Ölkatastrophe im Golf von Mexiko:Augen zu und durch

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Tropensturm "Bonnie" hat sich zu einem Tief abgeschwächt - die Sturmwarnung am Golf von Mexiko bleibt jedoch bestehen und stoppt den Kampf gegen die Ölpest. Unklar ist, was passiert, wenn das Unwetter auf das Öl trifft.

Christopher Schrader

Die Development Driller III sieht zwar nicht so aus, aber sie ist ein Schiff. Über der Wasserlinie legen vier tragende Säulen, die Plattform von etwa 80 mal 80 Metern und der Bohrturm die Bezeichnung "Bohrinsel" nahe. Aber unter Wasser ruhen ihre 38.000 Bruttoregistertonnen auf zwei Schwimmern - sozusagen den Rümpfen des Bohrschiffs.

Die Schiffe im Golf von Mexiko müssen in einem Hafen Schutz vor dem Sturmtief "Bonnie" suchen. (Foto: Nasa)

Je nach Bedarf werden die langen Stahlkörper mehr oder weniger mit Meerwasser geflutet. Beim Bohren sinkt das Gefährt tiefer in den Ozean, um sich zu stabilisieren; seine Position hält es mit drehbaren Schrauben. Auf der Fahrt aber hebt die Crew ihre Development Driller III, die gerade erst 14 Monate in Dienst steht, so hoch aus dem Wasser wie möglich.

Genau diesen Wechsel musste das Bohrschiff in den vergangenen Tagen und Stunden vollziehen. Es hatte seit dem 2. Mai eine Entlastungsbohrung zur leckgeschlagenen Macondo-Quelle im Golf von Mexiko, über die der Energiekonzern BP Ende April die Kontrolle verloren hatte, in die Tiefe getrieben - nun muss es in einem Hafen Schutz vor dem Tropensturm Bonnie suchen, der zwar gerade vom Nationalen Hurrikan-Zentrum in Miami zu einem Tief herabgestuft wurde, dennoch aber eine Gefahr bleibt. Wie der Fernsehsender CNN berichtete, bestehe weiterhin eine Sturmwarnung für weite Teile der US-Küste.

Die ersten Böen des Tiefs sollten das Seegebiet 50 Seemeilen vor der Mississippi-Mündung am Samstag treffen. Am Sonntag dürfte das Auge des Unwetters das Land erreichen. Der Leiter des Noteinsatzes zur Bekämpfung der Ölpest, Admiral Thad Allen, hat darum alle Schiffe zur Küste beordert. Und weil das Bohrschiff wegen seiner Bauform besonders langsam ist, musste es besonders früh aufbrechen.

Im Golf von Mexiko tritt nun ein, wovor sich die Nothelfer und die Öffentlichkeit seit Beginn der Hurrikan-Saison am 1. Juni gefürchtet haben: Ein Unwetter könnte genau über die leckgeschlagene Ölquelle ziehen, wo 2000 Menschen auf Hunderten Schiffen und Booten gegen die Umweltkatastrophe kämpfen. Bonnie sollte den Prognosen zufolge am Freitag amerikanischer Zeit von den Bahamas kommend die Florida-Keys überqueren und dann Kurs auf New Orleans nehmen.

Das Nationale Hurrikan-Zentrum geht davon aus, dass erste Vorboten der Schlechtwetterfront am späten Samstagabend die Region der Umweltkatastrophe vor der US-Küste erreichen. Bereits zuvor fegte Bonnie mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 56 Stundenkilometer über Florida hinweg. Es blieb unklar, ob das Unwetter noch an Kraft zunimmt, bevor es die Stelle erreicht, wo im April die Bohrinsel Deepwater Horizon im Meer versank.

Schon vor Wochen haben sich die Fernseh-Komiker vorgestellt, wie der Sturm das Öl von der Meeresoberfläche aufnimmt und über Land abregnen lässt. In ihren Sketchen malten sie sich Freizeitparks mit Wasserrutschen aus, die nach dem Ölregen besonders schnelle Abfahrten ermöglichen. Dieser Vorstellung hat die amerikanische Ozeanbehörde Noaa zwar schnell eine Absage erteilt: Der Regen komme aus viel höheren Wolkenschichten. Aber das ist auch schon alles, was das Amt sicher über den Kontakt von Öl, Wasser und Sturm weiß.

Im Prinzip nämlich könnte das Öl im Wasser den Sturm dämpfen und umgekehrt der Sturm das Öl im Wasser verteilen und so die Ölpest verschlimmern. Ersteres hält Noaa jetzt für unwahrscheinlich: Nur ein dicker, zusammenhängender Ölfilm über einem großen Gebiet könnte verhindern, dass ein Wirbelsturm Feuchtigkeit und Energie aus dem warmen Wasser aufnimmt. Der Ölteppich im Golf aber ist alt, dünn, zerrissen und nicht weit genug ausgedehnt.

