Stadtentwicklung:Der Traum vom Flussbad - mitten in der Stadt

Perspektive Lustgarten

Blick auf das Spreebad - sollte die Vision des Flussbad-Vereins eines Tages Wirklichkeit werden.

(Foto: realities:united/Flussbad Berlin e.V.)

Mittlerweile ist die Wasserqualität vieler Flüsse wieder so gut, dass Menschen darin schwimmen könnten. Über den langen Weg, die Kloaken deutscher Metropolen in Oasen zu verwandeln.

Von Philipp Wurm

Das Schwimmbad, das eine Weltneuheit wäre, wirkt wie die Fantasie eines verrückten Künstlers. In einem Fluss, der zu den schmutzigsten des Landes zählt, plantschen ausgelassene Menschen - vor der Kulisse preußischer Monumentalarchitektur, dem Berliner Dom, dem Bode-Museum, dem wiedererrichteten Stadtschloss. Am Ufer tribünenartige Treppen, wo Erholungssuchende auf ihren Badetüchern hocken und sich bräunen. Nur wenige Meter entfernt von den Touristen, die in die Renommierbauten im Zentrum der Hauptstadt pilgern.

Die urbane Schwimmlandschaft, etwa 850 Meter lang, ist eine Vision des Vereins "Flussbad Berlin". Sie sei "Ausdruck des Lebensstils einer aktiven und umweltbewussten Stadtgesellschaft", sagt der Vorsitzende Tim Edler, ein preisgekrönter ­Architekt, der mit dem Vereinskollektiv in einem Kreuzberger Loft residiert. Noch ist die Freizeitstätte in einem Seitenarm der Spree, der seit mehr als 100 Jahren für Schiffe gesperrt ist, lediglich ein Pixelbild auf dem Computerbildschirm. In "acht bis zehn ­Jahren", kalkuliert Edler vorsichtig, könnten die ersten Vergnügungssüchtigen ins Flusswasser springen. Gefördert wird das Projekt mit vier Millionen Euro vom Bundesumweltministerium und Berliner Senat.

Aus natur 07/2018

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  • natur 03/2018 natur 07/2018

    Der Text stammt aus der Juli-Ausgabe von natur, dem Magazin für Natur, Umwelt und nachhaltiges Leben. Er erscheint hier in einer Kooperation. Mehr aktuelle Themen aus dem Heft 07/2018 auf natur.de...

Von einer "Spinneridee" sprachen Kritiker, als ­Edler den Plan Ende der 90er Jahre vorstellte. Die Skepsis hatte mit den Gebäuden in der Umgebung zu tun, die unter Denkmalschutz stehen. Vor allem aber spielten hygienische Gründe eine Rolle. Die Spree, von den Berlinern "Kot d'Azur" genannt, ist nämlich eine Kloake. Jährlich werden Billionen von Fäkalkeimen aus den Toiletten der Hauptstadt in den Fluss gespült. Die trübe Brühe hängt mit einer Eigenheit der Kanalisation im Untergrund der Stadt zusammen: Wenn es regnet, läuft sie gern mal über. Die überschüssigen Wasserfuhren werden in die Spree und ihre Kanäle geleitet. Mit den Regengüssen strömt also auch ungeklärtes Abwasser in den Fluss, eine Folge der Mischwasserkanalisation, die vor 140 Jahren angelegt worden ist.

Falls dennoch bald wieder Menschen im Spreewasser schwimmen sollten, liegt das an einer ökologischen Pioniertat. Der Flussbad-Verein, zu dem neben Architekten und Stadtplanern auch Ingenieure gehören, will die erste natürliche Kläranlage entwickeln, die in einen Fluss gebettet ist.

Für einen Werkbesuch muss man den alten Lastkahn "Hans Wilhelm" besteigen, der ein paar Flussmeter vor dem geplanten Swimming Pool ankert. Früher einmal schleppte der Kahn Sand und andere Rohstoffe; heute beheimatet das Deck ein Freiluft­labor, das mit Fördergeld in Höhe von mehr als einer Million Euro betrieben wird. Umweltingenieure testen hier seit vergangenem Sommer biologische Filtersysteme, die modriges Wasser reinigen - so dass es die Wasserrahmenrichtlinien der EU erfüllt.

Mit einem 500-Milliliter-Becher schöpft die 29-jährige Umweltingenieurin Annabelle Kallähne eine Wasserprobe aus dem Labor. Das Filtrat entstammt dem Becken einer Versuchskläranlage, etwa zwölf Quadratmeter groß. Dort ist Wasser, das aus der Spree eingeleitet wurde, durch ein Kiesbett und eine darunterliegende Drainageschicht gesickert. Zooplankton hat währenddessen die Krankheitserreger unschädlich gemacht; organische Schadstoffe, Reste von Medikamenten etwa, werden durch biologischen Abbau reduziert.

