Verhaltensbiologie:Die Chefinnen der Savanne

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Hyänen werden meist von einem Weibchen angeführt. Zu Unrecht haben sie einen schlechten Ruf. Sie sind schlaue Teamworker, ausdauernde Jäger und liebevolle Mütter.

Reportage von Barbara Reye

Eine Horde Paviane blockiert den Weg hinunter in den größten intakten Krater der Welt. Die Affen hocken da und schauen, verschwinden dann aber im Gebüsch. Die Fahrt mit dem Landrover zum Kesselboden des Vulkanbergs ist kurvig und holprig. Ein Schlagloch nach dem anderen. Doch dann lichtet sich der Wald. Der Blick ist frei auf die 600 Meter tiefer gelegene Grassavanne, die von oben wie ein Paradies für Tiere aussieht.

"Es ist fast wie ein Zoo hier", sagt Arjun Dheer vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin. Seit Februar forscht der Verhaltensbiologe im Ngorongoro-Krater in Tansania, der 1979 zum Weltnaturerbe ernannt wurde. Nicht nur Flamingos stehen dort im Salzsee, auch die Big Five Löwe, Nashorn, Elefant, Leopard und Büffel tummeln sich in der Grassteppe. Im Schatten eines Baums dösen an diesem heißen Nachmittag vier Löwenmännchen und wälzen sich von einer Seite auf die andere. "Just hanging around", sagt Dheer und lacht. Sie hätten sich vorher die Bäuche vollgeschlagen.

Eigentlich ist der Wissenschaftler aber nicht auf der Suche nach dem von vielen Leuten geradezu ehrfürchtig bewunderten König der Tiere. Vielmehr hält er Ausschau nach Tüpfelhyänen, den berühmt-berüchtigten Aasfressern, die ihre Beute mit Haut und Haaren verschlingen. Die mit blutigen Nasen aus den Bauchhöhlen eines Büffels herauskriechen, wo sie die Eingeweide gefressen haben. Und die am Schluss praktisch nichts mehr vom Kadaver übrig lassen, weil sie fast alles davon verwerten können. "Sie sind die perfekten Recycling-Tiere", schwärmt Dheer. Sehr ökologisch. Einfach genial.

Die hell- und dunkelbraun gefleckten Tiere mit dem kräftigen Körperbau, den großen runden Ohren und dem markanten Kamm auf Schädel und Nacken sind aber auch gute Jäger. "Sie rennen bis zu 60 Kilometer pro Stunde und sind anders als Löwen gute Ausdauerjäger mit einem relativ großen Herz", erklärt der 27-jährige Forscher. Mit dem Fernglas hat er nun die erste Tüpfelhyäne am See entdeckt. Spielt sie mit den Hörnern eines Büffels? "Nein", antwortet Dheer, der beim Schweizer Hyänen-Experten Oliver Höner am Leibniz-Institut seine Doktorarbeit schreibt. Sie frisst das rosafarbene Knochenmark, das vor allem Fett, aber auch Eisen und Vitamine enthält.

Um da heranzukommen, hält sie den Kopf schief, sodass ihre ausgeprägten Backenzähne das Horn lautstark durchbrechen können. Sie sehe beschäftigt und glücklich aus, findet Dheer. Hungern müsse hier so schnell keiner. Aufpassen, nicht von den noch kräftigeren Löwen getötet zu werden, allerdings schon. Dheer sucht nun das passende Foto aus seiner Datei, die er zwischen den Autositzen parat hat. Es ist wie ein Who's who der Tüpfelhyänen. Denn alle im Krater lebenden Individuen sind dort mit Bild dokumentiert. Wer gehört zu wem? Und wer ist der Vater? Dieser macht sich nach der Paarung aus dem Staub und kümmert sich im Gegensatz zur fürsorglichen Mutter nicht um den Nachwuchs. Doch für die Rekonstruktion des Stammbaums ist die Information wichtig.

Das Hyänen-Archiv hat Oliver Höner zusammen mit seinem Team erstellt. Er arbeitet schon seit mehr als 20 Jahren in dem noch zur Serengeti gehörenden Ökosystem. Anhand der Flecken an Beinen und Schultern lassen sich die Tiere unterscheiden. "Vor uns ist F 232, ein Sohn von F 107", sagt Dheer. Er hat eine Schlitzwunde mitten im Gesicht, die er sich vermutlich während einer Fressorgie an einem gebrochenen, scharfen Rippenknochen zugefügt hat. Und weiter hinten holt F 222 ihre versteckte Beute aus dem Wasser und schleppt den Büffelschädel wie eine Trophäe.

