Psychologie:Ich und mein Heiligenschein

Lesezeit: 2 min

Sich selbst als moralisch guter Mensch zu sehen, ist jedem immens wichtig. (Foto: Sergey Nivens/Shotstop/imago images)

Jeder möchte sich selbst gern als moralisch gut sehen. Doch warum vergleichen wir uns lieber mit fehlbareren Menschen - anstatt uns von Vorbildern inspirieren zu lassen?

Von Sebastian Herrmann

Ein Veganer am Tisch versetzt alle Anwesenden in Aufruhr. Selbst wenn die menschliche Herbivore in stiller Begeisterung den Teller leer futtert und dabei über Themen spricht, die nichts mit dem Verzehr toter Tiere zu tun haben (Corona?), übt seine bloße Präsenz Druck aus. Garantiert beginnt nun jemand, über den eigenen Wurst- und Schnitzelkonsum zu sprechen. Dieser jemand wird darauf hinweisen, dass er ja heute deutlich weniger und viel bewusster Fleisch esse als früher. Ja, und wenn, dann kaufe er natürlich beim Bio-Metzger, der zu jedem Kotelett eine glückliche Tierbiografie erzählen kann. Die Anwesenheit selbst eines bekehrungsunwilligen, maulfaulen Veganers übt Rechtfertigungsdrang auf alle anderen aus. Um diesen Seelenschmerz zu lindern, ziehen sie die Karikatur eines Fleischfressers heran, von der sie sich dann distanzieren. Ein Heiligenschein lässt sich eben am besten durch einen Vergleich mit noch schlechteren Leuten polieren.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusPsychiatrie
:Die Revolution verspätet sich

Seit Jahrzehnten versuchen Ärzte, Biomarker für psychische Krankheiten zu finden - bislang vergebens. Doch langfristig wird die Kombination von moderner Biomedizin und künstlicher Intelligenz zu ganz neuen Diagnosen und Therapien führen.

Von Clara Hellner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: