Digitalisierung:Der ferngesteuerte  Acker

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Landmaschinen wie Mähdrescher sind oft Dutzende Tonnen schwer. Wenn Landwirte damit über die Äcker fahren, verdichtet sich der Boden durch das mächtige Gewicht. In Zukunft könnten kleinere, autonome Maschinen die Felder schonender bearbeiten. (Foto: imago stock&people)
  • Digitale Technik soll helfen, Pestizide, Dünger, Wasser und schwere Landmaschinen einzusparen.
  • Bauern scheinen keine Berührungsängste mit digitaler Technik zu haben. Viele nutzen bereits Software zum Betriebsmanagement oder mit Kamera bestückte Drohnen.
  • Das Berufsbild der Bauern verändert sich radikal: Sie werden dann vor allem als Technikversteher, Datenbändiger und für strategische Zielvorgaben gebraucht.

Von Andrea Hoferichter

Mit lautem Knattern und schwarzem Abgas hielten im vergangenen Jahrhundert erste Trecker auf den Feldern Einzug, ersetzten Zugtiere wie Pferde und Ochsen und erleichterten die Feldarbeit. Die aktuelle Wachablösung in der Landwirtschaft kommt leiser daher, mit Robotern, Drohnen, Sensoren und Kameras. Die digitale Technik soll helfen, Pestizide, Dünger, Wasser und schwere Landmaschinen einzusparen. Und sie könnte dafür sorgen, dass sich Bauern schon in ein paar Jahren buchstäblich vom Acker machen. Das jedenfalls prognostizierten Senthold Asseng und Frank Asche von der University of Florida im Fachblatt Science Robotics. "Landwirte, die regelmäßig mit ihren Treckern auf den Feldern unterwegs sind, wird es in Zukunft kaum noch geben", sagt Asseng. Sie würden vielmehr als Technikversteher, Datenbändiger und für strategische Zielvorgaben gebraucht.

Im Szenario der beiden Agrarforscher rollen Roboter statt massiger Landmaschinen über die Felder, jäten Unkraut oder sprühen Pestizide und holen die Ernte ein. Sensoren senden live Daten aus dem Boden, zu Temperatur, Feuchtigkeit, pH-Wert und Nährstoffgehalten. Auch Drohnen und Satelliten, die mit Kameras und Messtechnik bestückt sind, liefern Informationen zu möglichen Problemzonen auf dem Acker.

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"Diese Informationen könnten dann in ein zentrales System gesendet werden, das aus den Informationen Handlungsbedarf herausliest, Entscheidungsvorschläge entwickelt oder selbständig Gegenmaßnahmen initiiert", erklärt Asseng. Stelle eine Drohnenkamera zum Beispiel einen Schädlingsbefall fest, würde so ein System mögliche Maßnahmen und deren Kosten ermitteln, auf dieser Grundlage eine Entscheidung fällen und dann zum Beispiel einen Roboter oder eine Drohne losschicken, um die befallene Pflanzen zu behandeln. Auch Wettervorhersagen, Markt- und Konsumprognosen könnten in die Entscheidungsprozesse einfließen. Die Technologien dafür seien größtenteils vorhanden, müssten aber noch schlau miteinander verknüpft werden.

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Die Systeme haben den Forschern zufolge viele Vorteile: Bodenmängel und Pflanzenstress lassen sich quadratzentimetergenau und frühzeitig erkennen und therapieren, sodass größere Ernteausfälle vermieden werden könnten. Und weil nur dort eingegriffen wird, wo es wirklich nötig ist, werden eine Menge Pestizide und Dünger eingespart, die heute in der Regel großflächig ausgebracht werden und Böden und Gewässer belasten.

Möglich wäre auch, die Aussaat auf die lokal oft schwankenden Bodenbedingungen abzustimmen und verschiedene Pflanzensorten auf dem gleichen Acker anzubauen. Roboter und Drohnen punkten gegenüber den oft tonnenschweren Landmaschinen, weil sie rund um die Uhr im Einsatz sein können und den Boden schonen, was das Pflanzenwachstum fördert. Nicht zuletzt folgt aus der automatisierten Dokumentation aller Abläufe, dass nur noch schwer getrickst werden kann. "Die Lieferkette lässt sich praktisch nahtlos verfolgen, sozusagen vom Acker auf den Teller", betont Asseng.