Hyänen leben in großen Sippenverbänden. Im Krater gibt es acht Clans mit 50 bis 130 Individuen. Jede Gruppe wird meist von einem Alphaweibchen und deren Jungen angeführt. In der Regel erben die Nachkommen den Rang gleich unterhalb ihrer Mutter. Die von Nachbarclans hinzugekommenen, meist noch recht jungen Männchen stehen ganz unten in der Hierarchie. Sie hätten kaum Aufstiegschancen, erklärt Dheer. Sehr selten gibt es in einem Clan mal ein Männchen als Chef - und das auch nur, wenn das Alphaweibchen stirbt und ihr jüngster Sohn den Chefposten übernimmt.

Nach einem Lavaausbruch vor rund zwei Millionen Jahren fiel der über 5000 Meter über dem Meeresspiegel gelegene Gipfel des Ngorongoro zusammen, sodass sein höchster Punkt heute nur noch auf 2300 Metern liegt. Der nährstoffreiche Boden zieht unzählige Wildtiere an. Bis vor einem Jahr trieben auch die Massai ihr Vieh dorthin, sodass Tausende von Rindern, Ziegen und Schafen gleichzeitig neben den Gnus, Zebras und Gazellen grasten. Jetzt dürfen die Viehhirten aus Naturschutzgründen ihre Tiere nur noch am Rand und in den Gebieten außerhalb des Kraters weiden lassen.

Die Massai sind mit diesem drastischen Eingriff in ihr traditionelles Leben nicht einverstanden und fühlen sich zurückgedrängt. Hat eine Hyäne ein Tier von ihnen gerissen, üben sie oft Vergeltung, indem sie Gift in den Kadaver spritzen und so meist gleich mehrere Hyänen töten. Der Konflikt sei vergleichbar mit dem zwischen Wolf und Mensch in Europa, erklärt Dheer. Da Rinder bei den Massai einen sehr hohen Stellenwert hätten, suche er zusammen mit ihnen nach Lösungen, etwa bessere Zäune zum Schutz der Nutztiere.

Das Leben der Hyänen ist wie eine TV-Serie: mal brutal, mal emotional und mal romantisch

Dheer ist ganz in seinem Element, wenn er von den Hyänen redet, und nähert sich einer Höhle, wo früher Warzenschweine lebten. "Dort sind junge Hyänen drin", sagt er. Meist würden sie pünktlich um fünf Uhr herauskommen. Tatsächlich lugt nun eine schwarze Schnauze aus dem Erdloch, dann eine weitere und immer mehr. Sie gehören zum Forest-Clan. Sechs Mütter und sieben Junge.

"Come on", sagt Dheer, der darauf wartet, dass die Jungtiere ihr Morgengeschäft machen. Er brauche unbedingt noch Kot für die DNA-Analyse der jüngsten Nachkommen, um die Verwandtschaftsverhältnisse zu klären. Manchmal seien die Ergebnisse total verrückt. So habe sich vor fünf Jahren herausgestellt, dass die Chefin F107, die sie Mkakati getauft haben, Drillinge zur Welt gebracht hat. Einen solchen Fall gibt es weltweit nur dreimal. Einzigartig ist zudem, dass die drei von zwei verschiedenen Vätern stammen. Inzwischen sei sie mehrfache Großmutter und in seinem persönlichen Ranking mit Abstand die Favoritin, sagt Dheer.

Der Verhaltensbiologe ist vom Leben der Hyänen immer wieder aufs Neue fasziniert - etwa von den Kämpfen innerhalb der Clans, von den täglichen Rivalitäten der Tiere um Futter oder Partner, aber auch von der liebevollen Fürsorge der Mütter, die einmal sogar zur Adoption eines verwaisten Jungtiers führte. Es sei wie bei einer Fernsehserie, mal brutal, mal emotional und mal romantisch. Ständig sei etwas anderes los.

In der Tat. "Hier kommt F264, um Hallo zu sagen", erklärt Dheer. Oder doch, um in den Reifen zu beißen? Dann müsse er kurz den Motor anstellen. Denn einen Platten zu haben kurz vor Einbruch der Dunkelheit, wäre ziemlich unangenehm.

© SZ vom 03.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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