Musikpsychologie:Warum traurige Musik glücklich macht

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Besucher eines Coldplay-Konzerts in Philadelphia (Foto: REUTERS)

Musikpsychologen haben erforscht, warum manche Menschen melancholische Melodien genießen. Die Forscher vermuten, dass ein Charakterzug entscheidend ist.

Von Christoph Behrens

Die Band Coldplay ist ein Paradoxon. Selbst bei den traurigsten Nummern geraten Konzertbesucher in Ekstase. Statt sich an der Melancholie anzustecken, beflügelt das Glückshormon Serotonin die Stimmung. Wie Trauer Genuss erzeugen kann, hat Philosophen Jahrtausende beschäftigt. Schon Aristoteles rätselte, wie Theaterzuschauer mit Wonne das Ableben eines Helden betrachten können. Arthur Schopenhauer erkannte in den schmerzlichen Emotionen einer Tragödie oder im Anblick einer rohen Naturgewalt etwas ästhetisch besonders Erhabenes.

Allerdings sind nicht alle Menschen für das Gefühl empfänglich - eine Band wie Coldplay liebt man, oder man hasst sie, dazwischen gibt es wenig. Eine britisch-finnische Forschergruppe hat nun in einem Experiment ergründet, wovon die Begeisterung für traurige Musik abhängt. Die Musikpsychologen spielten dazu hundert repräsentativ ausgewählten Personen traurige Musik vor. Die Probanden hörten ein klassisch instrumentiertes Stück aus dem Soundtrack der amerikanischen TV-Serie "Band of Brothers", die im Zweiten Weltkrieg spielt - achteinhalb Minuten in getragenem Moll, ein tieftrauriges Stück.

"Die Genießer sind häufig in der Lage, ihre Gefühle zu regulieren"

Dennoch empfand etwa jeder Fünfte beim Hören einen besonderen Genuss. In diesen Fällen erzeugten die Klänge einen bewegenden Gefühlscocktail aus Traurigkeit und positiven Emotionen. Die Psychologen nennen diese Hörer in der Studie im Fachblatt Frontiers in Psychology "Traurigkeitsgenießer". Während sie in der Lage waren, das Stück mit Gewinn zu hören, machte es viele andere Teilnehmer eher nervös oder sogar niedergeschlagen.

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Doch was unterscheidet die Gruppen? Um das herauszufinden, erkundeten die Forscher mithilfe von Fragebögen auch die Psyche der Teilnehmer, darunter die Fähigkeit zur Empathie. Dabei zeigte sich, dass die "Traurigkeitsgenießer" meist überdurchschnittlich empathisch sind. Sie sind demnach besonders gut in der Lage, sich in andere Personen einzufühlen und sich mit Mitmenschen zu identifizieren. "Diese Hörer können besonders gut Emotionen aufspüren, anhand von akustischen Zeichen in der Musik", erklärt die Musikpsychologin Jonna Vuoskoski von der Universität Oxford. Probanden mit niedrigen Empathie-Werten genossen die traurigen Töne so gut wie nie.

Das Phänomen Coldplay vermag dieses Experiment allerdings nicht restlos aufzuklären

Allerdings sei für den Genuss entscheidend, einen emotionalen Abstand zu wahren, sagt Vuoskoski. "Die Genießer sind häufig in der Lage, ihre Gefühle sehr gut zu regulieren." Demnach ist es ein Balanceakt, traurige Musik zu hören: Deren Genießer können sich einerseits in die übermittelten negativen Botschaften einfühlen, lassen sich davon aber nicht so sehr überwältigen. Frauen gelingt dieser Spagat offenbar häufiger als Männern: Weibliche Hörer waren überdurchschnittlich oft in der Genießergruppe.

Das Phänomen Coldplay vermag dieses Experiment allerdings nicht restlos aufzuklären. Denn die Psychologen wählten möglichst unbekannte Musikstücke, um zu vermeiden, dass bekannte Songs Erinnerungen aufwühlen und so die emotionale Essenz der Musik überlagern. Wenn man sich also wundert, warum die eigene Partnerin für Coldplay schwärmt, kann das auch mit Sänger Chris Martin zu tun haben.

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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