Wale in Gefahr:Mordskrach im Meer

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Es wird zu laut im Ozean: Schiffe, Windparks und Tiefseebohrungen schaden Walen und Delfinen. Darauf wollen Walschützer mit einer bizarren Aktion hinweisen.

Sebastian Herrmann

Der Lärmpegel in den Meeren steigt. An einem Baggersee bei München wird deshalb gleich ein Schweinswal explodieren. Das erwachsene Weibchen liegt auf einer aufgeschütteten Sandfläche neben dem klaren Wasser des Marzlinger Weihers. Der Wind weht vom Wasser her.

In der Nord- und Ostsee leben einige tausend Schweinswale. Wie viele es genau sind, ist nicht bekannt. Gewiss ist hingegen, dass sie unter den lauten Stößen leiden, mit denen die Fundamente von Offshore-Windkraftanlagen in den Meeresboden gerammt werden. (Foto: Bernd Lammel/dpa)

Er trägt den modrigen Geruch des Kadavers in die Gesichter der Aktivisten der Whale and Dolphin Conservation Society (WDCS), die hier einen Video-Clip für eine Kampagne gegen die Lärmbelastung der Meere drehen.

Neben dem Wal baut die Filmcrew eine Hochgeschwindigkeitskamera auf, die hinter einem Sprengschutzschild gesichert ist. Sie nimmt zigtausend Bilder pro Sekunde auf und soll genau den Moment festhalten, in dem der Sprengstoff den Kopf des Tieres zerfetzt. Später werden die drei Mitglieder der schwäbischen Punkband Ichty Poopzkid, die für die Kampagne ein Lied aufgenommen haben, vor der Kamera mit Kunstblut und klein geschnittener Bio-Schweineleber vollgesudelt.

Die WDCS-Aktivisten drehen einen Horrorfilm mit Walkadaver - die bizarre Orgie aus Kunstblut, Walfetzen und Leberbrocken rechtfertigen sie mit dem "guten Zweck" der ganzen Aktion. Natürlich habe man diskutiert, ob die Sprengung eines Wals moralische Grenzen verletze, sagt Niki Entrup, Geschäftsführer der WDCS-Deutschland. Die Tierschützer wissen, dass der explosive Tabubruch Aufmerksamkeit garantiert. Eine Kampagne muss schrill sein. Einen toten Wal in die Luft zu sprengen, ist ziemlich schrill.

Das eigentliche Anliegen der Aktivisten rechtfertigen Forscher weltweit hingegen nüchtern und sachlich. Wissenschaftler von der University of California in San Diego berichteten zum Beispiel im Journal of the Acoustical Society of America, wie sich die Lärmbelastung vor der Küste von Los Angeles in den vergangenen Jahren entwickelt hat.

Seit den 1960er Jahren hat sich der Pegel in den tiefen Frequenzbereichen, in denen Wale miteinander kommunizieren, demnach nahezu verdoppelt. Verursacher sei die Schifffahrt: Der Zahl der Schiffe auf den Weltmeeren habe sich zwischen 1965 und 2003 etwa verdoppelt. Die Schiffe und damit die Motoren, die sie antreiben, sind außerdem größer geworden: Die Tonnage vervierfachte sich im gleichen Zeitraum, schreiben die kalifornischen Wissenschaftler.

Susan Parks von der Pennsylvania State University berichtete erst im Juli im Fachblatt Biology Letters (online), wie die Geräusche des Schiffsverkehrs vor der Ostküste Kanadas die Kommunikation unter Glattwalen erheblich einschränken. Die Tiere müssen sich immer mehr anstrengen, um die Geräuschkulisse des Schiffsverkehrs zu durchdringen, der direkt auf ihren Frequenzen wummert. Die Versauerung der Ozeane durch den Klimawandel wird den Lärm unter Wasser in den kommenden Jahrzehnten zusätzlich anschwellen lassen: Weil sich der pH-Wert im Wasser verändert, breitet sich Schall im Meer über größere Distanzen aus.

Der Schweinswal am Marzlinger Weiher lebte einst in der Nordsee, wie einige andere tausend Tiere seiner Art. "Der Wal ist als Beifang in einem Fischernetz verendet", sagt der Meeresbiologe Karsten Brensing, der für die WDCS arbeitet. Das nur etwa einen Meter lange Tier lagerte einige Jahre tiefgefroren an einem Ort, den die Tierschützer nicht preisgeben wollen.

