Psychologie:Wie man aus Rückschlägen lernen kann

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Trennungen, Krankheit, Jobverlust oder andere Rückschläge: Was einen nicht umbringt, macht einen härter, heißt es oft. Aber stimmt das? (Foto: imago images/Shotshop)

Nicht jeder Mensch wird automatisch weise, wenn er Widrigkeiten überwindet. Worauf es ankommt, um an Schaden tatsächlich wachsen zu können.

Von Sebastian Herrmann

Das Schicksal verfügt über ein Arsenal schwerer Knüppel, die es den Menschen jederzeit zwischen die Beine werfen kann. Das Unglück schlägt in vielen Gestalten zu - Trennungen, Trauerfälle, Krankheit, Jobverlust, Unfälle, Schulden oder andere Rückschläge. In ihrer Ohnmacht versuchen die Menschen dann oft, dem Schlechten etwas Gutes abzugewinnen. Wer weiß, wozu es gut war, heißt es dann zum Beispiel. Oder: Aus Schaden wird man klug, und was einen nicht umbringt, macht einen vielleicht nicht hart oder doch vielleicht ein Stück weit weise. Aber stimmt das? Die Psychologie gibt darauf eine Antwort, die sich am ehesten als klares "Jein" zusammenfassen lässt. Widrigkeiten können die Weisheit eines Menschen fördern, aber das muss nicht so sein und wenn, dann auch nur unter bestimmten Umständen. Das klingt kompliziert, schenkt im Detail aber doch relevante Einsichten.

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Gerade haben Psychologen um Anna Dorfman von der University of Waterloo, Kanada, eine Studie im European Journal of Personality publiziert, die diesen Fragen nachgeht. Die Wissenschaftler begleiteten ein Jahr lang knapp 500 Probanden und baten diese immer wieder um Auskunft zu Rückschlägen sowie Widrigkeiten aus der jüngsten Vergangenheit. Zudem berichteten die Teilnehmenden, wie sie - im weiteren Sinne - mit diesen Ereignissen umgegangen waren und wie sich dies auf ihr Denken ausgewirkt hatte. Wem es im Angesicht von Rückschlägen gelang, mit einer gewissen Distanz von sich selbst auf die Geschehnisse zu blicken, der fand demnach einen besseren Umgang damit. Wer hingegen im eigenen Saft schmorte und in selbstbezogene Grübeleien abglitt, fand durch negative Herausforderungen nicht zu gestiegener Weisheit - im Gegenteil.

"Der Glaube ist weitverbreitet, dass die Konfrontation mit Widrigkeiten den Charakter und vor allem die Weisheit eines Menschen wachsen lasse", sagen die Psychologen um Dorfman. Die Studienlage dazu sei jedoch widersprüchlich, so die Forscher.

Eine Studie fand, dass widrige Lebensereignisse nur bei höchstens jedem Vierten Weisheit wachsen ließen

Was denn Weisheit eigentlich ist, lässt sich hingegen gut definieren. Diese sogenannte metakognitive Fähigkeit zeichne sich dadurch aus, den bestmöglichen, tugendhaften Weg durch eine schwierige Situation zu identifizieren. Weisen Menschen gelinge dies, so schreiben die Psychologen um Dorfman, indem sie intellektuelle Demut üben und sich ihres eingeschränkten Wissens bewusst sind, sich neuen Erfahrungen gegenüber offen zeigen, verschiedene Perspektiven zu Themen anerkennen, berücksichtigen und in Kompromissen ausbalancieren.

Inwiefern dieser Denkstil und weitere charakterliche Reifungsprozesse aber durch widrige Umstände befördert werden, lässt sich nicht so leicht sagen. So existieren zwar zahlreiche Untersuchungen, wonach Schicksalsschläge durch Grübelei zu sinnstiftenden Ereignisse umgewidmet würden, in deren Fahrwasser Weisheit, Offenheit, Spiritualität und ein Sinn für den Wert des Lebens gedeihen könnten. Aber es gibt auch Forschungsergebnisse, die negative Lebensereignisse mit eingetrübter psychischer Gesundheit in Verbindung bringen - etwa Angstzustände und Stress. Auf eine Studie verweisen Dorfman und Team, laut der widrige Lebensereignisse nur bei fünf bis 25 Prozent der Probanden Kraft und Weisheit wachsen lassen.

Dass die Ergebnisse so unterschiedlich ausfallen, liege vermutlich auch an methodischen Mängeln der Studien, schreibt die Gruppe. Für die meisten Arbeiten geben Probanden rückwirkend Auskunft über Schicksalsschläge, ihren Umgang damit sowie die charakterlichen Konsequenzen, die sie an sich selbst wahrgenommen haben. Derlei rückwirkende Selbsteinschätzungen produzieren mit Sicherheit sehr wackelige Ergebnisse.

Wer soziale Probleme überwindet, gelangt am ehesten zu neuer Reife

Die Psychologen um Dorfman legten ihre Studie hingegen prospektiv an, das heißt, sie begleiteten die Teilnehmer über einen gewissen Zeitraum, wenn auch nur ein Jahr. Alle drei Monate gaben die Probanden Auskunft über zuletzt erlebte Rückschläge und erklärten, wie sie mit diesen umgegangen waren.

Die Ergebnisse hingen vom Typ der Widrigkeiten ab. Wer zum Beispiel im sozialen Bereich Rückschläge verdauen musste, etwa Streit oder den Verlust eines nahestehenden Menschen, profitierte davon, wenn er Distanz zu seinem Selbst einnehmen konnte. Auf diese Weise gelinge es, so die Psychologen, die Standpunkte anderer Menschen zu berücksichtigen, die auf dem Feld sozialer Konflikte nun einmal besonders wichtig seien. So könne man den entsprechenden Ereignissen Sinn abringen und quasi an Weisheit gewinnen. Das alles galt jedoch nur, wenn die Probanden sich deutlicher distanzierten, als sie das üblicherweise machen.

Andere Schicksalsschläge wirkten sich kaum oder gar nicht darauf aus, welche Weisheit Menschen daraus ziehen. Ökonomische Widrigkeiten, ernsthaft traumatische Erlebnisse, Probleme in der Arbeit oder gravierender alltäglicher Stress setzten keine charakterlichen Wachstumsprozesse in Gang. Gesundheitliche Rückschläge reduzierten gar den Grad der Weisheit eines Menschen. Vermutlich, so spekulieren die Psychologen, weil Krankheit dazu verleitet, sich besonders stark auf das eigene Ich zu fokussieren und andere Perspektiven auszublenden.

Geschichten über lebensverändernde Schicksalsschläge mag es geben, so ein Fazit der Forscher. Die Studien lassen jedoch nicht den pauschalen Schluss zu, dass die Weisheit eines Menschen zuverlässig an den Hindernissen wächst, die er überwinden muss. Was aber gewiss keine schlechte Idee ist: sich in seiner Grübelei gelegentlich von sich selbst zu distanzieren und eine Beobachterperspektive einzunehmen. So gut das halt geht.

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Text: Sebastian Herrmann, Illustration: Stefan Dimitrov

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