Astronomen kennen das Phänomen schon seit Jahrzehnten: Unsere Nächte werden immer heller. Straßenlaternen, Ampeln, beleuchtete Schriftzüge und Werbetafeln, aber auch Autoscheinwerfer und elektrisches Licht in Häusern und Wohnungen lassen den Nachthimmel nicht mehr dunkel werden, sondern versetzen ihn in einen künstlichen Dämmerzustand.
Die sogenannte Lichtverschmutzung nimmt ständig zu, in Deutschland Schätzungen zufolge jährlich um fünf bis sechs Prozent. Der Blick in den Himmel ist dadurch in vielen Regionen heutzutage sehr viel begrenzter als früher. Professionelle Himmelsforscher bauen ihre Observatorien daher längst fernab dicht besiedelter Gebiete auf - auf den Kanaren, in der Atacamawüste von Chile, auf Hawaii oder gleich im Weltall.
Doch auch die alltägliche Wahrnehmung des Nachthimmels ändert sich massiv. Denn Sterne sind oft nur noch vereinzelt zu sehen. Die Hälfte der europäischen Bevölkerung kann die Milchstraße einer Veröffentlichung der Leibniz-Institute zufolge prinzipiell nicht mehr erkennen.
"Es ist schon ein kultureller Verlust, eine Verkümmerung, wenn man in den Himmel guckt, und fast nur beleuchtete Wolken sieht und nur noch ganz wenige Sterne", sagt der Sozialwissenschaftler Timothy Moss vom Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner bei Potsdam. Ein Teil des Lebens, die Bedeutung der Nacht, des Nachthimmels gehe verloren und damit auch ein Gespür für die Dimension des Universums.
Opfer der Straßenlaternen
Forscher vermuten allerdings, dass die hellen Nächte noch sehr viel handfestere Auswirkungen haben. Ökosysteme werden gestört, der chronobiologische Rhythmus von Mensch und Tier gerät aus den Fugen, hormonelle Veränderungen begünstigen verschiedene Erkrankungen.
"Wir haben in den letzten Jahren festgestellt, dass man aus der Sicht sehr unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen - Ökologie, Gesundheit oder Gesellschaft - von Störungen sprechen kann. Die genauen Mechanismen kennen wir aber oft noch gar nicht", sagt Franz Hölker vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Um das zu ändern, haben mehrere Leibniz-Institute und einige Forschungseinrichtungen und Berliner Universitätsinstitute den interdisziplinären Forschungsverbund "Verlust der Nacht" ins Leben gerufen. Hölker leitet ihn.
Recht eindeutig ist die verheerende Wirkung des künstlichen Lichts auf Insekten: Schätzungen zufolge fallen jeder Straßenlampe in einer warmen Sommernacht im Durchschnitt etwa 150 Insekten zum Opfer, sagt Hölker. Mücken und Falter werden an den Leuchtinseln leichte Beute für ihre Fressfeinde wie Spinnen oder Fledermäuse - oder sie sterben schlicht vor Erschöpfung beim Versuch, einer Lichtquelle nahezukommen.
"Das sind Milliarden Insekten, die in Deutschland durch Straßenlaternen aus den Ökosystemen gezogen werden", stellt Hölker fest, "ein permanenter Staubsaugereffekt." Und diese Milliarden reißen eine Lücke in das empfindliche Gefüge der Natur: Sie fehlen als Bestäuber und als Nahrung für größere Tiere.
Verwirrung schafft die künstliche Beleuchtung auch bei anderen Tieren. So verwechseln Vögel Lampen vielfach mit natürlichen Orientierungspunkten wie dem Mond oder den Sternen. Beleuchtete Brücken könnten für wandernde Fischarten zu schwer überwindbaren Barrieren werden.
Aber nicht nur punktuelle Lichtquellen, sondern auch die Gesamtaufhellung stört die natürlichen Systeme. Wenn der Mensch die Nacht zum Tage macht, können Konkurrenzsituationen zwischen tag- und nachtaktiven Arten entstehen, die sich sonst kaum begegnen. So könnten sich beispielsweise Vögel und Fledermäuse plötzlich bei der Nahrungssuche ins Gehege kommen.
