Wenn Hans Joosten über Moore spricht, mit sympathisch-niederländischem Akzent, ist er kaum zu bremsen. Nach gut einer Stunde Gespräch bittet er, man möge doch auch mal eine Frage stellen. Dabei hat er längst viele davon beantwortet. Zum Beispiel, was ein Moor ausmacht. "Moor ist so nass, das können sich die meisten Menschen gar nicht vorstellen. Es besteht zu 95 Prozent aus Wasser. Das ist nasser als Milch oder Bier und trotzdem kann man noch drauf laufen", sagt der Experte von der Universität Greifswald.
In Deutschland finde man solche Landschaften kaum noch. Deshalb fährt er mit seinen Studenten einmal im Jahr nach Weißrussland, wo sie bis zu den Knien in der dunklen Suppe versinken, und jeder Schritt klingt wie ein Schmatzen. "Man spürt die Geschichte des Moores unter sich, und oben ist der Himmel ganz offen. Das ist schon prägend", erzählt er.
Die lediglich fünf Prozent Feststoff im Moor sind Torf, eine Mischung vor allem aus Humus und Pflanzenresten, vom leicht sauren Moorwasser konserviert wie Gewürzgurken in Essig. Ab und zu fordert Joosten seine Studenten zu einer Verkostung auf. Sie sollen den Matsch mit Gaumen, Zunge und Zähnen untersuchen. "Das ist natürlich auch ein bisschen Show, weil ich weiß, dass das Aufmerksamkeit schafft", räumt er ein. Dennoch sei es wichtig, einen Forschungsgegenstand ganzheitlich zu begreifen. "Ich versenke meine Arme ins Moor und ich schmecke es. Wäre ich Weinforscher, würde ich vermutlich viel Wein trinken." Und so wie Weinkenner vom Körper eines edlen Tropfens sprechen, ist für Joosten auch das Moor eine lebende Sache. "Moore sind wie lebende Organismen. Sie wachsen und reifen, werden mit dem Alter immer besser. Sie haben Mechanismen der Selbstorganisation über Tausende Jahre entwickelt", erklärt Joosten. Muster dieser Selbstorganisation sind auch auf Satellitenaufnahmen gut zu erkennen. Zum Beispiel ein Moorgebiet in Minnesota: Die Hochmoore sehen aus wie Schiffe, die Niedermoore bilden die Wellen. Joosten findet das "großartig".
Moore speichern doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder zusammengenommen
Dabei haben ihn Moore lang völlig kalt gelassen. "Vermutlich weil ich in den Niederlanden zwischen Mooren groß geworden bin. Das war einfach nichts Besonderes", sagt er. Erst später habe ihn das Moor "gegriffen". Heute ist er Moorkundler und Paläoökologe, erforscht also die Ökologie der Vergangenheit. Moore seien wie Archive, sagt er. Über die Pollenarten in verschiedenen Moortiefen zum Beispiel könne sein Team die Vegetation der Vergangenheit rekonstruieren.
Aber es geht ihm auch um die Zukunft, darum, Moore als einzigartigen Lebensraum und mächtigen Kohlenstoffspeicher zu schützen. "Moore machen nur drei Prozent der Landfläche aus. Sie speichern aber doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder der Welt zusammen", berichtet er. Und das, obwohl es zehnmal so viel Waldfläche wie Moorlandschaften auf der Erde gibt. Sie seien deshalb eine wichtige Stellschraube für das Weltklima. Und so setzt er sich schon lange auch politisch für den Moorschutz ein, etwa als Generalsekretär der Internationalen Moorschutzorganisation und im Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC).
Intakte, nasse Moore sind praktisch klimaneutral. Sie speichern zwar Kohlendioxid, geben aber das Klimagas Methan ab. Legt man sie allerdings trocken, werden sie zu wahren Kohlendioxidschleudern. Sauerstoff und Mikroben zerlegen die über Jahrtausende gespeicherten Kohlenstoffverbindungen. Dabei wird das Treibhausgas frei. "Nur 15 Prozent der weltweiten Moorflächen wurden bisher trockengelegt, vor allem für Land- und Forstwirtschaft, aber sie tragen mit rund fünf Prozent zu den globalen Treibhausgasemissionen bei und damit mehr als der gesamte Flugverkehr", betont der Forscher. Jeder Hektar, also die Fläche eines größeren Fußballfeldes, stoße in nur einem Jahr so viel Treibhausgas aus wie ein Familienauto auf 135 000 Kilometern.