Nun kniet Brensing in einem weißen Schutzanzug aus dem Baumarkt neben dem aufgetauten Tier. Zusammen mit dem Sprengmeister Daniel Reger versucht er, einen mit Kunstblut gefüllten Ballon im Maul des Wals zu verbergen. Der Sprengstoff steckt in mehreren dünnen Kanälen, die so in die Unterseite des Tieres gebohrt wurden, dass es bei der Explosion nur den Kopf wegreißt. Man wolle damit versinnbildlichen, dass Meeressäugern durch den Lärm unter Wasser quasi der Schädel platze, sagt Entrup. Nun, das ist ziemlich direkt.

Ein Walkadaver, viel Kunstblut und etwas Sprengstoff: Tierschützer protestieren mit einer bizarren Aktion gegen Lärm im Meer. (Foto: Jens Kramer)

"Das Problem ist vor allem der Impulslärm, dem die Tiere unter Wasser ausgesetzt sind", sagt der Meeresbiologe Brensing. Dabei platze zwar kein Walkopf. Aber die extrem lauten Sonare von Kriegsschiffen und die Luftdruckkanonen, mit denen Explorationsfirmen den Meeresboden nach Erdöl- oder Erdgasvorkommen absuchen, können die Tiere schwer verletzen. Schon häufiger haben Meeresbiologen beobachtet, dass diese extremen Schallereignisse die Tiere in Panik versetzen. Manchmal tauchen die Wale dann so schnell auf, dass sie die Dekompressionskrankheit entwickeln und daran verenden.

"Die Meeressäuger können dadurch auch ihren Gehörsinn ganz oder teilweise verlieren", sagt Brensing. Für die Tiere ist das fatal, denn sie orientieren sich per Echoortung. Manche Meeresbiologen bringen die steigende Lärmbelastung in den Meeren deshalb in Zusammenhang mit Strandungen von Walen und Delphinen. Auch die Rammstöße beim Bau der Fundamente von Offshore-Windkraft-Anlagen stellen eine Gefahr für das Wal-Gehör dar. Pro Stoß erreichen sie Pegel von etwa 200 Dezibel, schätzt Brensing. Die Schmerzgrenze des Menschen liegt bei 100 Dezibel. Pro Fundament-Pfeiler sind meist mehrere hundert Stöße notwendig.

Derzeit planen schottische Unternehmen, den Boden im Moray Firth an der Küste vor Inverness seismisch zu vermessen. Dazu schleppen Schiffe üblicherweise ein Netz von Luftdruckkanonen und Messgeräten hinter sich her. In regelmäßigen Abständen werden die Geräte ausgelöst, aus dem Profil der Schallreflektionen lässt sich auf mögliche Rohstoff-Lagerstätten schließen. In Großbritannien versuchen Umweltschützer die Vermessungen zu verhindern - der Moray Firth ist eines der bekanntesten Gebiete Europas, in denen Walsichtungen möglich sind. Dort leben Schweinswale, Zwergwale, Gemeine Delphine, Große Tümmler. Viele solcher Explorationen sind auch in der Arktis geplant, wo die Tiere bislang gar nicht an Lärm gewöhnt sind.

"Es ist zwar die Annahme verbreitet, dass die Tiere vor den Schiffen Reißaus nehmen. Doch dies ist nicht abschließend geklärt, es gibt auch gegenteilige Beobachtungen", sagt Brensing. Schall breite sich im Wasser nicht linear aus, deshalb könnten die Druckluftkanonen die Orientierung der Wale so sehr beeinträchtigen, dass sie unter Umständen sogar auf die Schallquelle zu schwimmen.

Am Baggersee nahe München ziehen sich Filmcrew und WDCS-Aktivisten vom präparierten Wal zurück, setzen Schutzbrillen auf und beobachten die Szene aus weiter Entfernung. "Jetzt wird es eklig", ruft Sprengmeister Reger. Die Explosion schleudert Teile des Schweinswals bis zu 80 Meter weit durch die Luft - viel weiter, als alle am Marzlinger Weiher erwartet hatten.

Ein penetranter Geruch aus Meeresmoder und Verwesung hängt in der Luft. Der Kameramann blickt desorientiert über die Szene, er hat die ersten und entscheidenden Augenblicke der Explosion nicht erwischt. An seiner Schläfe klebt ein kleines Stückchen Wal. Der Meeresbiologe Carsten Brensing läuft mit einer Plastiktüte in der Hand über den Schotter und sammelt die Spuren der Sauerei auf. Er ist sehr still und sehr blass.

© SZ vom 02.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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