Musik:Die schwierigen Töne der Liebe

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Menschen in aller Welt erkennen und reagieren auf Tanzmusik, hier in Paris. (Foto: Denis Meyer/imago images)

Menschen erkennen in einem Versuch zuverlässig Wiegen- oder Tanzlieder, auch wenn der Text nicht in ihrer Muttersprache verfasst ist. Aber wenn es um die Liebe geht, scheitern sie. Woran liegt das?

Von Susanne Herresthal

Liebeslieder sind so unterschiedlich wie die Liebe selbst. Sie handeln von Freude, Wut, Sehnsucht, Schmerz, Anziehung oder Trennung. Das lehrt nicht nur die musikalische Grundausbildung durch das Radio, sondern wurde nun auch wissenschaftlich untermauert, mit einer Studie im Wissenschaftsjournal PNAS. Denn anders als Tanz- oder Einschlaflieder lassen sich Liebeslieder ohne Sprachkenntnisse nicht klar als solche identifizieren.

Bereits 2019 fand die Forschungsgruppe um das in Harvard ansässige Music Lab heraus, dass Musik in allen Kulturen in ähnlichen Funktionen genutzt wird: zum Tanzen, um das Großthema Liebe zu verarbeiten, zum Trösten von Kranken und im Umgang mit Säuglingen. Auch folgt der Aufbau von Liedern einem universellen Muster. Obwohl durchaus kulturelle Unterschiede vorhanden sind, teilen vor allem Tanz- und Schlaflieder eine bestimmte Charakteristik in Tonhöhe, Tempo und Komplexität sowie Melodik und Rhythmik. Einfach ausgedrückt und wenig überraschend: In allen Kulturen sind Tanzlieder eher laut und rhythmisch und Schlaflieder leise und melodiös.

Nun wollte die Forschungsgruppe wissen, ob die Funktion der Lieder unabhängig von sprachlichen und kulturellen Inhalten verständlich ist. Dafür ließen sie mehr als 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Industrienationen sowie aus kleineren Gesellschaften mit begrenztem Zugang zu globalen Medien zufällig ausgewählte Lieder hören. Anschließend sollten die Probanden die Funktion des Liedes angeben: Liebe für eine andere Person ausdrücken, tanzen, Säuglinge pflegen, Kranke trösten. Das Repertoire bestand aus 118 Stücken aus 30 Weltregionen in über 75 Sprachen. Die Ergebnisse zeigen, dass Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Studie zwar Schlaflieder für Babys sowie Tanzlieder und Heillieder richtig zuordnen konnten, jedoch nicht Liebeslieder. Sie wurden nur dann richtig erkannt, wenn das Lied in einer der eigenen ähnelnden Sprache gesungen wurde.

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"Die Frage, warum Zuhörer Schwierigkeiten hatten, Liebeslieder zu erkennen, ist interessant, da viele Tiere im Rahmen von Paarungsritualen ähnliche Verhaltensweisen wie das Singen anwenden", sagt Lidya Yurdum, Hauptautorin der Studie. In der Diskussion um die Frage, wie vokale Musik entstand, wird von einigen Forschern die These vertreten, dass sich der menschliche Gesang durch die Paarung entwickelte. Ein bekannter Vertreter dieser Position war Charles Darwin. Er schreibt im Buch "Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl" im Jahr 1875, dass die Liebe in Liedern am häufigsten vorkomme. So sei es wahrscheinlich, dass die menschlichen Vorfahren, bevor sie sich ihre gegenseitige Liebe in artikulierter Sprache gestehen konnten, "einander mit Hilfe musikalischer Töne und Rhythmen zu gewinnen bemüht waren".

