Tiere:Orang-Utan verarztet Wunde mit Heilpflanze

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Vor der Behandlung: Orang-Utan Rakus mit frischer Wunde. (Foto: Armas)

Verhaltensforscher haben ein Tier beobachtet, das sich gezielt mit dem Saft einer zerkauten Heilpflanze eingerieben hat. Die Pflanze wird auch von Menschen genutzt.

Von Tina Baier

Wer sich in den Finger schneidet oder sonst irgendwie leicht verletzt, geht normalerweise nicht gleich zum Arzt, sondern versorgt die Wunde selbst. Desinfizieren, Pflaster drauf, fertig. Menschenaffen im Urwald haben im Falle einer Verletzung weder Desinfektionsspray noch Pflaster zur Hand; trotzdem scheinen zumindest manche zu wissen, wie man eine offene Wunde so versorgt, dass sie sich nicht entzündet, sondern schnell heilt.

Zu dieser Selbstmedikation gehört offenbar, Wunden mit Heilpflanzen zu behandeln. Das zeigt eine Studie, die gerade im Wissenschaftsjournal Scientific Reports erschienen ist. Biologen vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz und von der indonesischen Universitas Nasional beschreiben darin, wie ein Orang-Utan in einem indonesischen Nationalpark eine offene Wunde in seinem Gesicht mit dem entzündungshemmenden und schmerzlindernden Saft einer Kletterpflanze behandelt.

Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die routinemäßig eine Gruppe von Orang-Utans der Suaq-Balimbing-Forschungsstation beobachten, fiel eines Tages auf, dass sich ein Männchen namens Rakus eine Wunde im Gesicht zugezogen hatte. "Wahrscheinlich während eines Kampfes mit einem anderen Männchen", sagt Isabelle Laumer, die die Studie geleitet hat, laut einer Presseerklärung der Max-Planck-Gesellschaft.

Der Menschenaffe griff zu einer Kletterpflanze mit schmerzlindernden Eigenschaften

Drei Tage später beobachteten die Forschenden, wie Rakus die Blätter einer Liane abriss, zerkaute und dann die Wunde mehrmals mit dem Saft bestrich. "Als letzten Schritt bedeckte er die Wunde vollständig mit den zerkauten Blättern", schreiben die Verhaltensbiologinnen und -biologen in ihrer Studie. In den Tagen darauf behandelte Rakus seine Wunde immer wieder auf diese Weise. "Die Wunde infizierte sich nicht und war schon nach fünf Tagen geschlossen."

Nach der Behandlung: Schon nach fünf Tagen ist Rakus Wunde geschlossen. (Foto: Safruddin)

Wie sich herausstellte, handelte es sich bei der Liane um eine bekannte Heilpflanze namens Fibraurea tinctoria, die unter anderem schmerzlindernde und fiebersenkende Eigenschaften hat. "In der traditionellen Medizin wird sie zur Behandlung verschiedener Krankheiten wie Darmentzündung, Diabetes und Malaria verwendet", schreiben die Forschenden in Scientific Reports.

Zuvor war diese Art der Wundbehandlung bei keinem der 150 Orang-Utans beobachtet wurde, die in der Nähe der Forschungsstation leben und ständig von Biologinnen und Biologen beobachtet werden, die ihr Verhalten erforschen wollen. Laumer und ihr Team gehen deshalb davon aus, dass es sich um eine Innovation handelt, also um etwas, das Rakus selbst herausgefunden hat. Möglicherweise habe er die Heilpflanze beim Fressen zufällig mit dem Gesicht berührt, sodass ihr Saft in die Wunde gelangt sei, vermutet Caroline Schuppli vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, die an der Studie beteiligt war. Da Fibraurea tinctoria stark schmerzlindernd wirke, habe Rakus möglicherweise sofort eine Linderung seiner Schmerzen gespürt. Das könnte ihn dazu veranlasst haben, die Prozedur zu wiederholen.

Nach Aussage der Forschenden ist Rakus das erste Tier, bei dem eine Wundbehandlung mithilfe von Heilpflanzen beobachtet wurde. Andere Menschenaffen haben andere Methoden: Vor gut zwei Jahren berichteten Verhaltensbiologen in der Fachzeitschrift Current Biology von einer Schimpansengruppe in Gabun, die eine regelrechte Urwaldpraxis betreibt. Sie behandeln offene Wunden mithilfe eines Insekts, das sie speziell zu diesem Zweck fangen, zwischen den Lippen zerdrücken, und es dann auf die Wunde legen. Anders als im Fall von Rakus beherrschen bei diesen Schimpansen viele Tiere diese Heilmethode und verarzten nicht nur sich selbst, sondern auch andere.

Die Tatsache, dass nicht nur Menschen Wunden medizinisch versorgen, sondern offensichtlich auch Menschenaffen, deutet nach Ansicht der Autoren und Autorinnen der aktuellen Studie darauf hin, dass die Fähigkeit, Substanzen mit heilender Wirkung zu erkennen und anzuwenden, in der Entwicklungsgeschichte des Menschen schon sehr früh entstanden ist.

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