Etwas nachzubauen, das es in der Natur bereits gibt - vor zehn Jahren noch kam Jef Boeke diese Idee widersinnig vor. Inzwischen hat er seine Meinung geändert, wie eine Studie im Fachmagazins Science (online) belegt. Darin berichten der Genetiker von der Johns Hopkins University in Baltimore und 79 weitere Autoren, wie sie ein Chromosom der Bäckerhefe im Labor nachgebaut und zugleich nach ihren Wünschen verändert haben.
Nie zuvor ist es gelungen, ein derart komplexes Chromosom wie das von Saccharomyces cerevisiae - zu deutsch Bäcker-, Brau- oder Bierhefe - im Labor zu synthetisieren. Damit ist ein weiterer großer Schritt in der Hefe-Genomik geschafft, nachdem das Erbgut dieses Mikroorganismus vor fast 20 Jahren entziffert wurde.
So unverkennbar stolz Boeke und seine Koautoren auf diesen Erfolg sind, so lassen sie keinen Zweifel an ihrem eigentlichen Ziel: Eine ganze Hefezelle mit einem komplett künstlichen Genom auszustatten. Daran arbeiten bereits zahlreiche Forschergruppen im Rahmen eines weltweiten Projekts. Bäckerhefe besitzt etwa 6000 Gene, verteilt auf 16 Chromosomen. Die meisten davon sind größer und damit vermutlich schwieriger nachzubauen als jenes, von dem das Team nun berichtet. Dennoch hat der Freiburger Biotechnologe Wilfried Weber kaum Zweifel daran, dass es auch mit den übrigen 15 Chromosomen gelingen kann: "Das ist eher eine Fleißarbeit."
Eine Hefezelle mit entrümpelter DNA
In zwei Jahren, so hofft Boeke, werde es geschafft sein. Petra Schwille, Direktorin am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München, sieht ein mögliches Problem weniger im Nachbauen als darin, das künstliche Genom im lebenden Organismus zu aktivieren. Können sich Hefezellen mit synthetischen Chromosomen ebenso schnell vermehren, und wachsen sie genauso gut wie ihre normalen Artgenossen?
Zumindest für Hefe mit einem künstlichen Chromosom ist das nun mit Ja beantwortet. Auch als die Forscher die Umgebungstemperatur, den Säuregehalt der Nährlösung sowie eine Reihe weiterer Umweltbedingungen in ihren Experimenten modifizierten, schlugen sich die veränderten Hefezellen ebenso gut wie die natürlichen.
Das ist umso erstaunlicher, als die Wissenschaftler die Hefe-DNA ordentlich entrümpelt hatten, ehe sie sich an den Nachbau machten. Das Team entfernte alle Bestandteile, die als nicht lebensnotwendig gelten. Statt der knapp 317 000 DNA-Bausteine des natürlichen Chromosoms enthält die künstliche DNA nicht einmal 274 000 Bausteine. Dieses Aussortieren ist ein riskantes Unterfangen, wie Boeke aus Erfahrung weiß: "Eine falsche Veränderung, und die Zelle stirbt."
Künstliche Zellen als Minifabriken
Umgekehrt haben die Forscher durch den gezielten Verzicht auf einige DNA-Abschnitte Kenntnisse darüber gewonnen, worauf ein Organismus zur Not verzichten kann. Diese Frage mag überraschend klingen. Tatsächlich aber ist sie in der Biochemie noch immer nicht umfassend beantwortet - und einer der Gründe, warum Boeke es inzwischen doch sinnvoll findet, die Natur im Labor nachzubauen. Zu den verzichtbaren DNA-Abschnitten im Hefe-Chromosom gehören den Studienergebnissen zufolge zum Beispiel jene, die sich mehrmals wiederholen. Aus Sicht der Evolution sind solche Fragmente nützlich, weil sie helfen, in der Natur zu überleben.
Rein biotechnisch betrachtet sind solche Schnipsel jedoch reine Energieverschwendung. "Die Fähigkeit, sich anpassen zu können, kostet Energie", sagt Weber. Nimmt man der Zelle diese Flexibilität, bleiben ihr mehr Ressourcen für das, was die Industrie von ihr erwartet - zum Beispiel, Medikamente und Treibstoffe zu produzieren. Zwar lassen sich auch die einfacher strukturierten Bakterien zu solchen Minifabriken genetisch umprogrammieren. "Hefen haben aber einen flexibleren Stoffwechsel", sagt Weber. So wird schon heute das Malaria-Medikament Artemisinin mithilfe genetisch umprogrammierter Bäckerhefe gewonnen.