Titanenwurz:Stinkende Augenweide

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Sie wächst und wächst, und wenn sie dann endlich einmal blüht, erfreut sie zwar das Auge, aber beleidigt die Nase. Im Botanischen Garten zu Berlin sorgte die seltene Blüte des Titanenwurz nun für großen Andrang.

Thorsten Schmitz

Gesche Hohlstein hatte einen vorgewarnt, schon Tage vorher, als man sie zum ersten Mal getroffen hatte. Es war kurz vor 20 Uhr, im Berliner Botanischen Garten war fast niemand mehr, aber die Pressesprecherin mochte einfach nicht nach Hause gehen. Die Aufregung war zu groß. Sie wollte den seltenen Moment nicht verpassen. "Das ist wie eine Schwangerschaft. Da weiß man auch nicht, wann es losgeht." Sie stand vor einem riesigen schwarzen Plastiktopf im Großen Gewächshaus und lachte.

Im Botanischen Garten in Berlin-Dahlem blüht eine Titanenwurz (Amorphallus Titanium). An jedem Tag sieht die Blüte anders aus. (Foto: dapd)

In der Plastiktonne steckte eine Titanenwurz - die größte Blume der Welt. Sie wuchs und wuchs und war schon fast zwei Meter lang. Die gigantische Pflanze wächst nur auf Sumatra und auch nur nachts, sie ist eine Nachtblüherin. Auf Lateinisch heißt sie "Amorphophallus titanum", salopp übersetzt also: Unförmiger Riesenpenis. Palmengärten in Frankfurt, München, Leipzig und Stuttgart besitzen alle eine Titanenwurz - nur wann und ob sie blüht, ist nicht vorhersagbar. "Passen Sie auf, wenn sich die Blüte öffnet", sagte Gesche Hohlstein. "Dann wird es nach Kot riechen und nach Aas, als würde ein Ziegenkadaver unter griechischer Sonne verwesen."

Am Samstag war es dann soweit: Die größte und übelriechendste Blume der Welt, deren Knolle fast 31 Kilo wiegt, öffnete ihre Blüte und verströmte den Gestank von verwesendem Fleisch und Ammoniak. Der Ansturm war gewaltig, sogar auf die auf die Pflanze gerichtete Internet-Kamera, die auch prompt nicht mehr anklickbar war.

Dass die Berliner Titanenwurz überhaupt erblüht ist, ist ungewöhnlich genug. Sie mag es gern still und ziert sich. Üblicherweise fristet sie ein Dasein unter Ausschluss der Öffentlichkeit, steht in einem Gewächshaus, das den Besuchern vorenthalten ist. Die Sensationstouristen und die Zugluft durch die sich ständig öffnende Eingangstür hätten die Titanenwurz "unter Stress gesetzt", sagte Gesche Hohlstein. Vielleicht hat sie diesmal deshalb so lange gebraucht, um zu blühen.

Entdeckt wurde die seltsame Pflanze 1878 vom florentinischen Botaniker Odoardo Beccari. Es gelang ihm damals, Samen unversehrt nach Europa zu schicken, die auch tatsächlich auskeimten. Dennoch dauerte es ganze elf Jahre, bis eine Pflanze endlich zur Blüte kam. Heute gilt sie als gefährdet, weil auf Sumatra Palmölplantagen die heimische Flora und Fauna verdrängen. Aus dem Palmöl werden Essstäbchen und Gartenmöbel gefertigt. Die Titanenwurz dagegen hat keinen Mehrwert: Sie ist giftig.

Das Hochblatt der Titanenwurz, das sich jetzt gelöst hat und den verstörenden Geruch (Ein Besucher: "Das stinkt ja hier wie in der S-Bahn") verströmt, sieht aus wie ein riesiges Radicchioblatt. Es hat die Farbe von getrocknetem Blut - das zieht Fliegen an. Im nach Aas duftenden Blütenkelch wollen sie Eier ablegen. Aber im Blütenstand der Titanenwurz finden die Fliegen keinen geeigneten Brutplatz - bei ihrer Stippvisite aber bestäuben sie die Blüten der Riesenpflanze. Am zweiten Blüten-Tag schließt sich das Blatt wieder langsam - und am dritten dann wird die Blütenstandsknospe verschrumpeln wie eine alte Paprika.

© SZ vom 16.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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