Dass Landwirte offenbar keine Berührungsängste mit digitaler Technik haben, berichtete schon mehrfach der Branchenverband Bitkom. Demnach nutzen viele Bauern schon heute Software zum Betriebsmanagement, Melkroboter oder mit Kamera bestückte Drohnen, um über die Färbung der Felder auf lokale Mangelerscheinungen zu schließen oder Tiere vor dem Mähtod zu retten.

"Einzelne Komponenten sind schon extrem gut entwickelt, aber wenn es darum geht, sie in ein IT-System einzubetten, stehen wir noch komplett am Anfang", sagt Hans Griepentrog von der Universität Hohenheim in Stuttgart. Vor allem müssten die Maschinen lernen, zu kommunizieren. Künstliche Intelligenz und Cloud-Dienste, die alle Informationen zusammenführten und daraus Handlungsempfehlungen ableiteten, gelte es zu verbessern. Dass komplett autonome Systeme zum Einsatz kommen werden, glaubt der Wissenschaftler nicht: "Das können sich vielleicht Militär und Untertagebau leisten. Für die Landwirtschaft ist das einfach zu teuer." Hier sei eben doch ab und zu noch ein Mensch gefordert, um zum Beispiel Roboter, die Unkraut jäten, von eingeklemmten Blattwerk zu befreien.

Bedenken hat Griepentrog auch, weil der Datenfunk zurzeit nur mit Einschränkungen funktioniert. "In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel fahren Trecker mit automatischer Lenksteuerung die Felder ab. Dese Systeme fallen regelmäßig aus, wenn mittags die Schule zu Ende ist und alle Schüler ihre Handys einschalten, weil Sprache Vorrang vor Daten hat", berichtet er. Die Abhängigkeit vom Datenfunk sei schon allein deshalb kritisch zu bewerten, da es um die Produktion von Nahrungsmitteln gehe.

Nicht umsonst ordnet das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die Landwirtschaft in die Kategorie "kritische Infrastruktur" ein, die es vor Hackerangriffen zu schützen gilt. "Auch die Frage, wem die Daten gehören, ist noch nicht geklärt", moniert Griepentrog. Schon heute sammelten moderne Landmaschinen jede Menge betriebsspezifische Informationen, die dann auf den Servern der Hersteller landeten. "Die Hersteller versprechen zwar, dass sie die Daten nicht weiter geben, aber es gibt keine rechtlichen Grundlagen, das zu prüfen oder eine Weitergabe zu sanktionieren."

Die schlauen Maschinen könnten eine Abkehr von großflächigen Monokulturen ermöglichen

Insgesamt bewertet der Forscher die Möglichkeiten der digitalisierten Landwirtschaft aber positiv, auch weil der Einsatz von Robotern eine Abkehr von großflächigen Monokulturen und mächtigen Landmaschinen ermöglicht. "Die Flächen können wieder kleiner und durch Landschaftselemente wie Teiche, Bäume, Hecken oder Wälle unterteilt werden." Das steigere die Artenvielfalt und verhindere, dass immer mehr Boden buchstäblich vom Wind verweht wird. "Solche Maßnahmen werden auch von der Gesellschaft gefordert. Und unserer Einschätzung nach würden sie auch sehr gut funktionieren, ohne Ertragseinbußen", sagt Griepentrog.

Senthold Asseng jedenfalls ist überzeugt, dass die "Landwirtschaft 4.0" kommen wird. "Ich bekomme oft skeptische Rückmeldungen, das alles sei eine Utopie, die vielleicht in 100 Jahren Wirklichkeit wird. Ich glaube aber, dass es sehr schnell gehen kann und schon in vier bis fünf Jahren erste Betriebe einen Großteil der Techniken einsetzen werden", sagt der Wissenschaftler.

© SZ vom 18.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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