Nobelpreis für Physik:Lenker des Lichts

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Höchste Ehren für Wissenschaftler im Ruhestand: Ohne die Arbeiten von Charles Kao, Willard Boyle und George Smith wären Digitalkameras und Internetkabel nicht denkbar.

C. Schrader und H. Martin-Jung

Wenn die Physik im Alltag ankommt, passiert zum Beispiel Folgendes: Ein Mädchen auf Schüleraustausch in Kanada macht Fotos von einem Ausflug mit seiner Gastfamilie. Direkt nach der Rückkehr lädt sie die Aufnahmen aus der Digitalkamera ins Internet hoch, wo ihre Eltern in Bayern sie sehen können.

Die Nobelpreisträger Willard Boyle und George Smith - hier auf einer Archivaufnahme aus dem Jahr 1974 - haben nicht unerheblichen Anteil an der Leistungsfähigkeit moderner Digitalkameras. (Foto: Foto: dpa)

Oder: Touristen aus Deutschland reisen durch den australischen Outback und wünschen sich Nachrichten von der Bundestagswahl. In einem Internetcafé in einem kleinen Nest können sie dann in der "Tagesschau" Gewinner und Verlierer live bei ihren Ansprachen sehen.

"Meister des Lichts"

Grundlegende Forschung, die digitale Bilder und Videos ebenso möglich machte wie deren rasante Verbreitung auf der gesamten Welt, ehrt die Königliche Akademie in Stockholm mit dem diesjährigen Nobelpreis für Physik. Sie hat drei Wissenschaftler ausgewählt, die sie "Meister des Lichts" nennt. Alle Laureaten hatten ihre entscheidenden Ideen schon in den 1960er-Jahren.

Der aus Shanghai stammende Charles Kao hat 1966 Glasfasern als Transportmittel für Information ins Gespräch gebracht, ihre Eignung bewiesen und Forscher wie Firmen überzeugt, Zeit und Geld in die technische Entwicklung zu stecken. Dafür bekommt Kao die Hälfte des mit zehn Millionen Schwedischen Kronen (975.000 Euro) dotierten Preises.

Die andere Hälfte teilen sich Willard Boyle und George Smith, die 1969 an den amerikanischen Bell-Laboratories den ersten lichtempfindlichen Kamera-Chip entwickelten. Sogenannten CCD-Sensoren (Charge Coupled Devices) bilden heute das Herz von Digital- und Videokameras. "Wir sind diejenigen, die all den Trubel um die Digitalkameras gestartet haben, die nun jeder nutzt. Und wir konnten die ersten Bilder von der Marsoberfläche sehen. Das war sehr aufregend", sagt Boyle. Die Sensoren werden auch an den Enden von Seekabeln eingesetzt, um die Lichtsignale aus der Glasfaser wieder in elektrische Signale umzuwandeln - so schließt sich der Kreis.

Preisträger im Ruhestand

Alle drei Preisträger sind Amerikaner, Kao hat zudem einen britischen, Boyle einen kanadischen Pass. Alle drei sind auch längst im Ruhestand: Kao ist 76, Boyle 85 und Smith 79 Jahre alt.

Charles Kao arbeitete 1966 als junger Ingenieur bei den Standard Telecommunication Laboratories in Harlow, dem englischen Pendant zu den amerikanischen Bell Labs. Glasfasern waren damals schon als Medium bekannt, um Informationen zu übertragen. So gab es zum Beispiel ein Endoskop, das durch einen kleinen Einschnitt im Körper Bilder aus dem Bauch von Patienten lieferte. Doch in den Fasern jener Zeit schwächte sich das Licht stark ab, nach 20 Metern war das Signal auf ein Prozent seiner Stärke gefallen. Kao erkannte, dass dafür vor allem die Verunreinigung des Glases mit Eisenatomen verantwortlich war. Er schlug vor, hochreines Quarzglas zu verwenden, dann müssten Informationen mindestens einen Kilometer überwinden können, bevor sie auf ein Prozent abgeschwächt sind.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Willard und Smith nur eine Stunde für die Entwicklung ihrer prämierten Idee benötigten.

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Innerhalb weniger Jahre wurde seine Vorhersage erfüllt - und bald weit übertroffen. In modernen Glasfasern sind nach einem Kilometer noch 95 Prozent der eingangs ins Kabel gepumpten Signalstärke vorhanden. Rund um diese Technik hat sich eine milliardenschwere Industrie entwickelt.

