Biologie:Wie weniger Vögel an Fensterscheiben sterben

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Greifvogel-Aufkleber zur Abschreckung sind verbreitet, gelten aber als unwirksam. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Laut Naturschutzverbänden sterben in Deutschland jährlich 100 Millionen Vögel durch Kollisionen mit Fensterscheiben. Eine Studie gibt nun Empfehlungen, wie sich das verhindern ließe.

Von Hannah Wagner

Vorstadtidylle, grüne Gärten, hier und da ein Vogelhäuschen. Schwarze Silhouetten von Raubvögeln kleben vereinzelt auf Fensterscheiben. Sie sollen verhindern, dass Vögel gegen das Glas fliegen. Laut Naturschutzbund Deutschland (Nabu) bringt dies allerdings wenig. Vögel würden nur einen schwarzen Fleck anstatt eines Feindes auf der Scheibe erkennen. Sie prallen dann meist direkt daneben gegen die für sie unsichtbare Scheibe.

100 Millionen Vögel sterben jährlich den Glastod. Das haben Hochrechnungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten ergeben. Auf den ersten Blick klingt diese Zahl unrealistisch. Catherina Schlüter, Referentin für Vogelschutz bei der NABU, erklärt, wie sie zustande kam: „Studien aus den USA gehen von zwei Glasopfern pro Einfamilienhaus aus, das wären in Deutschland bei 16 Millionen Einfamilienhäusern schon 32 Millionen tote Vögel. Bei mittelgroßen Häusern kommt es jeweils zu 22 Glasopfern pro Jahr, gegen jedes Hochhaus prallen circa 24 Vögel jährlich.“ Die Daten ließen sich durchaus auf Deutschland übertragen. Die heimische Brutpopulation wird auf 500 Millionen Vögel geschätzt, hinzu kommen bis zu 500 Millionen Zugvögel.

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Ein Team um Brendon Samuels, Doktorand im Fachbereich Biologie an der University of Western Ontario in Kanada, hat nun das Verhalten der Vögel bei den Kollisionen untersucht und die Ergebnisse in der Fachzeitschrift PeerJ veröffentlicht. Mit Bewegungsmeldern und Kameras beobachtete die Gruppe in einem Hinterhof in der Stadt London, Ontario, über zwei Jahre hinweg Vögel. Sie erfassten 29 Kollisionen und 9 Beinahezusammenstöße der Vögel mit Fensterscheiben. Nur zwei der Kollisionen führten zum sofortigen Tod der Tiere, 23 Vögel flogen nach der Kollision wieder weg. Die Forscher und Forscherinnen vermuten, dass viele kurz nach dem Aufprall an einem anderen Ort an den Verletzungen starben.

Je schneller die Vögel flogen und je senkrechter sie auf das Glas prallten, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich verletzten oder starben. In zwölf der Kollisionen zeichneten die Kameras auf, dass die Vögel vor der Kollision abgelenkt waren. Zum Beispiel jagten sie sich gegenseitig oder hatten Futterstellen in der Nähe im Blick. Die Vogelart spiele dabei keine Rolle, schreibt die Gruppe. Allerdings waren alle von den Kameras aufgezeichneten Vögel schwerer als 40 Gramm – was womöglich auch daran gelegen haben könnte, dass kleinere Vögel von den Bewegungsmeldern nicht erfasst wurden.

Beim Bauen sind Vogelschutzmaßnahmen Pflicht

Problematisch für die Vögel sind wohl vor allem Spiegelungen, die umliegende Natur reflektieren. Und auch, wenn der Wunsch nach Naturverbundenheit verständlich ist – gerade ein Wintergarten mit Pflanzen darin stelle ein hohes Tötungsrisiko dar, sagt Catherina Schlüter vom Nabu.

Wenn ein Vogel an die Scheibe prallt und verendet, ist das nicht nur herzzerreißend – es kann auch teuer werden. Grundsätzlich gilt §44 des Bundesnaturschutzgesetzes, das Tötungs- und Verletzungsverbot von wild lebenden Tieren. Verstöße gegen dieses Verbot können mit Geldbußen bis hin zu Freiheitsstrafen geahndet werden. Konkret heißt das: Der Nachbar darf seinen Wintergarten aus Glas zwar bauen, muss aber Vogelschutzmaßnahmen ausschöpfen. Dass Vogelschutz nicht unbedingt ästhetisch ist, wird von der zuständigen Naturschutzbehörde als Argument nicht anerkannt.

Das Team um Brendon Samuels empfiehlt in seinem Aufsatz, Futterstellen oder Vogelbäder in der Nähe der Fensterscheiben zu platzieren. So würden die Tiere nicht mit voller Wucht gegen die sehr nah gelegene Scheibe knallen. Diese Empfehlung widerspricht nicht nur dem gesunden Menschenverstand – ein Leitfaden des bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU) empfiehlt ebenfalls ausdrücklich das Gegenteil. Auch Catherina Schlüter sagt: „Durch die Vogelhäuschen wird eine Attraktion für Vögel geschaffen, die dann den Fenstern gefährlich nahe kommen. Man sollte Vogelhäuschen eher weit weg vom Fenster platzieren.“

Das Beste sei, mit Vogelschutzmarkierungen wie Milchglas-Klebestreifen zu arbeiten, die unterbrechen die Spiegelung. Auch laut Samuels und Team sollte man bereits beim Bau der Fenster auf vogelfreundliches Material zurückzugreifen, wie das milchig aussehende Frittenglas oder Fensterfolien. Werden Klebefolien eingesetzt, so sollten diese auf der Außenseite angebracht werden. Auf der Innenseite des Glases angebracht könnten die Tiere sie meist nicht ausreichend sehen, schrieben Wissenschaftler des William & Mary’s Institute for Integrative Conservation im US-Bundesstaat Virginia kürzlich ebenfalls im Fachjournal PeerJ. Eine sehr einfache zusätzliche Maßnahme nennt der Leitfaden des bayerischen LfU: Fenster seltener putzen. Höchstens einmal in anderthalb bis zwei Jahren empfiehlt das LfU bei Büro- und Verwaltungsgebäuden oder Schulen, gläserne Funktionsbauten dürfen – wenn überhaupt – gerne noch seltener gereinigt werden.

Hinweis: Dieser Text erschien zuerst im Februar 2023. In einer früheren Version dieses Textes wurde in einer Bildunterschrift empfohlen, Greifvogelsilhouetten von außen anzubringen. Diese Aufkleber gelten laut Experten jedoch als unwirksam. Auch wurde es als „höchst effektiv“ bezeichnet, Fenster nicht zu putzen, dies ist als alleinige Maßnahme aber nicht ausreichend. Wir haben die Stellen präzisiert.

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