Zu viel Licht bei Nacht kann auch den Menschen krank machen. Mehr dazu auf Seite 2.
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Aber auch der Mensch in den Industrienationen leidet unter den unerwünschten Folgen der erleuchteten Nächte - vielleicht sogar mehr, als er sich bewusst ist. Tagsüber arbeitet er im Büro bei relativ niedrigem Lichtniveau, nachts verlängert er den Tag durch künstliche Beleuchtung. Der Unterschied zwischen Tag und Nacht schwindet, der natürliche Rhythmus gerät aus dem Gleichgewicht.
Schlafstörungen, Benommenheit oder Kreislaufstörungen können die Folge sein. Zudem scheint das Zuviel an Licht zu weiteren gravierenden Gesundheitsproblemen zu führen, zu Magen-Darm-Erkrankungen oder bestimmten Krebsarten. In Israel wiesen Wissenschaftler der Universität Haifa kürzlich auf Basis der Daten aus 164 Ländern nach, dass Prostatakrebs bei Männern in besonders hell erleuchteten Gebieten 80 Prozent häufiger auftritt als in dunkleren Regionen.
Gestörter Biorhythmus
Bei einer ähnlichen Untersuchung im vergangenen Jahr hatten die Forscher bereits eine Korrelation zwischen der Brustkrebsrate und künstlichem Licht aufgezeigt. Frühere Studien zeigten zudem, dass Nachtarbeiterinnen ein höheres Brustkrebsrisiko haben.
Doch wie genau bewirkt das nächtliche Licht die Erkrankungen? Wissenschaftler sehen die wesentliche Ursache in einer Störung des Hormonhaushalts, vor allem bei der Bildung von Melatonin. Das Hormon wird in der Nacht im Gehirn gebildet und steuert den Tag-Nacht-Rhythmus im Organismus, also den Wechsel von Aktivitäts- und Regenerationsphasen. Zudem kann es vermutlich das Wachstum von Krebs hemmen.
Ist die Melatoninbildung gestört, kann sich das daher negativ auswirken: "Wir vermuten, dass das nachts einwirkende künstliche Licht die Melatoninbildung angreift", sagt Barbara Griefahn vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung in Dortmund. Bewiesen sei das jedoch nur für das am Arbeitsplatz einwirkende Licht, das in der Regel heller ist als die nächtliche Lichtverschmutzung.
In Experimenten will die Schlafforscherin deshalb zunächst einmal Grundlegendes klären: Führt das künstliche Licht tatsächlich zu einer Reduktion der Melatoninbildung? Und ab welcher Lichtmenge ist eine Wirkung nachweisbar?
Kein Gedanke an den Lichtmüll
Viele Folgen des Phänomens Lichtverschmutzung sind derzeit noch nicht exakt bestimmbar. Die Wissenschaftler wollen trotzdem mit ihren Warnungen nicht warten. Denn im Zuge von Überlegungen zu Energieeinsparungen überarbeiten viele Kommunen derzeit ihre Lichtkonzepte - die Frage des Lichtmülls spielt dabei jedoch im Allgemeinen keine Rolle.
"Es ist schon sehr auffällig, dass in diesen Lichtmasterplänen die ökologische Dimension meist gar nicht vorhanden ist", sagt Sozialwissenschaftler Moss. Dabei könnten effizientere und gezieltere Beleuchtungssysteme und die Ausarbeitung lichtbezogener Emissionsstandards die Folgen unerwünschten Lichts begrenzen.
Denn eines ist klar: Eine Rückkehr zu Beleuchtungsverhältnissen wie vor der Elektrifizierung ist weder möglich noch wünschenswert. Genau deshalb ist es aber umso wichtiger zu sehen, wie man die positiven Aspekte des elektrischen Lichts nutzen kann - und zugleich negative Effekte vermeidet.