Verhaltensbiologie:Der Tod und die Tiere

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Stundenlang verharrten die Giraffen neben ihren toten Kälbern. Ein Biologe hat diese ungewöhnlichen Szenen beobachtet und die Frage aufgeworfen: Trauern Tiere? Haben Sie eine Vorstellung vom Tod?

Katrin Blawat

Die Giraffe hatte ihre Vorderbeine angewinkelt, wie es die Tiere zum Fressen oder Trinken tun. Dieses junge Weibchen aber schien weder Wasser noch Futter zu sich zu nehmen, sondern an etwas zu riechen, das auf dem Boden lag. Schließlich erkannte Fred Bercovitch vom Primatenforschungszentrum der Universität Kyoto auch, was die Giraffe so beschäftigte: ihr offenbar erst kurz zuvor geborenes Kalb - es war tot. Mehr als zwei Stunden lang beschnupperte die Mutter den leblosen, im offenen Grasland liegenden Körper. Dann verschwand sie in einem dichter bewaldeten Gebiet.

Giraffen sind nicht für eine enge Bindung an ihre Kinder bekannt. Doch stirbt ein Kind, verhält sich die Mutter, als würde sie trauern. (Foto: Robert Haas)

Bercovitch beschreibt diese Szene aus dem Südluangwa-Nationalpark in Sambia zusammen mit zwei weiteren Beobachtungen, wie wild lebende Giraffen auf tote Artgenossen reagieren, im African Journal of Ecology (online). Ungewöhnlich verhielten sich die Tiere in jedem dieser drei Fälle. Doch zeigten sie auch Trauer? Haben Giraffen - oder andere Tierarten - eine Vorstellung vom Tod, die der menschlichen ähnelt?

Einige Forscher halten es für möglich, dass zumindest Schimpansen und Elefanten wissen, was der Tod bedeutet. Das schließen sie aus der Art und Weise, wie diese Tiere mit toten Artgenossen umgehen. Elefanten zum Beispiel wurden mehrmals dabei beobachtet, wie sie sterbende Herdenmitglieder zum Aufstehen bewegen wollten, leblose Artgenossen stundenlang mit dem Rüssel untersuchten, dabei aufgeregt trompeteten und sich lange Zeit nicht von dem Kadaver entfernten.

Von Schimpansen ist bekannt, dass sie sterbende Artgenossen streicheln und kraulen, ihre toten Jungen mit sich herumtragen und Plätze eine Zeit lang meiden, nachdem dort ein anderer Schimpanse gestorben ist. Viele Forscher, die ein derartiges Verhalten bei Elefanten und Schimpansen beobachtet haben, gestehen diesen Tieren Mitgefühl im Umgang mit toten Artgenossen zu.

Vertreter anderer Spezies reagieren hingegen meist weniger intensiv auf tote Artgenossen. Bercovitch zufolge ist es zwar ungewöhnlich, wenn sich eine Giraffenkuh wie die von ihm beobachtete längere Zeit außerhalb der Sichtweite von Artgenossen aufhält. Auch dass Giraffen überhaupt auf dem Boden liegende Objekte untersuchen, gehört normalerweise nicht zu ihrem Verhaltensrepertoir. Dennoch "war die mütterliche Reaktion auf das tote Kalb nicht so ausgeprägt wie die, die ein Afrikanischer Elefant zeigen würde", schreibt der Forscher.

Allerdings berichtet er auch von einem Fall im Jahr 2010 aus Kenia, in dem eine Giraffenkuh vier Tage an der Seite ihres toten Kalbs verbrachte. Das Jungtier war nicht bei der Geburt, sondern erst einige Zeit später gestorben. Offensichtlich hängt die Reaktion der hinterbliebenen Tiere auch von der Zeit ab, die sie mit dem Artgenossen verbringen konnten. Diesen Zusammenhang haben Forscher auch bei Schwarzen Stumpfnasenaffen beobachtet.

Gemeinsam ist vielen Tieren - vom Meerschweinchen bis zum Schimpansen - die physiologische Reaktion auf den Verlust eines vertrauten Artgenossen: Sie empfinden Stress. Dies lässt sich anhand des Hormons Cortisol messen. Dessen Konzentration im Blut steigt bei psychischem wie physischem Stress. Auch ein trauernder Mensch hat erhöhte Cortisolwerte. Nur: Die Frage, ob Tiere wirklich trauern, lässt sich allein anhand von Hormonmessungen nicht beantworten.

© SZ vom 22.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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