunde Entwicklung gefährdet. Aber: Die Experten machen zugleich auf einen weiteren, gegensätzlichen Trend aufmerksam, der viele Kids betrifft.

Auch wenn eine große Gruppe passiv bleibt, so steigt doch die Zahl der sportlich - unterschiedlich stark - engagierten Kinder und damit die Summe der Sportverletzungen, sagt Prof. Peter Schmittenbecher. Ein Teil von ihnen - oft mit ehrgeizigen Trainern oder Eltern im Nacken - übertreibe so sehr, dass es zu ernsten Überlastungsschäden komme, warnt der Direktor der Kinderchirurgischen Klinik in Karlsruhe. „Etwa die Hälfte aller Schäden durch Sport sind Folge von zu viel und zu intensivem Training.“ Rund 5,5 Prozent (gut 600 000 Fälle) der Schüler haben Schmittenbecher zufolge pro Jahr einen Unfall beim Sportunterricht. Ein ähnlich großer Anteil erleide zudem Unfälle beim Vereinssport- oder Freizeitsport. Obendrauf gebe es zahlreiche Beschwerden durch Überlastung. Eine Statistik gebe es nicht.

Überlastung kann gerade für Kinder gefährlich sein, weil sie noch wachsen. Einseitigen und zu belastenden Sport halten auch Orthopäden daher für riskant. Das Skelett ist nicht ausgereift, die Knochen wachsen noch in Schüben. Gelenke und Sehnen müssen sich ebenfalls weiterentwickeln, sind anfällig für kleine Verletzungen. „Wenn ein Kind in einer aktuellen Wachstumsphase steckt, sollte man zeitweise auf die Bremse treten“, rät Schmittenbecher.

Nach Unfällen kommen viele Kinder und Jugendliche mit Zerrungen, Prellungen und Knochenbrüchen in Praxen und Kliniken. Viel zu oft werde bei manchen Brüchen unnötig operiert, kritisiert der Direktor der Kinderchirurgie am Klinikum Mannheim, Prof. Lucas Wessel. 16 Prozent aller Kinder erleiden mindestens einmal einen Knochenbruch, beim Spielen oder Sport, erklärt er. In den meisten Fällen - rund 30 Prozent - handele es sich um eine Fraktur des Unterarms, nahe am Handgelenk. Wenn der Knochen dann nicht komplett durchbrochen ist, sondern - was oft vorkommt - Knochenfragmente abgeknickt sind, entscheidet er: „Nur Eingipsen, keine Manipulation.“

Binnen weniger Monate verheile der Bruch bei seinen kleinen Patienten durch das Wachstum der Knochen auch ohne OP. „Mit null Einschränkung in den Funktionen.“ Dass man viel häufiger auf die korrigierenden Kräfte des kindlichen Körpers setzen sollte, statt unter Narkose einen Metallstift einzusetzen und später wieder zu entfernen, will Wessel in einer Studie beweisen. Sie wird von Forschungsministerium und Deutscher Forschungsgemeinschaft gefördert. Per Los werden 740 Kinder unterteilt in eine Gruppe, die eine klassische chirurgische Therapie erhält und in eine zweite nur mit Gips-Behandlung. Ergebnisse soll es nach drei Jahren geben.

Auch ohne Studie steht fest: Körperliche Überbelastung kann kleine, aber tückische und schmerzhafte Verletzungen verursachen. Es drohen Brüche, chronische Sehnenentzündungen, verformte Füße, Schultern und Gelenke, Wachstumsstörungen. Junge Turner klagen nach extremer Belastung mitunter über Probleme der Wirbelsäule, junge Leistungsschwimmer über Irritationen an der Schultermuskulatur, wie Schmittenbecher schildert. „Beschwerden sollten nicht unterdrückt werden, weil der nächste Wettkampf naht.“ Ein hohes Risiko bestehe etwa bei Basketball, Fußball, Schwimmen, Reiten, Trampolin-Springen, Turnen und grundsätzlich immer, wenn es ohne Ausgleich und im Übermaß zugehe. Er rät: Nicht mehr als fünf Mal pro Woche trainieren und eine zweimonatige Ruhepause im Jahr einlegen.

Die Botschaft der Ärzte-Tagung lautet aber mitnichten, dass der Nachwuchs Abstand vom Sport nehmen soll. „Wir haben ja nach wie vor eine große Gruppe, die viel zu wenig tut. Sport ist unverzichtbar“, betont Schmittenbecher. „Man sollte nur nicht so überziehen, dass das Risiko den Benefit übersteigt.“ Den antreibenden Erwachsenen müsse man klarmachen: „Die meisten Kinder sind von Natur aus nicht zum Ausnahmeathleten gemacht. Für den Versuch, dies zu erzwingen, zahlt ihr Körper einen hohen Preis.“

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