Teilchenbeschleuniger am Cern:Und jetzt hören wir auf

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Der "Large Hadron Collider" von CERN. (Foto: fabrice Coffrini/AFP)

Die größte Maschine der Welt am Cern läuft wieder - in einer neuen Rekordgeschwindigkeit. Doch womöglich bleiben große Entdeckungen in Zukunft aus. Das müssten die Physiker dann offen eingestehen.

Kommentar von Robert Gast

Die größte Maschine der Welt läuft wieder. Seit Donnerstag jagt sie unter Genf Atomkerne ineinander, so wie zuletzt vor zwei Jahren. Dank Wartungsarbeiten am Large Hadron Collider (LHC) fliegen die Partikel nun schneller als jemals zuvor. Damit betreten die Physiker am Cern Neuland.

Die Mikro-Karambolagen könnten Elementarteilchen hervorbringen, die es auf der Erde nicht gibt. Sie würden Neues über die Entstehungsgeschichte des Kosmos verraten. Das zumindest hoffen die Physiker. Wahrscheinlicher ist, dass die Wunderteilchen nicht auftauchen. Dann würde die Physik als erste Wissenschaft die Grenze dessen erreichen, was Menschen messen und verstehen können. Wer heute den Mikrokosmos erforscht, bewegt sich am Rande des technisch Machbaren. Und er geht mehr denn je das Risiko ein, sein Berufsleben einem Phantom nachzujagen. Niemand weiß, ob das mathematische Gedankengebäude namens Supersymmetrie, das die Existenz der neuen Cern-Partikel voraussagt, die Realität abbildet, oder ob es sich bloß um ein Luftschloss handelt. Und selbst wenn die Supersymmetrie real ist, könnte es sein, dass nicht einmal Milliarden Euro teure Teilchenbeschleuniger wie der LHC ihre Existenz beweisen können.

Noch nie war die Zukunft der Teilchenphysik so ungewiss wie heute

Ungewissheit ist für Teilchenphysiker nichts Neues. Aber nie war sie so groß wie heute. Bisher hatten die Forscher einen Reiseplan, der den Weg hin zu einem tieferem Naturverständnis gezeigt hat. Mit der Entdeckung des Higgs-Teilchens im Jahr 2012 sind die Physiker allerdings am Ziel angelangt, das sogenannte Standardmodell der Teilchenphysik ist seitdem komplett.

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Am Cern läuft die größte Partikelschleuder wieder. Sie ballert Protonen mit mehr Energie aufeinander, als je eine Maschine zuvor. Zeigen sich neue Formen der Materie?

Es beschreibt, welche Kräfte die Sonne scheinen lassen und was eine Schneeflocke zusammenhält. Doch damit sind die Physiker nicht zufrieden. Manches Phänomen fernab der Erde bleibe unverstanden, sagen sie. Der Aufwand, diese Fragen zu erforschen, muss aber in einem vertretbaren Verhältnis zur gewinnbaren Erkenntnis stehen. Die Teilchenphysik hat einen Punkt erreicht, an dem diese Rechnung nur noch mit viel Glück zu ihren Gunsten ausfällt. Vielleicht lassen sich die letzten Rätsel des Weltalls nur mit einer Kraftanstrengung knacken, die sich in Anbetracht anderer Probleme der Menschheit nicht rechtfertigen lässt. Für Teilchenphysiker sind solche Gedanken verpönt. Bleiben große Entdeckungen am Cern in Zukunft aus, muss sich das ändern. Dann sollten die Forscher offen sagen: Wir haben viel erreicht - und jetzt hören wir auf.

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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