Durchaus möglich und sogar wahrscheinlich aber ist es, dass Bonnie Öl an die Küsten treibt. Wenn das Zentrum des Unwetters südlich und westlich am Macondo-Feld vorbeizieht, schieben die entgegen dem Uhrzeigersinn wehenden Winde das Öl direkt in die empfindlichen Marschen der Mississippi-Mündung. Die Wellen werden schnell 1,5 Meter übertreffen und über die schwimmenden Ölsperren schwappen, warnen die Wetterdienste.

"Development Driller II" (rechts) und "Development Driller III" (links) im Golf von Mexiko. Die Bohrschiffe müssen ihre Arbeit unterbrechen. (Foto: AP/Gerald Herbert)

"Was in den Marschen schon wieder nachgewachsen ist, werden die starken Winde und Wellen abreißen", fürchtet der Ozeanograph Tom Bianchi von der Texas A&M University bei CNN. Aufgepeitschte Brandung, so auch Noaa, könnte Öltropfen ins Land hineintragen, und was durch den Sturm zu Bruch geht, dürfte hinterher mit Öl verseucht sein.

Erfahrungen mit der Situation hat niemand. Anhaltspunkte liefern nur die Begleiterscheinungen früherer Hurrikane. 2005 waren Katrina und Rita durch den Golf gefegt und hatten dort Förderplattformen und Pipelines beschädigt. Nach Angaben der Beobachter vom Blog Skytruth, die Satellitenbilder auswerten, seien damals knapp drei Millionen Liter frisches Rohöl ins Meer geflossen. Es habe sich weiträumig verteilt, erklärt Noaa jetzt. Auch bei Bonnie erwartet die Behörde daher vor allem, dass Wind und Wellen das Öl in immer kleineren Partikeln ins Meer mischen.

Die Hilfsschiffe im Golf müssen aber in jedem Fall vor den Sturmböen und Brechern Schutz suchen. Die beiden Bohrungen am Meeresgrund überlassen die Helfer dann notgedrungen sich selbst. Da ist zum einen die leckgeschlagene Bohrung, die vor einer guten Woche mit einem neuen, dreifachen Ventil abgedichtet wurde.

Seither liefen Tests, und inzwischen sind auch skeptische Helfer wie Admiral Allen und der Energieminister Steven Chu zuversichtlich, dass in den paar Tagen, in denen die Schiffe im Hafen liegen, nichts schlimmes passiert. Ohnehin werden die Schiffe, die die Tiefseeroboter steuern, wegen ihres Fahrtempos mit als Letzte abdrehen und als Erste zurückkehren. Sie hinterlassen einige Messinstrumente am Meeresboden, die sie danach ablesen, erklärte BP-Manager Kent Wells. Aber es gibt während des Sturms keine Fernüberwachung per Funk.

Zum Optimismus der Helfer, dass die verschlossene Quelle ohne Kontrolle keinen Schaden nimmt, haben mehrere Beobachtungen beigetragen. Der Druck unter dem Ventil verharrt in befriedigender Höhe. BP-Manager Kent Wells sprach zuletzt von etwa 470bar, das entspricht ungefähr dem Wasserdruck in 4,7 Kilometern Tiefe. Außerdem dringt kein Öl mehr aus der Quelle.

Darum sind die sogenannten Skimmer schon fast arbeitslos geworden. Diese Schiffe nehmen Öl von der Oberfläche auf, wo es im ruhigen Wasser wegen seiner geringeren Dichte schwimmt. Vor dem Verschluss der Macondo-Quelle hatten sie vier Millionen Liter pro Woche eingesammelt, am vergangenen Mittwoch aber waren es nach Angaben von BP nur 9000 Liter. Die Öllachen seien jetzt kleiner und schwerer zu finden, sagt Admiral Allen seit Tagen.

Die Bohrmannschaft an Bord der Development Driller III dürfte hingegen zehn bis zwölf Tage verlieren, sagte Wells. Sie haben bereits ihren Bohrstrang eingezogen und die Entlastungsbohrung mit einem sogenannten Storm Packer verschlossen. Das ist ein dünner Zylinder, der ins Loch geschoben wird und sich dann ausdehnt, bis er die Bohrung abdichtet. Als letztes musste die Crew das Steigrohr vom Meeresgrund in 1500 Metern Tiefe einziehen, bevor sie die Motoren anwarf und zur Küste steuerte.

© SZ vom 24.07.2010/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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