Als am 24. Juni 2012 "Lonesome George" seine Augen für immer schloss, schied nicht nur eine Schildkröte aus dem Leben. Mit dem letzten Vertreter der Spezies Chelonoidis nigra abingdoni starb auch die ganze Unterart der Galapagos-Riesenschildkröte aus. Der Veteran wurde zum Symbol für das Artensterben, das der Mensch seit wenigen Jahrhunderten verursacht.
Bali-Tiger oder Tasmanischer Beutelwolf, Riesenalk, Dodo oder Goldkröte - die Liste der ausgestorbenen Arten wird lang und länger. Allein von den 5570 bekannten Säugetieren sind in den letzten 500 Jahren 80 verschwunden. Und das Sterben der Arten legt derzeit an Tempo zu. Viele Wissenschaftler warnen bereits vor einem katastrophalen Ereignis, wie es die Erde schon fünf Mal heimgesucht hat: eine Massenextinktion.
Diese sogenannten "Big Five" (dt. "die großen fünf") waren dramatische Zäsuren in der Geschichte des Lebens. Diese Perioden überlebte jeweils höchstens ein Viertel der Tiere und Pflanzen. Das bekannteste Ereignis dieser Art fand vor 65 Millionen Jahren statt, als die Dinosaurier verschwanden. Selbst die Giganten der Urzeit konnten sich nicht dagegen stemmen. Um zu ermitteln, ob sich der aktuelle Artenschwund bereits mit den Massenextinktionen vor Millionen von Jahren vergleichen lässt, schrieb der Paläontologe Anthony Barnosky von der kalifornischen Berkeley Universität die derzeitige Aussterberate in die Zukunft fort und verglich sie mit den "Big Five". Sein Ergebnis: Schon in wenigen Jahrhunderten droht der sechste Massenexodus.
Ein Massenaussterben ebnete den Säugetieren den Weg
Doch ist die Situation tatsächlich so dramatisch? Arten kommen und gehen, das war schon immer so. Experten sprechen vom "Hintergrundaussterben". Ein Säugetier hält im Allgemeinen nur zehn Millionen Jahre durch, auch ohne menschliche Eingriffe. Dann stirbt es aus. Paläontologen schätzen, dass von allen Arten, die je auf der Erde lebten, 99 Prozent verschwunden sind. Kann man die heutige Situation wirklich mit den dramatischen Ereignissen aus der Vorzeit vergleichen? Was weiß man überhaupt über jene Zeiten, von denen nur Fossilien und Steine Zeugnis ablegen?
Eines ist klar: Die "Big Five" waren so einschneidend, dass Paläontologen die Erdgeschichte nach ihnen gliedern. Die Tierwelt veränderte sich danach stets gründlich. Der schwerste Schlag traf die Erde vor rund 251 Millionen Jahren und markiert die Grenze von Erdaltertum (Paläozoikum) und Erdmittelalter (Mesozoikum). Man schätzt, dass damals 96 Prozent aller Arten ausgemerzt wurden, darunter die Trilobiten, meeresbewohnende Gliederfüßer, die das gesamte Erdaltertum bestimmt hatten. Weitere Massensterben ereigneten sich an der Wende von Ordovizium und Silur (vor 440 Millionen Jahren), Devon und Karbon (vor 360 Millionen Jahren) sowie Trias und Jura (vor 208 Millionen Jahren).
Das letzte der Fünferbande, das vor 65 Millionen Jahren den Dinosauriern den Garaus machte, läutete die Erdneuzeit (Känozoikum) ein und ebnete den Säugetieren den Weg. Sie konnten sich, ohne die lästige Konkurrenz der Saurier, neue ökologische Nischen erschließen und entwickelten die uns heute bekannte Vielfalt - mit Homo sapiens als einem momentanen Resultat. Über die Ursachen der großen Sterbewellen rätseln Experten bis heute. Anhaltender Vulkanismus oder ein abrupter Klimawandel waren lange die Favoriten. Auch die Freisetzung großer Mengen Schwefelwasserstoff wurde von Forschern diskutiert. Inzwischen treten extraterrestrische Ursachen in den Vordergrund, vor allem der Einschlag eines Kometen oder Asteroiden.
Ein Nashorn-Baby im Zoo von Chicago - die Tiere sind in ihrer afrikanischen Heimat bedroht
(Foto: AFP)Auf die Fährte dieses buchstäblich eindrücklichen Ereignisses kam die Fachwelt mit Hilfe eines Zufalls. Die Geschichte beginnt Ende der 70er Jahre, als der US-amerikanische Geologe Walter Alvarez mit seinem Geologenhammer ratlos an einem Felsen nahe dem italienischen Städtchen Gubbio herumklopfte. Er wollte herausfinden, wie viele Jahre in jedem Zentimeter des Gesteins steckten, wie schnell sich also die Sedimente einst abgelagert hatten. Sein Vater Luis, ein Physiker und Nobelpreisträger, wusste einen Rat: Nimm doch den Iridium-Gehalt als Maßstab, meinte er. Iridium ist im Sternenstaub enthalten, der gleichmäßig auf die Erde niederregnet.