Wie gut war Oppenheimer als Physiker?:"Oppenheimer hätte einen Nobelpreis bekommen"

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Robert Oppenheimer diskutiert 1954 in seinem Büro mit dem Fernsehkommentator Edward R. Murrow. (Foto: CPL Archives/Imago Images/Everett Collection)

Der Architekt der Atombombe sei kein Einstein gewesen, aber ein brillanter Physiker, sagt der Historiker David C. Cassidy. Und Naivität könne man Robert Oppenheimer nicht vorwerfen.

Interview von Adrian Cho

Seit vergangener Woche läuft der Film "Oppenheimer" in den Kinos. Er erzählt die Geschichte des theoretischen Physikers Robert Oppenheimer, der während des Zweiten Weltkriegs das Manhattan-Projekt zur Entwicklung der ersten Atombombe leitete. Der 1967 gestorbene Oppenheimer ist als charismatische Führungspersönlichkeit, wortgewandter Intellektueller und Opfer der Roten Angst bekannt. 1954 verlor er seine Sicherheitsfreigabe, unter anderem wegen seiner früheren Kontakte zu mutmaßlichen Kommunisten. Der Physiker und Historiker David C. Cassidy hat zahlreiche Bücher über die Geschichte der modernen Physik geschrieben, darunter auch "J. Robert Oppenheimer and the American Century". Im Interview erklärt er die Rolle Oppenheimers.

Oppenheimers Name taucht in Zusammenhang mit Quantenmechanik und der Theorie der Schwarzen Löcher auf. Wie gut war er als Physiker?

David C. Cassidy: Nun, er war kein Einstein. Und er ist nicht einmal auf dem Niveau von Heisenberg, Pauli, Schrödinger und Dirac, den Führern der Quantenrevolution der 1920er-Jahre. Einer der Gründe dafür ist sein Geburtsdatum. Er wurde 1904 geboren, war also drei Jahre jünger als Heisenberg und vier Jahre jünger als Pauli. Diese wenigen Jahre reichten, um ihn in die zweite Welle der Quantenrevolution und hinter die Hauptwelle der Entdeckungen zu stellen, in das, was der Wissenschaftsphilosoph Thomas Kuhn die "Aufräumarbeiten" nannte, die Anwendungen der neuen Theorie.

Er ist bekannt für die Born-Oppenheimer-Näherung, die dazu beitrug, die Quantenmechanik von Atomen auf Moleküle auszuweiten.

Das war eine seiner meistzitierten Arbeiten. Er schrieb sie 1927, als er in Göttingen war. Im selben Jahr stellte Heisenberg die Unschärferelation vor. Bohr und Heisenberg legten die Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik vor. Oppenheimer machte also eine Anwendung, aber eine gute.

David C. Cassidy ist Physiker, Historiker und Emeritus der Hofstra University in New York. Er ist Herausgeber und Verfasser zahlreicher Bücher über die Geschichte der Physik. (Foto: Hofstra University)

Einige seiner Zeitgenossen sagten, er sei ein Dilettant.

Er hatte die Fähigkeit und die Brillanz. Aber er hatte nicht den nötigen Fokus. Er widmete sich der Physik nicht in dem Maße, wie es einer der großen Physiker tun würde. Sie war nur eine seiner vielen Leidenschaften. In der Zeit, in der er sich mit Physik beschäftigte, las er viel Literatur und Sprachen. Außerdem war in den USA die empirische Herangehensweise an die Physik vorherrschend (während die europäischen Theoretiker neue Konzepte verfolgten, Anm. d. Red.). Die Aufgabe der Theoretiker bestand eher darin, den Experimentatoren zu helfen, ihre Daten zu verstehen. In dem Maße, wie sich die Physik und die Experimente änderten, änderte sich auch Oppenheimers Interesse.

