Rätselhaftes Vogelsterben:"Alarmierender Fund"

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In manchen Gegenden in Deutschland gibt es offenbar keine einzige Amsel mehr. Fachleute haben nun die mögliche Ursache für das mysteriöse Phänomen entdeckt - und warnen, dass auch Menschen durch den Auslöser des Vogelsterbens bedroht sein könnten.

Christina Berndt

Seit Wochen sterben in Deutschland die Amseln. Zunächst dachten die Mitarbeiter des Naturschutzbunds (Nabu) noch, es seien nur die üblichen Anrufe beunruhigter Vogelliebhaber, die wie jedes Jahr im August den Gesang der Amseln vermissen.

Vogelsterben in Deutschland? "Vor allem im Rhein-Neckar-Gebiet scheint es tatsächlich einen Amselschwund zu geben", sagt Nabu-Vogelkundler Stefan Bosch. (Foto: dapd)

Zu dieser Jahreszeit sind die Tiere in der Mauser und wollen lieber unentdeckt bleiben. "Vor allem im Rhein-Neckar-Gebiet scheint es aber tatsächlich einen Amselschwund zu geben", sagt Nabu-Vogelkundler Stefan Bosch. Manche Gegenden sollen bereits völlig vogelfrei sein.

Für das mysteriöse Vogelsterben liefern Fachleute nun eine mögliche Erklärung: Offenbar verenden die Tiere an dem tropischen Usutu-Virus, das in Deutschland bisher unbekannt war. Am Mittwoch meldete das Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI) den Fund von Usutu-Viren in einer toten Amsel aus Hessen. Der Erreger hatte sich in den inneren Organen des Vogels ausgebreitet, berichtete der Leiter der virologischen Diagnostik am BNI, Jonas Schmidt-Chanasit.

Am Donnerstag fanden seine Kollegen vom Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit (FLI) das Virus in vier weiteren Amseln aus Mannheim. "Insgesamt wurden fünf Tiere getestet, und alle hatten Usutu", sagt Schmidt-Chanasit. "Damit ist der Zusammenhang mit dem Vogelsterben zwar nicht bewiesen, aber er liegt nahe."

Dass eine Amsel aus Hessen ins Virenlabor des Tropeninstituts am Hamburger Hafen gelangte, war kein Zufall. Schon länger haben Naturschützer und Gesundheitswächter das Usutu-Virus im Verdacht. Schon vor zehn Jahren löste es in Österreich ein Massensterben von Amseln und Graueulen aus, später zog es nach Italien und Ungarn.

Ursprünglich stammt der Erreger, der eng mit dem West-Nil-Virus verwandt ist, aus Afrika. Stechmücken übertragen ihn auf Vögel. Mit Zugvögeln könnte das Usutu-Virus nach Europa gekommen sein, wenn nicht sogar eine infizierte Mücke einfach das Flugzeug genommen hat, wie dies bei der Ausbreitung des West-Nil-Virus im Jahr 1999 nach Amerika nachweislich der Fall gewesen ist. So sind auch die ersten europäischen Usutu-Fälle bei Vögeln in der Nähe des Wiener Flughafens entdeckt worden.

Einen Vorboten dafür, dass die Vogelseuche bald auch Deutschland erfassen könnte, entdeckte Schmidt-Chanasits Team im vergangenen Jahr. Da fanden die Forscher den Erreger erstmals in einer hiesigen Stechmücke ( American Journal of Tropical Medicine and Hygiene, Bd. 85, S. 551, 2011). Sie hatten insgesamt 70.000 Mücken im Rahmen des Programms "Stechmücken in Deutschland" gefangen und auf verschiedenste Krankheitserreger getestet.

Das Programm, das das BNI zusammen mit der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (KABS) durchführt, soll als Frühwarnsystem dienen. So lasse sich vorhersagen, welche durch Stechmücken übertragenen Viren sich ausbreiten und möglicherweise Menschen und Tiere bedrohen, sagt KABS-Leiter Norbert Becker. Mit dem Usutu-Erreger hat die Initiative nun offenbar einen Volltreffer gelandet.

Der Fund sei "alarmierend", sagt Schmidt-Chanasit. "Denn Usutu-Viren können auch Menschen infizieren." Zwar verlaufe die Infektion in den allermeisten Fällen harmlos; die Betroffenen merken sie nicht einmal. Aber mitunter verursachen die Viren Fieber und Hauterscheinungen; und im schlimmsten Fall führen sie zu einer lebensbedrohlichen Gehirnentzündung. Zwei Fälle einer solchen Enzephalitis sind 2009 in Italien bekanntgeworden.

Der Erreger sei ähnlich wandlungsfähig wie ein Grippevirus, er könne also jederzeit aggressiver werden, warnt Schmidt-Chanasit. "Deshalb ist es wichtig, ihn im Auge zu behalten."

In Österreich ist das Amselsterben allerdings glimpflich ausgegangen. "Die Populationen sind immun geworden", sagt der Tierpathologe Herbert Weissenbröck von der Uni Wien. Drei Jahre dauerte der Kampf zwischen Viren und Vögeln, dann konnten die Erreger aus Afrika den heimischen Wildtieren nichts mehr anhaben.

© SZ vom 16. September 2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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