Optische Kabel, die viel mehr Daten transportieren können als elektrische Kupferleitungen, verbinden heute die Welt. Nahezu der gesamte interkontinentale Telefon- und Internetverkehr läuft über diese Leitungen, die von Spezialschiffen am Meeresgrund verlegt werden. Würde man alle haarfeinen Fasern aus hochtransparentem Glas zusammenhängen, die heute in den Weltmeeren verlegt sind, so reichten sie mehr als dreimal zur Sonne und zurück.

Mehrere Signale gleichzeitig

Zur Datenübertragung braucht man je zwei solcher Fasern. Über ein Paar lassen sich etwa 1.000 Milliarden Bit pro Sekunde übertragen, das entspricht dem digitalen Inhalt von etwa 180 Musik-CDs. Um diese enorme Übertragungsrate zu schaffen, werden über ein Glasfaserpaar mehrere Signale gleichzeitig geschickt. Man kann sich das vorstellen, als würden verschiedene Menschen gleichzeitig sprechen, aber ein jeder in einer eigenen Sprache. Am anderen Ende der Leitung hören Geräte in dem Stimmengewirr nur auf jeweils eine Sprache und können das Wirrwarr wieder entflechten.

Experten rechnen damit, dass Glasfaserkabel künftig auch bei Privatleuten zunehmend jene Kupferkabel ersetzen werden, über die derzeit noch Internetzugänge angeboten werden. Mit der steigenden Datenflut vor allem durch Videobilder steigt auch die Nachfrage nach Leitungen, die dabei nicht ins Stocken geraten. Für die enormen Datenmengen, die beim Teilchenbeschleuniger LHC in Genf anfallen werden, wurde eigens ein Netz aus Glasfaserkabeln aufgebaut, das die Daten zur Auswertung in Labors in Europa transportieren soll.

Eine Milliarden-Industrie ist längst auch aus der Erfindung von Willard Boyle und George Smith geworden. Sie führten den 1905 von Albert Einsteins erklärten photoelektrischen Effekts fort, wonach manche Metalle elektrische Impulse erzeugen, wenn Licht auf sie fällt. Die Leistung der diesjährigen Nobelpreisträger bestand darin, einen optischen Sensor in kleine Flächen zu unterteilen, sogenannte Pixel, und diese so auszulesen, dass sich ein Bild aus den elektrischen Impulsen rekonstruieren lässt.

Millionen lichtempfindlicher Punkte

Die Idee dazu haben Willard und Smith an einem Nachmittag vor ziemlich genau 40 Jahren innerhalb einer Stunde entwickelt, um den drohenden Verlust der Forschungsmittel ihrer Abteilung abzuwenden. Sie stellten sich vor, dass sich auf ihrem Chip unter jedem Pixel eine kleine Blase voll elektrischer Ladung ansammeln sollte, die wie Perlen auf einer Kette gekoppelt waren; daher auch der Begriff "Charge Coupled Device". Durch kleine Spannungsimpulse wollten sie dann die Blasen zum Beispiel der obersten Zeile auf dem Sensor zum Rand des CCD schieben, wo die Größe der Ladungen eine nach der anderen gemessen wurde. Danach würden weitere Impulse die Blasen der zweiten Zeile nach oben bugsieren und so weiter. Ein Foto wurde so zu einer Abfolge von Zahlen, die Computer verarbeiten und Datennetze transportieren können, bevor es woanders rekonstruiert wird.

Genauso wie Computerchips werden CCD-Sensoren heute auf Siliziumscheiben hergestellt. Auf die Rohlinge, sogenannte Wafer, werden die Pixel geätzt, außerdem erhalten sie im Laufe des komplizierten Produktionsprozesses mehrere Schichten aus anderen Metallen. Am Ende zerschneidet man den Wafer mit einer Diamantsäge, die CCDs werden in Keramik- oder Kunststoffgehäuse verpackt und mit Glasscheibchen versehen. Fällt Licht darauf, geben die CCDs elektrische Signale ab. Millionen lichtempfindlicher Punkte, zusammengepfercht auf der Fläche eines Fingernagels ergeben die berühmten Megapixel, mit denen moderne Digitalkameras beworben werden.

© SZ vom 07.10.2009/jobr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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