Auf dem Deck des Kahns sind zwei weitere solcher Mini-Kläranlagen angelegt worden. Statt mit Kies sind die Böden darin mit kleinen Blähtonkugeln, die man auch von Topfpflanzen kennt, und Lavagestein aus der Eifel bedeckt. Diese Partikel bieten spezialisierten Lebewesen in den Kläranlagen den nötigen Untergrund zum Ansiedeln. Bis 2020 wollen Kallähne und ihre Kollegen, Experten des Berliner Ingenieurbüros "Akut", sämtliche Filtersysteme testen. Ein Experiment, das sich über alle Wetterzyklen des Jahres erstreckt, von Regenperioden bis zu Trockenphasen, von Frost bis Hitze. Die zentrale Frage: Welcher Filter liefert das sauberste Wasser?

Das dreckige Wasser könnte durch Betonröhren unterhalb der Filter abfließen

Die wirkungsvollste Kläranlage soll im Flussbecken später einmal aufgeschüttet werden, auf einer Länge von 300 Metern. An ihrem Ende würde sich das gesäuberte Wasser flussabwärts in den Schwimmbereich ergießen. Um Sorgen von Kritikern zu zerstreuen, spielen Tim Edler und seine Mitstreiter auch Worst-case-Szenarien durch - etwa schwere Hochwasser. Der Masterplan gegen mögliche Überflutungen: Das dreckige Wasser könnte durch Betonröhren unterhalb der Filter abfließen.

In diese Röhren gelänge es über Klappen, die sich an deren Oberflächen befinden und bei Hochwasser öffnen würden. Aus deren Ausflüssen würde es sich in den Badebereich ergießen, der dann für Gäste geschlossen wäre. Und an dessen Ende in den weiteren Verlauf der Spree fließen; über ein Wehr, das abgesenkt würde. Wenn dieses Wehr während des normalen Betriebs hochgezogen ist, soll es übrigens verhindern, dass Wasser aus dem vorderen Flussbereich ins Flussbad zurückfließt.

Perspektive Friedrichsgracht mit Pflanzen-/Kiesfilter

Blick auf die Friedrichsgracht mit Pflanzen-/Kiesfilter (Animation).

(Foto: realities:united/Flussbad Berlin e.V.)

Ein weiteres Planspiel, den Spreekanal zu renaturieren, findet sich bislang nur auf Skizzen: eine Uferböschung an jenem Abschnitt, der vor der Kläranlage und dem Flussbad verläuft. Ein Biotop mit Schilf und anderen Wasserpflanzen, über dem Libellen und Vögel kreisen, vor der Silhouette von ostalgischen DDR-Plattenbauten, die dort entlang des Flusses aneinandergereiht sind. Das grüne Arkadien würde Teile der jetzigen Kanalmauern ersetzen.

Diese könnten weichen, weil sie nicht mehr den Fluss bändigen müssten. Für die bremsende Wirkung sorgte stattdessen die Kläranlage - sie würde die Fließgeschwindigkeit des Flusses auf wenige Zentimeter pro Sekunde drosseln. Die geplante Verwandlung des Flussarms in eine aquatische Spielwiese für Mensch und Natur wirkt so sympathisch, dass die damalige Umweltbundesministerin Barbara Hendricks während ihrer Amtszeit von einem "Premiumprojekt" schwärmte.

Wiederbelebung einer alten Tradition

Das Berliner Flussbad ist keineswegs das einzige derartige Graswurzelprojekt. Auch andernorts erobern sich Stadtbürger ihre Flüsse zurück, in Essen und München, Basel und Wien etwa. Aus Gewässern, die früher einmal Chemiekloaken waren, wollen sie paradiesische Wasserlandschaften machen - zu denen die Angestellten aus Büros, Agenturen und Start-ups ausschwärmen, nachdem ihre Rechner heruntergefahren sind. Ein altbekanntes, wiederentdecktes Ökosystem als Quelle für ein neues Lebensgefühl.

Die Bewegung reanimiert eine Phase im 19. und frühen 20. Jahrhundert, als zumindest manche Flüsse noch nicht von Umweltsünden heimgesucht waren, dass das Baden in ihnen zu einem ­lebensgefährlichen Unterfangen geworden wäre. Stattdessen waren sie Amüsierorte der Stadtgesellschaft. Allein in Berlin gruppierten sich entlang der Spree 15 private Badeanstalten; besonders beliebt war die Militärunterrichts- und Schwimmanstalt in Kreuzberg, 1817 von Ernst von Pfuel gegründet, einem preußischen General, der die Gaudi zum Volkssport machen wollte.

Deshalb erfand er dort auch das Brustschwimmen - in einem Becken, das von Wänden gesäumt war, um Voyeuren den Blick zu versperren. Während der Weimarer Republik schlossen die letzten deutschen Flussbäder - auch im expandierenden Berlin, wo mittlerweile, vor allem wegen der Mischwasserkanalisation, zu viele Krankheitserreger die Spree belasteten. Ein Fluss, der sich in der Eiszeit aus geschmolzenem Gletscher gebildet hatte, imposante 15 000 Jahre alt, war zur No-go-Area geworden.

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