Doch die Ergebnisse der Studie stützen diese Theorie laut Yurdum nicht: "Die Studie hat gezeigt, dass Liebeslieder nicht wie Wiegenlieder, Tanzlieder oder Heilungslieder die sprachlichen und kulturellen Barrieren überwinden können." Stattdessen, so die Wissenschaftlerin, deuteten die Ergebnisse darauf hin, dass sich der menschliche Gesang eher als Mittel zur Beruhigung von Säuglingen und zur Koordination von Bewegung entwickelt habe.

Tom Fritz vom Max-Planck-Institut in Leipzig ist anderer Meinung. Die Kategorie der Liebeslieder sowie ihre Zuordnung "Liebe für eine andere Person ausdrücken" seien zu unkonkret, um Schlüsse über das Verhältnis von Musik und Fortpflanzung zu ziehen. Aus seiner eigenen Forschung habe er Befunde, die darauf hinweisen, dass es durchaus evolutionsbiologische Faktoren gibt, die auf das Verhältnis zwischen Fortpflanzung und Musik hindeuten. "Wir haben in einem Versuch Teilnehmerinnen und Teilnehmer gefragt, als wie sinnlich eine Berührung empfunden wird. Wenn Musik gespielt wurde, wurden auch die Berührungen als sinnlicher empfunden." Für Fritz ein Anzeichen, dass sich Musik durchaus im Zusammenhang mit der Paarung entwickelt hat.

Dass die Kategorie der Liebeslieder nicht eindeutig sein könnte, erwähnt auch Yurdum. Denn die in Liebesliedern besungenen Themen reichen über Anziehung bis hin zu Eifersucht und Trennung - und hören sich auch damit unterschiedlich an. Im Gegensatz zu Schlaf-, Heil- und Tanzliedern gibt es weniger einheitliche akustische Merkmale bei Liebesliedern.

Für Sabine Meine, Professorin für historische Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln, ist das Ergebnis der Studie nicht überraschend: " Die Liebeslieder an sich gibt es nicht. Die Liebe ist ja auch kein Affekt, da gehört ja ganz viel dazu. Darum gibt es auch keinen Prototyp - sonst würde man ja die Komplexität von Wut, Freude und Sehnsucht komplett herunterfahren."

Sehnsucht ist ein wiederkehrendes Motiv in europäischen Liebesliedern

Auch wenn es keine einheitlichen akustischen Merkmale von Liebesliedern gibt, zeigt zumindest die europäische Geschichte der Liebeslieder ein seit dem frühen Mittelalter immer wiederkehrendes inhaltliches Motiv: die Sehnsucht. "In vielen klassischen alten Liebesliedern gibt es immer einen Mann, der sich nach einem weiblichen Gegenüber sehnt. Aber sie sagt immer Nein zu ihm", so Sabine Meine.

Der italienische Dichter Francesco Petrarca schrieb im 13. Jahrhundert ein Liebeslied, das zu einem regelrechten Bestseller wurde. Im Lied besang er die Liebe zu einer fernen Laura, die seine Gefühle nicht erwiderte. "Sowohl im 16. als auch im 19. Jahrhundert ist das Lied dann noch mal in Mode gekommen und wurde zigfach nachgemacht. Immer wurde von einer Laura gesungen. Das reicht sogar bis in die Popmusik rein", so Meine. Gesungen wurden diese sehnsuchtsvollen Weisen nur von Männern: "Es gab in alten Kulturen ein Verbot für Frauen, aus einer Ich-Perspektive zu singen. Natürlich gibt es auch viele Lieder, die nicht aufgeschrieben wurden, aber in den überlieferten Schriften findet sich kein weibliches Ich", sagt die Musikwissenschaftlerin.

Wann das erste Liebeslied in Europa entstanden ist, lässt sich nicht datieren. Meine vermutet, dass es wohl arabische Vorläufer im 11. oder 12. Jahrhundert gab. "Doch wenn man will, sind auch die ganzen Lieder von gläubigen Menschen eigentlich Liebeslieder - sie himmeln ja alle Maria an. Und diese Lieder sind alle uralt."

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