Dabei sind die Übeltäter als solche nicht mal zu erkennen. Die "toten" Moore verbergen sich unter Wiesen, auf denen Kühe grasen, unter Maisfeldern, Wäldern - und Ölpalmenplantagen, viele davon in Indonesien. Und die schlechte Klimabilanz steckt somit unerkannt auch in Produkten wie Milch, Käse, Schokocreme oder Kuchen. "Meine Leute haben mal ausgerechnet, dass pro Kilogramm Gouda 55 Kilogramm Kohlendioxid freigesetzt werden, wenn die Milch von Kühen auf Moorweiden stammt", erzählt der Forscher. Ähnliches gilt auch für den Abbau von Torf für die Anzucht von Pflanzen und Gemüse. "Es ist zurzeit praktisch kein Gemüse zu kaufen, das nicht irgendwann mal mit Torf in Kontakt war", sagt er. Deshalb seien auch Tomaten oder Gurken klimaschädlicher als man gemeinhin denke.
"Wir haben da eine Bombe liegen"
Doch der Moorkundler ist optimistisch, dass sich das bald ändern wird. "Nach dem Pariser Klimaschutzabkommen müssen alle menschgemachten Kohlendioxidemissionen bis 2050 auf null sein. Und für die Moore bedeutet das, dass alle trockengelegten Flächen wieder vernässt werden müssen, etwa 50 Millionen Hektar weltweit", sagt er. Die Flächen könnten auch danach noch wirtschaftlich genutzt werden. Das erfordere allerdings einen Paradigmenwechsel. "Wir müssen auf nasse Systeme umdenken, eine neue Art Landwirtschaft betreiben, die wir Paludikultur nennen", fordert Joosten. "Denn natürlich kann ich im Wasser keine Kartoffeln anbauen, aber Schilf statt Mais zum Beispiel oder Rohrkolben, die einen Superdämmstoff für Gebäude abgeben, und statt Ölpalmen Sagopalmen oder Nussbäume." Sein Team prüft gerade, was alles geht, und hat schon mehr als 1000 geeignete Pflanzenarten auf der Liste. Weit oben steht auch Torfmoos, das in Zukunft den klimaschädlichen Torfabbau überflüssig machen könnte.
Aber auch Grundlagenforschung liegt dem Moorkundler am Herzen. Sein aktuelles Lieblingsthema: Permafrostmoore. "Dazu gibt es bisher nur anekdotische Forschung, es fehlt die Datengrundlage für größere Aussagen, für Klimamodelle. Wir haben da eine Bombe liegen, wissen aber nicht ausreichend genau, wie sie funktioniert", sagt er. Das liege auch daran, dass es bisher nur wenige Forschungsstationen gebe, wo man ein Bett und Verpflegung bekomme. In Dauerfrostgebiete, wo man sich selbst versorgen muss, zieht Joosten deshalb mit Zelt und Rucksack los. Er könnte sich natürlich auch auf tropische Moore konzentrieren. "Die sind auch interessant und wichtig. Da arbeiten wir auch. Aber ich bin lieber in der Kälte", erklärt er.
Nicht zuletzt will der Wissenschaftler herausfinden, warum Moore noch immer mit negativen Assoziationen verbunden sind. "Wenn ein Wald abgeholzt wird, finden die Leute das schrecklich. Aber wenn aus einem Moor eine blühende Wiese wird, sehen sie das eher positiv. Dabei ist der Schaden für das Klima viel größer", sagt er. Allerdings sei das Wissen darum auch noch recht jung, das Ausmaß erst seit zehn, 15 Jahren bekannt. Um so mehr freut sich Hans Joosten über Fortschritte. "Früher war ich bei den Sitzungen zur Klimakonvention der Einzige, der das Thema angesprochen hat. Jetzt wird dort auch über Moore geredet, wenn ich nicht dabei bin."