Einer seiner wichtigsten Beiträge hatte nur eine schwache Verbindung zur Beobachtung, und das waren die Schwarzen Löcher. Das war eine unglückliche Situation. 1939 veröffentlichten er und ein Student, Hartland Snyder, eine Arbeit, in der sie vorhersagten, dass sich ( aus kollabierenden Sternen) Schwarze Löcher bilden könnten, und die ganze Sache wurde ignoriert. Sie konnten es nicht weiterverfolgen, weil der Krieg ausbrach. Viele Leute haben es einfach ignoriert, weil es unmöglich erschien - wie kann etwas zu einem unendlich dichten Punkt kollabieren? Erst in den 1990er-Jahren gab es experimentelle Beweise für Schwarze Löcher. Ich glaube, Oppenheimer hätte einen Nobelpreis bekommen, wenn er zu diesem Zeitpunkt noch am Leben gewesen wäre.

Wie kam es, dass der Theoretiker Oppenheimer die Leitung des Manhattan-Projekts übernahm, eines gigantischen Experiments?

Es war sogar noch schlimmer. Oppenheimer hatte keine Verwaltungserfahrung. Er hatte keinen Nobelpreis, im Gegensatz zu vielen der Leute, die er verwalten sollte. Und das Schlimmste war, dass er einen zweifelhaften politischen Hintergrund hatte, mit Verbindungen zu bekannten Kommunisten in den späten 1930er-Jahren. Aber Generalleutnant Leslie Groves wählte ihn gezielt aus. Erstens wegen Oppenheimers Verständnis der Physik und seiner Fähigkeit, sie ihm zu erklären. Zum anderen, weil Oppenheimer bei den anderen Physikern hoch angesehen war. Aber der Hauptgrund war, dass Groves wusste, dass Oppenheimer aufgrund seiner politischen Verbindungen dauerhaft angreifbar sein würde. Groves unterdrückte viele Berichte der Sicherheitsbeamten über ihn und sagte: "Ich will diesen Mann für den Job." Oppenheimer wusste also, dass er nur deshalb dort war, weil er unter Groves' Schutz stand.

"Ich glaube nicht, dass er naiv war, denn er wusste, dass er verwundbar war."

Hat Oppenheimer spezifische technische Beiträge zur Entwicklung der Bombe geleistet?

In einer sehr wichtigen Hinsicht. Im Jahr 1942 ordnete Roosevelt ein Crash-Programm für die Bombe an. Arthur Compton wählte Oppenheimer als Leiter einer Theoriegruppe an der University of California Berkeley aus, die alle Details ausarbeiten sollte - was sie brauchen würden, wie sie es machen würden. Die Gruppe übergab die Ergebnisse an Compton, und das Manhattan-Projekt war geboren. Als die Wissenschaftler im Labor ankamen, erhielten sie von Oppenheimers engstem Assistenten, Robert Serber, eine Reihe von Vorträgen darüber, wie die Bombe auf der Grundlage dieser Forschung funktionieren würde. Es waren also Oppenheimer und seine Gruppe, die die gesamte Theorie für das Projekt aufstellten.

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Im modernen Sprachgebrauch war er also für die konzeptionelle Gestaltung der Sache verantwortlich.

Diese Theoriegruppe befasste sich auch mit Fusionsbomben und legte die Grundlagen für die Entwicklung einer Wasserstoffbombe. Das wurde bis nach dem Krieg beiseitegelegt.

Oppenheimer verlor seine Sicherheitsfreigabe zum Teil deshalb, weil er gegen die Entwicklung der Wasserstoffbombe war. Er wird oft als tragische Figur dargestellt, die zu naiv war, um sich politisch zu verteidigen. Glauben Sie, dass er tragisch oder naiv war?

Ich glaube nicht, dass er naiv war, denn er wusste, dass er verwundbar war. Und er wusste, dass sie wahrscheinlich hinter ihm her sein würden, sobald er sich gegen diese Bombe stellt. Natürlich war er sehr enttäuscht. Aber er hat seinen Arbeitsplatz nicht verloren. Er kam nicht auf die schwarze Liste. Er wurde nicht gezwungen, zu emigrieren. Er war kein Insider mehr, aber er war immer noch eine hoch angesehene kulturelle Figur und ein Sprecher der amerikanischen Wissenschaft.

Dieser Beitrag stammt aus dem Wissenschaftsmagazin Science. Es handelt sich nicht um eine offizielle Übersetzung der Science -Redaktion. Im Zweifel gilt das englische Original, herausgegeben von der AAAS. Deutsche Bearbeitung: hach

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