Psychologie:"Babys sind die besseren Wissenschaftler"

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Alison Gopnik von der Universität von Berkeley, Kalifornien, betrachtet das Baby-Stadium als unsere Entwicklungs- und Forschungsabteilung. Erwachsene sind für Produktion und Marketing zuständig.

Christine Brinck

Kalifornien: Fünf Blocks südlich des berühmten Berkeley-Campus, bei einem kleinen Park, geht es links in eine Straße mit schönen, älteren Häusern. Alison Gopnik öffnet die Tür mit der Gabel in der Hand; sie ist beim Essen. Ihr Sohn Alexei räumt den Laptop weg, damit der Gast im Wohnzimmer Platz nehmen kann, seine Frau flitzt durch den Flur, Gopniks Lebensgefährte erwartet eine Anlieferung seiner Bilder: Still ist es hier nicht. Doch bald werden die Schiebetüren sanft geschlossen. Und es geht nur noch um das Lieblingsthema von Mrs. Gopnik.

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"Baby ist für mich alles, was runde Backen und eine lustige Aussprache hat und niedlich ist", sagt Alison Gopnik.

(Foto: dpa)

SZ: Mrs. Gopnik, Sie sind Professorin für Psychologie hier an der Universität von Berkeley. Sie behaupten in Ihrem letzten Buch: Babys sind die besseren Wissenschaftler. Haben Sie keine Angst vor Marginalisierung?

Gopnik: Nein, komisch, Naturwissenschaftler scheinen bei der Idee sogar sehr glücklich zu sein, und wenn ich sie bei meinen Vorträgen als große Kinder bezeichne, applaudieren sie sogar. Vielleicht, weil sie eine ziemlich klare Vorstellung davon haben, wie viel von dem, was Babys und kleine Kinder tun, Erforschung und Neugier ist und somit in enger Verbindung steht zu dem, was sie selber tun.

SZ: Was machen denn Babys, wenn sie erforschen? Entwickeln sie neue Techniken?

Gopnik: Sie finden heraus, wie die Welt strukturiert ist. Klar entwickeln Kinder auch neue Techniken, aber eigentlich erst, wenn sie ins Schulalter kommen. Kleine Kleinkinder, Babys, sind mehr daran interessiert, so viel Informationen wie irgend möglich über die Welt um sie herum zu erhaschen. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, herauszufinden: In was für einem Umfeld bewege ich mich? Später wird dann diese Information dazu benutzt, zu ergründen, was sie in dieser Umgebung machen sollen.

SZ: All dieses geht in ihnen vor, während sie - oberflächlich betrachtet - noch nichts können?

Gopnik: Kleinkinder ziehen nicht los und tun etwas; sie sind schlecht gerüstet, sich um ihre Bedürfnisse zu kümmern. In dieser frühen Phase brauchen sie das entscheidende elterliche Investment.

SZ: Wie lange dauert für Sie das Babyalter?

Gopnik: Bis fünf eigentlich. "Baby" ist für mich alles, was runde Backen und eine lustige Aussprache hat und niedlich ist. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen den Kindern unter fünf und denen über fünf. Das sieht man auch daran, dass in fast allen Kulturen um dieses Alter herum die Schule oder Vorschule beginnt.

SZ: Warum braucht ausgerechnet das Menschenkind so lange, um ein bisschen selbständig zu werden?

Gopnik: Es erscheint paradox, dass wir fünf Jahre brauchen, in denen wir uns nicht um uns kümmern können. Aber die Erklärung scheint zu sein, dass wir in diesen fünf Jahren alles über die Welt um uns herum lernen.

SZ: Die Baby- und Kleinkindzeit ist eine Art Vor-Vorschule?

Gopnik: Nun ja, natürlich ohne schulische Struktur, entsprechend dem jeweiligen Umfeld. Das Baby scheint bestens dafür ausgerüstet zu sein, ganz viele unterschiedliche Informationen gleichzeitig aufzunehmen. Das ist ganz anders als das, was wir in der Schule machen. Es gibt kein Curriculum, die Baby-Devise lautet: Raff' dir so viel Informationen, wie du kannst. Babys beginnen etwas zu lernen und lassen das Thema sofort wieder fallen, wenn etwas Interessanteres ihren Weg kreuzt. Das macht Babys auch so anstrengend.

SZ: Und so zeitaufwendig. . .

Gopnik: Genau. Ich nehme da immer als Beispiel den Weg zu meinem Eckladen, der zwei Blocks entfernt ist. Ich gehe normalerweise zwei Minuten dahin, ohne darüber nachzudenken. Wenn ich das mit einem zweijährigen Kind mache, dauert es fünfmal so lange, weil es so viele aufregende, interessante Dinge zu sehen gibt: Pizzareklame, Hunde, Kronkorken, Krabbeltiere . . . Wenn man zum Laden geht, um Milch zu holen, steht das Wesen der Krabbeltiere nicht wirklich oben auf der Agenda. Aber wenn es dein Job ist, die Welt zu verstehen und herauszukriegen, wie etwa lebendige Tierchen oder Objekte oder gar andere Menschen funktionieren, dann sind diese zwei Blocks vollgestopft mit Informationen.

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