Was die Natur wert ist:"Es geht um mehr als einen Hamster"

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Der Schutz von Lebewesen und Ökosystemen liegt nicht nur im Interesse von Gutmenschen. Forscherin Heidi Wittmer über den Wert der Natur.

Barbara Galaktionow

Die Vielfalt ökologischer Systeme und verschiedener Arten auf der Erde ist kein Luxus, sondern macht den Planeten erst bewohnbar für Menschen, Tiere und Pflanzen. Und sie hat einen ökonomischen Wert. Die UN-Initiative "The Economics of Ecosystems and Biodiversity" (Teeb) versucht ihn zu beziffern. Über den Wert der ökologischen Fülle und die Kosten ihres Verlusts sprach sueddeutsche.de mit Heidi Wittmer, der wissenschaftlichen Koordinatorin des Projekts am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig.

Den einen oder anderen Hamster kann man schon mal umsiedeln, wenn sein Lebensraum plattgemacht wird - doch besser ist es, bei wirtschaftlichen Plänen von Anfang an ökologische Fragen zu berücksichtigen. (Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Sie untersuchen den ökonomischen Wert der ökologischen Vielfalt. Warum? Schätzen wir nur noch Dinge, die wir monetär beziffern können?

Heidi Wittmer: Es ist nicht unbedingt die Frage, ob wir eine intakte Natur schätzen oder nicht. Der Punkt ist, dass wir als Gesellschaft auf Grund mangelnder Informationen und falsch gesetzter Anreize viele Entscheidungen fällen, bei denen uns Werte verlorengehen, insbesondere solche, die Ökosysteme oder auch die Artenvielfalt uns Menschen bereitstellen. Mit dem Schritt von der Anerkennung dieser Leistungen hin zu ihrer ökonomischen Bewertung wird der vielfältige Nutzen, den uns die Natur bringt, mess- und vergleichbarer. Das fördert einen schonenden Umgang mit den natürlichen Ressourcen und erleichtert nachhaltigere Entscheidungen auf allen Ebenen.

sueddeutsche.de: Wie viel ist denn nun die Natur wert? Was bringen uns Ozeane oder Wälder?

Wittmer: Den Gesamtwert der Natur für die Menschheit können wir nicht berechnen. Wir können für einzelne Funktionen oder für bestimmte Regionen Werte bestimmen. Zudem gibt es auch einige sehr anschauliche globale Schätzungen, was der Verlust ganzer Ökosysteme für uns Menschen bedeuten könnte. So wird beispielsweise angenommen, dass eine halbe Milliarde Menschen in ihrem Lebensunterhalt von den Korallenriffen abhängen - eine eindrucksvolle Zahl. Und dann gibt es Schätzungen, dass die Korallenriffe auf der Erde pro Jahr einen Wert von 170 Milliarden Dollar bereitstellen. Es gibt auch einige Studien für konkrete Riffe. Dort hat man unter anderem untersucht, welche Bedeutung die Riffe für den Tauchtourismus, die Fischerei oder den Küstenschutz haben.

sueddeutsche.de: Können Sie konkret vorhersagen, was der Verlust von Ökosystemen oder Arten uns kostet?

Wittmer: Ja, allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt. Gerade am Beispiel der Korallenriffe lassen sich die Grenzen der ökonomischen Bewertung gut aufzeigen. Nach neueren Forschungen könnten wir die tropischen Riffe bereits in der nächsten Generation weitgehend verlieren, wenn nicht schnell etwas zu ihrem Schutz passiert. Bedingt durch den Klimawandel und schädliche Fischfangtechniken, etwa mit Cyanid, drohen sich die Riffe maßgeblich zu verändern - sie könnten einen Großteil ihrer Artenvielfalt und damit auch ihrer Funktionen verlieren.

In diesem kritischen Fall geht es nicht mehr um die Frage: Was bringt ein zusätzlicher Hektar an Korallenriff an Leistung für den Fischfang? Sondern es geht um ein ethisches und gesellschaftliches Problem: Wollen wir in einer Welt ohne Korallenriffe leben oder nicht? Diese Frage ist nicht mehr allein monetär zu beantworten. Hier muss die Gesellschaft klären, was sie will.

sueddeutsche.de: Können Sie für Deutschland ein konkretes Beispiel nennen, was der Verlust an Biodiversität bedeuten würde?

Wittmer: Es gibt Schätzungen, was passiert, wenn wir die Bestäuber verlieren. Der Ertrag von 84 Prozent aller in Europa angebauten Kulturpflanzen hängt direkt von Insektenbestäubung, und dabei insbesondere den Bienen ab. Bienen, Schmetterlinge oder andere Insekten, die Bestäubungsfunktionen wahrnehmen, geraten zunehmend unter Druck und sind weniger vorhanden. Beispielsweise hat sich in den USA die Zahl der Honigbienen-Kolonien zwischen 1940 und 1990 mehr als halbiert. Dies wird vor allem mit den sich verändernden landwirtschaftlichen Praktiken in Verbindung gebracht - und lässt die kurzfristigen und in ihrer konkreten Ursache umstrittenen Bienen-Krisen noch außer Acht. Weltweit wird der Wert der Bestäubung auf etwa 153 Milliarden Euro geschätzt, was knapp zehn Prozent des Gesamtwerts der globalen Nahrungsmittelproduktion im Jahr 2005 entspricht.

sueddeutsche.de: Der Mensch oder Technologien können diesen Verlust nicht ersetzen?

Wittmer: Nur bedingt. Im Vanilleanbau wird zum Beispiel von Menschenhand bestäubt. Doch Vanille ist ein Produkt, das so teuer ist, dass die Bauern sich das leisten können. Wenn man das gleiche mit Äpfeln machen wollte, dann würden die unbezahlbar. Grundsätzlich gilt: Erhalten ist in jedem Fall billiger als Wiederherstellen. Und Wiederherstellen ist oft noch günstiger als Versuche, etwas technisch zu ersetzen.

Wie können Politiker oder Unternehmer wirtschaftlich sinnvoll und zugleich umweltfreundlich handeln? Tipps von Teeb auf Seite 2.

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sueddeutsche.de: Das Projekt Teeb will ja nicht nur den ökonomischen Wert der Biodiversität aufzeigen, sondern vor allem auch Impulse für sinnvolles Handeln geben. Der Politik empfehlen Sie unter anderem den Abbau bestimmter Subventionen ...

Wittmer: Es gibt eine ganze Reihe nicht nur ökologisch schädlicher, sondern auch ökonomisch sinnloser Subventionen. So unterstützt beispielsweise die Europäische Union in großem Umfang die Fischerei - und damit auch die Überfischung der Ozeane. Sie trägt damit nicht nur zur Ausrottung verschiedener Arten bei, sondern fördert auch ein wirtschaftlich kontraproduktives Verhalten. So schätzt die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO), dass der Umsatz des globalen Fischfangs jährlich etwa 50 Milliarden Dollar höher liegen könnte, wenn die Meere nicht so stark überfischt würden. Wenn mehr Tiere ausreichend Zeit zur Reproduktion hätten, würde einfach sehr viel mehr Fisch zur Verfügung stehen und der Gesamtertrag würde langfristig gesehen wesentlich höher ausfallen.

sueddeutsche.de: Innerhalb Ihres Projektes richten Sie sich auch ganz dezidiert an lokale Entscheider. Warum?

Wittmer: Viele Projekte zum Schutz von Biodiversität werden letztlich auf der lokalen Ebene umgesetzt. Hier entstehen dann auch die Kosten, obwohl der Nutzen dieser Protektion über das Lokale hinausgeht. Deshalb müssen Anreize für die lokale Ebene geschaffen werden. Wir wollen Fälle aufzeigen, in denen sich Investitionen in den Erhalt von Arten und Ökosystemen auch vor Ort ausgezahlt haben oder in denen Probleme auf ungewöhnliche Art gelöst wurden. Für Europa kann man hier zum Beispiel im Tourismus das Konzept des "Urlaubs auf dem Bauernhof" nennen.

Aber auch Ideen aus anderen Erdteilen können Anregungen liefern: In Sri Lanka werden Elefanten immer besser geschützt, zerstören deshalb jedoch vermehrt die Ernten der Bauern. In den betroffenen Regionen können Autofahrer, denen der Schutz der Tiere ein Anliegen ist, nun bei ihrer Autoversicherung eine "Elefantenprämie" dazuzahlen - und aus diesen Prämien werden Bauern bei Zerstörungen entschädigt. Das Problem mit den Elefanten haben wir in Europa nun nicht. Aber auch bei uns könnte man vielleicht für Naturschutzaufgaben Mittel über eine Versicherung umleiten.

sueddeutsche.de: Ist es schwierig, Wirtschaftsunternehmen für den Schutz der biologischen Vielfalt zu gewinnen? Auch hier erarbeiten Sie ja konkrete Vorschläge.

Wittmer: Es gibt einige Wirtschaftszweige, die direkt von Natur und Ökosystemen abhängen oder Dienstleistungen im Umweltbereich anbieten. In diesen Sektoren gibt es bereits ein entsprechendes Bewusstsein und Interesse. Vielen Unternehmen sind die ökologischen Auswirkungen ihrer Aktivitäten aber gar nicht bewusst. Schäden geschehen oft unbeabsichtigt. Diese Konzerne sind häufig dankbar, wenn sie auf Möglichkeiten zum Schutz der Natur hingewiesen werden. Als Beispiel fällt mir ein japanisches Unternehmen ein, das durch seine Palmölplantagen den Lebensraum des Orang-Utans bedrohte. Hier konnten die Pflanzungen mit Streifen dazwischen neu angelegt werden. Nun können die Primaten dieses Gebiet durchqueren beziehungsweise sogar noch darin leben.

sueddeutsche.de: Wie ist die Resonanz auf Ihre Arbeit?

Wittmer: Das Interesse am Schutz der biologischen Vielfalt nimmt zu. Unsere Arbeit und die Tatsache, dass wir 2010 das Internationale Jahr der Biodiversität haben, trägt dazu sicherlich bei. Entscheidend ist aber meiner Ansicht nach, dass es in den vergangenen Jahren auf der wissenschaftlichen Ebene ein Umdenken gegeben hat. Die Forschung zielt nicht mehr so sehr auf einzelne Arten ab, sondern stärker auf globale Zusammenhänge und Systeme.

Das hat geholfen, die ganze Debatte aus der reinen Naturschutzecke zu heben und in einen größeren Kontext zu stellen - und das hat jetzt auch Auswirkungen auf Politik und öffentliches Interesse. Es ist klargeworden, dass es nicht nur darum geht, einen hübschen Schmetterling oder einen Hamster zu retten, sondern dass der Menschheit insgesamt ganz erhebliche Leistungen verlorengehen, wenn Wälder, Flüsse oder Feuchtgebiete in großem Stil umgewandelt werden.

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